Beiträge von Peter Prange

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    Original von beowulf
    Frage an den Autor: Ist Taifun ein Teufel ? Sollte er als solcher dargestellt werden?


    Nein, ein Teufel ist Taifun nicht, bzw. soll zumindest keiner sein. Sondern ein Mensch, der sich einer Sache ganz und gar verschreibt, der Revolution, und dann selber außer Rand und Band gerät, in der Vermischung verschiedener Motive: Erreichung des Ziels, persönlicher Ehrgeiz, Erfahrung von Macht usw. Am wichtigsten aber ist mir an dieser Figur: Auch Menschen, die buchstäblich über Leichen gehen, können sich unsterblich verlieben - und Sklaven ihrer eigenen Liebe werden, so wie sie selber ihre Opfer versklaven. Solche Menschen gibt es, man denke nur an die fürsorgenden Väter oder sensiblen Musiker, die zugleich KZ-Leiter waren. Die moderne Gehirnforschung hat dafür eine Erklärung: diese Menschen sind gehirnphysiologisch genauso wie wir ausgestattet, mit allen Anlagen zur Liebe , doch ein Areal im Gehirn ist bei ihnen unzureichend entwickelt: dasjenige, das für Empathie, Mitgefühl zuständig ist. Sie haben darum einfach kein Empfinden dafür, was sie anderen Menschen antun.

    Ich hatte gestern ein sehr interessantes Interview mit einem Journalisten. Der bohrte auch an dieser Stelle des Romans nach: Welche Position ich denn nun in der Armenierfrage beziehen würde? Meine Antwort: Darüber zu entscheiden, ist nicht meine Aufgabe. Ich bin kein Historiker, sondern Romanschriftsteller. Aber ich glaube, wenn ich einfach beschreibe, wie fast alle in diesen Fall verwickelten Parteien Schuld auf sich geladen haben, dann besteht vielleicht die Chance, dass die Leser sich mit den Vorfällen wirklich auseinandersetzen - genau wie Ihr das jetzt tut. Hätte ich hingegen selbst Partei ergriffen, würden mich die einen loben, die anderen tadeln, je nach eigener Position und dem jeweiligen Vorurteil - doch keiner würde die historische Geschichte befragen...


    Sorry, Sabine, dass Dir die Szenen so böse aufgestoßen sind. Mir selber ist es genauso ergangen. Ich wusste ja nicht, als ich den Roman anfing, auf was ich mich da einlasse. Doch Schreiben ist genauso wie Leben. Man fängt irgendwo an, wo es scheinbar ganz schön ist, zum Beispiel im Harem, und plötzlich gerät man in des Teufels Küche... Als ich das beim Schreiben merkte, hätte ich natürlich kehrt machen können. Aber wäre das nicht Verrat gewesen? Verrat an meiner eigenen Geschichte? Ich meine, eine Geschichte muss genauso zu Ende gelebt werden wie das Leben selbst. Egal, wie die Verhältnisse sind. Das wusste schon Goethe, als er im Prolog des Fausts den Theaterdirektor sagen ließ: "Nun wandelt mit bedächtger Schnelle, vom Himmel durch die Welt zur Hölle." - Große Preisfrage: Gibt es einen Weg aus der Hölle zurück? Antwort: Weiterlesen!

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    Original von Tjorvensmum


    @ Peter


    Ich habe gelesen, dass Abdülhamid von Kaiser Wilhelm II eine Standuhr geschenkt bekommen hat. Wann war das?


    Kaiser Wilhelm war - nebst Gemahlin - zweimal in Konstantinopel, und zwar in den 90er Jahren. Als Gastgeschenke brachte er nicht nur die Uhr mit, sondern stiftete auch einen Brunnen, der heute noch existiert. Umgekehrt wurde zu seinen Ehren ein eigenes Appartement im Yildiz-Palast gebaut, damit er eine optimale Aussicht auf den Bosporus hatte. Und er nahm die Lizenz zum Bau der Bagdad-Bahn mit nach Deutschland. - Dies nur als ganz kleine Illustration, wie eng schon damals die deutsch-türkischen Beziehungen geflochten waren, wenn auch in ganz anderer Weise als heute.

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    Original von milla
    „Die Verwirklichung der Menschenrechte ist unser erklärtes Ziel, genauso wie die Gleichberechtigung der Frau“ – ahja, wo wir knapp 100 Jahre später stehen, würde an dieser Stelle wohl zu weit führen, aber hier musste ich doch laut loslachen. Zugegeben ein bitteres Lachen. Haben die damaligen Revolutionäre das wirklich geglaubt?? Oder war es ihnen nur ein Vorwand, um die Sympathien des Volkes und der europäischen Nachbarn zu erlangen?


    Wir erleben hier die Geburtsstunde der modernen Türkei. Und viele der - zumindest in unseren Augen - widersprüchlichen Positionen, die die heutige Türkei ausmachen, haben sich damals bereits gezeigt. Angefangen von der Widersprüchlichkeit des Sultans, bis hin zu den Argumenten der Jungtürken. Sie hatten sich wirklich die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf die Fahnen geschrieben - in ihrem Gefolge hat Atatürk das Kopftuch als Zeichen der Unterdrückung der Frau nicht nur abgeschafft, sondern an offiziellen Orten wie etwa der Universität sogar verboten. Gleichzeitig aber wurden im Zuge der damaligen politischen Neuorientierung, die ja zugleich ein Versuch war, der ganzen Nation nach dem Zusammenbruch des osmanischen Reichs eine neue zukunftsweisende Identität zu geben, die schlimmsten Verstöße gegen das, was wir unter Menschenrechten verstehen, begangen. Die Parallelen zu heutigen Verhältnissen springen einem entgegen.

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    Original von beowulf


    Bitte diese Frage durch den Autor zu beantworten- ich habe meine Einschätzung auch nur aus seinen Seiten..


    Es gab da die unterschiedlichsten Varianten. Zunächst einmal war jede Frau im Harem eine Sklavin, auch die Ehefrauen. Dies übrigens ist der Grund, weshalb vor allem nicht-muslimische Frauen den Harem bevölkerten. Ein Muslim darf keinen Muslim versklaven. Doch längst nicht alle Frauen standen zu dem Sultan in einer erotischen Beziehung - wie denn auch, es waren ja um die 500. Manche wurden nur im Harem erzogen, es gab da eine sehr gute Schule, als Vorbereitung für die Ehe mit einem Minister oder Pascha=General. Manche wurden auch "nach Gebrauch" aus dem Harem heraus verheiratet, mit einer hohen Mitgift ausgestattet und der Ehre, vom Sultan für würdig erachtet worden zu sein. Andere wiederum mussten aus demselben Grund im Harem bleiben, damit kein anderer Mann die Erwählte berührte. - Kurz: es gab die unterschiedlichsten Varianten.

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    Original von Kalypso
    Auch wenn es mir nicht gefällt, die Frauen wurden für dieses Leben erzogen, kannten nichts anderes und waren vermutlich in der realen Welt völlig lebensuntauglich. Für manche dieser exotischen Geschöpfe muss die Begegnung mit der Welt doch ein regelrechter Schock gewesen sein. Doch, Freiheit ist etwas Feines, aber man muss auch darauf vorbereitet sein, diese Frauen waren es nicht


    Kalypso



    Genau das war der Auslöser, wie ich überhaupt auf die Geschichte kam. Ich besichtigte - ausgerechnet an Pfingsten, dem Tag der Erleuchtung - vor drei Jahren den Topkapi-Palast, als der Führer erwähnte, dass 1909 der letzte autokratische Sultan von den Jungtürken zur Abdankung gezwungen worden war und im Zuge dieser Zwangsabdankung der letzte kaiserliche Harem aufgelöst wurde. In diesem Augenblick fiel mir der Philosoph Martin Heidegger ein, und seine Metapher von der "Geworfenheit des Menschen in die Existenz". Wenn irgendwelche Menschen, so damals mein spontaner GEdanke, diese Metapher je am eigenen Leib erfahren haben, dann diese Geschöpfe, die ja nichts anderes kannten als die Geborgenheit des Harems. Ja, das ist der Harem ja auch - "der gefeite Ort", so die Übersetzung, der absolute Schutz vor der Außenwelt.

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    Original von milla



    Was ich mich frage (vielleicht habe ich es auch nur überlesen :help) ist, wieso die Valide ausgerechnet Saliha unterstützt, wobei letztere mir irgendwie auch nur wie eine naive Marionette vorkommt, die sich von der Sultansmutter lenken lässt, die Saliha aber wiederum glauben lässt, das alles müsse doch ihr eigener Wille sein (ihr Kismet zu beeinflussen, etc.).


    Hallo Milla - schön, Dich nach den WERTEn hier wieder zu treffen. - Zur Valide: Ja, sie war die eigentliche Herrin im Harem, sie bestimmte, welche Frauen für ihren Sohn aufgenommen wurden, nahm Einfluss auf den Rang usw. Sie stand darum über den Ehefrauen des Sultans, und wurde von diesem stärker respektiert als irgendeine Frau sonst. Auf die Regierungsgeschäfte nahm sie keinen Einfluss, wohl aber auf die Frage der Nachfolge. Sie favorisiert Salihas Sohn - und darum auch dessen Mutter. - Auch so eine Besonderheit im Harem: Der Rang einer Frau hing extrem davon ab, ob ihr Sohn als Thronfolger in Betracht kam. Entsprechend heftig war die Fürsorge und Liebe der Frauen zu solchen Söhnen. Schieden die Söhne aber als Kandidaten aus, war es oft auch mit der Mutterliebe vorbei.

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    Original von SiCollier
    @ Sabine_D


    Ich meine mich zu entsinnen, daß es mal Zeiten gab, in denen Christen und Moslems friedlich zusammen leben konnten. Allerdings war ich bisher der Meinung, das liege viel länger zurück. Möglicherweise war es aber zum Ende des Osmanischen Reiches dort noch so; da müßte wohl der Autor mal seinen "Senf" dazu geben, denn zu dieser Zeit und zum Osmanischen Reich weiß ich herzlich wenig.


    Bitte sehr, hier der gewünschte Senf: Das osmanische Reich war bis zu seinem Untergang, den ich im Roman beschreibe, die mit Abstand größte Multikulti-Gesellschaft seit dem Römischen Reich, wenn nicht aller Zeiten. Sämtliche Religionen waren darin vertreten, die alle mehr oder weniger frei ausgeübt werden durften. Deshalb gab es umgekehrt aber auch viele - modern würden wir sagen: Parallelgesellschaften. Weshalb in einem Dorf, wie im Prolog, Menschen mit ganz unterschiedlichen Wertvorstellungen in unmittelbarer Nachbarschaft leben konnten. S. auch meine Antwort zur Frage nach dem Schweinefleisch in Teil II

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    Original von taciturus
    Ich hatte schon vermutet, dass sie sich Gespräche merken sollen. :grin


    Also, darauf bin auch ich noch nicht gekommen. Aber in Wirklichkeit war es so, dass die Papageien die Funktion von Wachhunden hatten, die immer Laut gaben, sobald jemand einen Raum betrat. Nur kreischten sie dabei immer auch noch das Lob Abdülhamids: Padisahim cok pasha - lang lebe der Padischah!

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    Original von taciturus
    Mit dieser islamischen Denkweise des Kismet komme ich nicht ganz klar. Ich bin gerade bei Seite 140 und der Sultan hat gerade von der Vergiftung Fatmas erfahren und zeigt einen so eigenartigen Standpunkt dazu, der schlicht nicht nachvollziehbar für mich ist.
    Was ich wiederum als eine große Stärke dieses Romans ausmache, dass man die Denkweise und Lebensart des osmanischen Reiches gezeigt bekommt.
    Aber ein wenig inkonsequent, dass er die Attentate auf sich selbst nicht auch als Kismet hinnimmt. :grin


    Volltreffer, Taciturnus. Diese Widersprüchlichkeit des Sultans ist das, was mich an ihm am meisten interessiert. Und nicht nur an ihm, sondern auch an mir selbst. Ist uns der Kismet-Gedanke wirklich soooo fremd? Leben wir selber nicht auch hier, im christlich geprägten Kulturraum, in einer ähnlichen Widersprüchlichkeit? Nämlich in dem Widerspruch zwischen Prädestination / Voerherbestimmung durch den allwissenden und allmächtigen Gott einerseits und der menschlichen Willensfreiheit andererseits? Ich glaube, so groß sind die Unterschiede gar nicht. Nur dass wir uns an UNSERE Widersprüchlichkeit gewöhnt haben. Darum geht es mir: Im Gewand der exotischen Widersprüchlichkeit die Paradoxien der eigenen Existenz wieder neu zu entdecken. Und: suchen wir uns nicht auch immer die Rosinen aus? Schieben die unangenehmen Dinge dem Schicksal zu, und heften uns Erfolge usw. ans eigene Revers? - Übrigens, so wie Dir ist es auch meiner Lektorin ergangen. Die meinte auch, der Kismet-Gedanke sei uns ja soooo fremd. Worauf ich erwiderte: Da schreibe ich einen Roman über menschliche Freiheit, und keiner merkt´s.

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    Original von Sabine_D
    Bin grad etwas verwirrt. Gleich zu Anfang dieses Kapitels: Die Kleidung der Leute im Hafen läßt auf Moslems schließen aber verkauft werden auf dem Markt Schweine? :gruebel


    Das osmanische Reich war die größte Multikulti-Gesellschaft aller Zeiten: 50 Völker, 25 Sprachen. Dagegen ist der viel zitierte Meltingpot Ameriika ein einförmiges Grau in Grau. In Konstantinopel lebten darum nicht nur Moslems, sondern Angehörige aller großen Religionen. Und natürlich auch Schweinefleischesser.

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    Original von Sabine_D
    Hallo Peter,


    sind zu dem aktuellen Buch auch Lesungen im Frankfurter Raum geplant?
    Und kann man dich auf der Buchmesse auch erleben?


    Lesung im Frankfurter Raum: am 29.11. bei Osiander in Speyer


    Buchmesse: Freitag, 12.10., 14-15 Uhr, Autor am Stand bei Droemer; 17 - 17:30 Uhr öffentliches Interview am Stand der ARD / HR, Infos s.
    www.hr-online.de/website/condlink_gate.jsp?rubrik=28632&key=standard_document_33105454


    Außerdem bin ich am Donnerstag, 11.10. in der Glotze, als Gast im ARD Buffet, 12:15-13:00 Uhr

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    Original von Sabine_D



    Den Sinn der Entführung Nadirs als kleinem Jungen kann ich nicht verstehen. Worum ging es dem Entführer? Nur darum Qualen zu bereiten? Denn die meisten Jungen sind ja daran gestorben.



    Der Sinn ist ganz einfach: Geld! Eunuchen waren eine kostbare Ware. Gerade weil kaum einer die Prozedur der Kastration überlebte, waren die wenigen, die es schafften, anschließend so wertvoll, dass sie kaum mit Geld zu bezahlen waren.

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    Original von beowulf
    Mich interessiert immer noch, was Herr Mehdorn den nun konkret verbrochen hat, dass Peter Prange an der Lesung von Peter Prange auf der Leipziger Buchmesse in diesem Frühjahr nicht teilnehmen konnte?


    Oh je, erinnere mich nicht an diesen Morgen. Geplant war Folgendes: Ich sollte mit dem Zug - Abfahrt irgendwas zwischen 7 und 8 von Tübingen - nach Leipzig fahren. Dort haben wir die Veranstaltung um eine halbe Stunde vorverlegt, damit ich anschließend noch den Zug nach Berlin schaffen konnte, wo ich in einer ZDF-Sondersendung zum Thema "50 Jahre Römische Verträge" ein Interview geben sollte. Doch was ist der Mensch, fragte schon Lord Chandos, dass er Pläne macht? Bereits in Stuttgart, meiner ersten Umsteigstation, gab es eine Verspätung von über einer Stunde. Damit war Leipzig nicht mehr zu schaffen, und ich bin direkt nach Berlin durchgestartet.


    Warst Du bei der Veranstaltung dabei? Dann hoffe ich - bzw. bin mir eigentlich zielich sicher -, dass mein Freund Frank Baasner Dich gut unterhalten hat.

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    Original von taciturus


    Es ist jetzt schon öfter der Begriff des Großwesirs gefallen. Welche Stellung hatte der? Kann man dieses Amt mit einem Regierungschef vergleichen?


    Genau: der Großwesir entspricht in seiner Funktion ziemlich genau dem Ministerpräsidenten.

    SiCollier: "Gesetze des Rosenkranzes"; danke für den Hinweis - es muss natürlich "Gesätz" heißen = zehn Ave Maria, ein Vater Unser und ein Ehre sei dem Vater...


    Die Fremdartigkeit der Haremswelt: Dein Befremden kann ich bestens verstehen. Mir ging es damit genauso. Der Harem Abdülhamids war eine in gleich mehrfacher Hinsicht befremdliche Welt. Einerseits geprägt von Jahrhunderte alten Traditionen, Hierarchien und Ritualen, andererseits aber mit ganz modernen Einflüssen (Architektur, Kleidung usw.). Aber genau das ist für mich das Faszinierende: dass die Zerrissenheit des damaligen Osmanischen Reichs zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Orient und Okzident noch in der Abgeschiedenheit des kaiserlichen Harems widerspiegelt.

    Einen schönen guten Abend, die Herrschaften. Freut mich, dass die Leserunde begonnen hat. Und noch mehr, dass die ersten Reaktionen so positiv ausfallen. Ist ja immer ein großes Zittern, wenn man ein Buch beendet hat und dieses dann das Licht der Welt erblickt.


    In diesem Sinn: Da mag ich meinerseits gar nicht aufhören zu lesen!