Zitat
Original von IvonneKeller
Ihr Lieben, ich kann eure Überlegungen bzgl. des Verhaltens von Silvie und ihren Eltern gegenüber Anna sehr gut nachvollziehen. Dieselben habe ich mir ja beim Schreiben auch gemacht. Das ist es, was mich grundsätzlich interessiert: Wie funktioniert das "System Familie", bzw. wie funktioniert es nicht? Warum schauen so viele weg, wenn ganz offensichtlich etwas vor ihren Augen aus dem Ruder läuft? Ich tippe auf Angst. Angst, versagt zu haben. Angst vor der "Wahrheit", die vielleicht ziemlich unangenehm sein könnte. Hoffnung, dass "alles wieder gut" wird, von allein. Warum gehen Annas Eltern nicht mit den Kindern zum Arzt? Gehen sie ja, später. Aber die Wahrheit wollen sie trotzdem nicht sehen.
Ich versuche, urteilsfrei zu schreiben. Ich möchte keinen Zeigefinger erheben, so nach dem Motto, schaut her, wie nachlässig die sind. Ich zeige einfach nur einen Ist-Zustand in dieser Familie, und jeder kann sich sein eigenes Urteil bilden.
Ich denke, zusätzlich zu der Angst kommt meistens auch eine komplette Überforderung mit der Situation dazu. Im Moment will Anna selbst ja überhaupt nicht zugeben, dass sie ein Problem hat, mit dem sie sich in Therapie begeben sollte. Beide ihrer Ärzte haben ihr das ja vorgeschlagen. In so einer Situation ist es nicht nur für Angehörige sondern auch für professionelle Helfer (Therapeuten, Psychiater etc.) super schwierig überhaupt etwas zu ändern. Zwangseinweisung/Unterbringung geht ja nur, wenn akut eine Eigen-/Fremdgefährdung vorliegt und das stellt sich bei Anna erst jetzt allmählich ein. Das wird nicht mehr lange gut gehen. Allerdings würde ich als Betroffene wahrscheinlich meine Schwester oder Tochter wesentlich öfter besuchen und sie ganz genau im Auge behalten.
Auch was die Kinder betrifft, stellen die Angehörigen ihre ganze Beziehung aufs Spiel, wenn sie über Annas Kopf hinweg etwas unternehmen würden und im schlimmsten Fall hätten die drei dann nicht mal mehr die Großeltern, die ihnen manchmal ein paar freie Tage bieten können. An Stelle der Nachbarin, der Kindergärtnerin oder der Lehrerin hätte ich jedoch schon längst das Jugendamt informiert. Das kann man ja anonym machen, ist recht unproblematisch.
Die Situation der Kinder finde ich wirklich herzzerreißend.
Mir gefällt der Erzählstil wirklich super gut. Obwohl es so unterschiedliche Handlungsstränge sind, was ich normalerweise nicht so mag, fließt eine Perspektive immer mühelos in die andere. Am Ende eines Kapitels denke ich jedes Mal, na gut, eins mehr muss ich jetzt doch noch lesen! Manchmal wird man so aus der Handlung gerissen, wenn sich die Perspektive ständig ändert, aber hier ist es prima gelungen. Es liest sich als zusammenhängende Geschichte.