und hier noch eine Rezi:
Stehen oder gehen?
Unser Straßenverkehr wird vor allem in den Innenstädten von Ampeln geregelt. Eine Ampel ist ein technisches Hilfsmittel und kann von daher kein Eigenleben haben, sie kann demnach nicht frech sein. Doch dieses schmale Bilderbuch „Die freche Ampel“ von der türkischen Autorin Aytül Akal erzählt von einer Ampel, die eigenständig denken und handeln kann.
Die Geschichte beginnt mit dem Aufzeigen der Aufgabe einer Ampel, nämlich durch bestimmte Signalsendung den Verkehr zu regeln. Diese Aufgabe hat sie Tag für Tag zu erfüllen. Da die Verkehrssteuerung an einer Kreuzung ihre einzige Aufgabe ist, wird der Ampel in Clownsgewand langweilig und so überlegt sie, was Geschehen würde, wenn Fußgänger und Autofahrer zur selben Zeit ein rotes Signal bekämen. Bald darauf beschließt die lustig aussehende Ampel diese Überlegung in die Tat umzusetzen. Alle Verkehrsteilnehmer bleiben stehen und warten darauf, dass sie endlich das Signal bekommen, weiterfahren oder weitergehen zu dürfen. Nachdem die herbeigerufenen Techniker vergeblich nach einem Fehler suchen, kommt die Ampel ihrer Aufgabe wieder nach. Doch bald darauf ist ihr wieder langweilig. Dieses Mal schaltet sie für alle ein grünes Licht und es entsteht Chaos. Die Verkehrsteilnehmer sind wieder verärgert und rufen die Techniker. Nun stehen die Techniker vor einem Rätsel, denn sie können auch dieses Mal keinen Fehler finden. Sie überlegen, ob sie diese Ampel abmontieren sollen. Als die Ampel dies hört, erschreckt sie darüber, denn in irgendeinem kalt-modrigen Keller zu versauern, ist keine schöne Vorstellung. Die Techniker beschließen, ihr noch eine Chance zu geben. Die Ampel atmet erleichtert auf.
Die Gedankenspiele „was würde geschehen, wenn …“ gehen weiter durch ihren Kopf. Wird diese Ampel weitere Experimente durchführen?
Dieser Band, der 1997 erstmalig in der Türkei herausgegeben wurde, zeigt dreijährigen und älteren Kindern auf, welche Aufgabe eine Ampel hat, was die einzelnen Signale bedeuten und wie sich die Verkehrsteilnehmer zu verhalten haben. Zur Verkehrserziehung also bestens geeignet.
Schon wenn man das Heft aufschlägt, sieht man eine Ampel, die auf der einen Seite die Farben grün, gelb-orange und rot ohne weitere Symbolik, auf der anderen Seite grün mit einem gehenden und rot mit einem stehenden Menschen zeigt. Schon allein die Tatsache, dass die Ampel einmal zwei und einmal drei Farben hat, wirft für Kinder Fragen auf und schon ist man mit dem Kind im Gespräch über Verkehrsregelung.
Natürlich wird diese Ampel nicht ganz nüchtern dargestellt, sondern auf der Ampel ist ein lachendes Clownsgesicht mit einer pinken Nase und sie hat zwei Arme, die jeweils rot – blau geringelt sind.
Die Illustrationen von Serap Deliorman sind für Kinder ansprechend gestaltet, denn sie zeigen Fußgänger jeglichen Alters und Autofahrer. Außerdem wird deutlich, was man bei welchem Signal tun soll, denn beispielsweise bleiben bei Rot alle eindeutig stehen. Auch die Mimik des Clowns ist klar erkennbar.
Was ich sehr interessant finde, ist das Verhalten der Menschen, wenn die Ampel sich unerwartet anders verhält als sie sollte: Beim ersten Verrücktspielen, also wenn sie Fußgängern und Autofahrer gleichzeitig ein rotes Signal gibt, sind zwar die Menschen etwas irritiert aber ohne sichtbarem Ärgernis. Ganz anders sieht es aus, als die Ampel allen Beteiligten Grün anzeigt. Die Menschen sind irritiert und verärgert, was nicht verwunderlich ist, denn hierbei könnten gefährliche Unfälle passieren.
Für Kinder ist es interessant zu sehen, wie auch ein Clown sozusagen ins Schwitzen kommen kann und darauf hofft, dass er weiterhin den Verkehr regeln darf.
Die in Istanbul lebende Autorin lässt die Geschichte mit den klassischen Worten eines Märchens „Es war einmal …“ beginnen. Aber nicht nur das der Anfang uns eine Märchenerzählung vermuten lässt, sondern Aytül Akal bedient sich eines weiteren Merkmals von Märchen: Niemand in der Geschichte hat einen Eigennamen, weder die Ampel als Hauptfigur in dieser Erzählung, Verkehrsteilnehmer noch die Techniker. Damit bekommt der Text einen Allgemeinplatz, kann also überall auf der Welt erzählt werden und Kinder können sich eher mit den handelnden Personen identifizieren.
Der Gesamttext zeigt die Vielfalt einer Sprache: Es sind längere Sätze zu finden mit und-Verknüpfungen, mal kürzere Sätze, mal mit Haupt- und Nebensatz. Die Befehlsform wird angewendet und zwar wenn es um die richtige Verhaltensweise bei bestimmten Farben geht, zum Beispiel bei rot: „Steh!“ . Zusätzlich sind diese Befehle durchweg in Großbuchstaben geschrieben, sodass diese Wörter einem förmlich ins Auge springen.
Aber es werden auch Fragen gestellt, wie beispielsweise: „Was würde wohl passieren, wenn sie allen das rote Signal zeigte? Ja, was würde wohl geschehen?“ An dieser Stelle kann man direkt diese Frage an das zuhörende Kind weitergeben, denn einerseits kann man auf die Art recht gut überprüfen, ob ein Kind verstanden hat, was man bei Rot tun sollte. Zudem wird die Phantasie des Kindes angeregt. Dennoch zeigt die Geschichte, dass zwar jegliche Gedankenspiele erlaubt sind, dass es aber Situationen gibt, in denen man keine Experimente durchführen sollte, ja, dass sie sogar lebensgefährlich werden könnten.
Da der Titel „Die freche Ampel“ in verschiedenen zweisprachigen Ausgaben (immer im Zusammenhang mit der deutschen Sprache) vorliegt, können Erwachsene und Kinder ihren Wortschatz in der Zweitsprache erweitern.
Dieses Buch erfüllt somit mehrere pädagogische Zielsetzungen:
Verkehrserziehung: Die Verkehrserziehung ist in eine gute Geschichte verpackt und steht dennoch im Vordergrund.
Gefühl für Sprache: Durch die Bedienung unterschiedlicher Satzkonstruktionen bekommen Kinder ein Gefühl für die Anwendung einer Sprache.
Zweisprachig lesen: Ein Kind kann die Geschichte in seiner Muttersprache hören, aber auch in der Zweitsprache und wird sich so in beiden Sprachen sicherer.
Phantasieanregung: Die Phantasie eines Kindes wird durch bestimmte Fragestellungen angeregt, aber auch durch die Art der Bilder.
Das Buch „Die freche Ampel“ liegt als Paperback vor. Die einzelnen Seiten sind etwas stabiler als herkömmliche Blätter und sie fühlen sich angenehm in den Fingern an.
Wie ich eingangs schon beschrieben habe, können technische Geräte weder fühlen noch denken und schon gar nicht eigenständig handeln. Obwohl uns Erwachsenen das klar ist, tun wir des Öfteren so, als könnten alltägliche Hilfsmittel ähnlich funktionieren, wie wir Menschen. Wer hat im Straßenverkehr noch nicht vor einer roten Ampel gestanden und zu ihr gesagt: „Jetzt werde endlich grün! Ich habe es eilig.“ Oder wenn ein Gerät nicht so funktioniert, wie wir es uns wünschen, streicheln manche Menschen die Technik, in der Hoffnung, dass es nicht von diesem Ding in Stich gelassen wird. Von daher finde ich es nicht verwunderlich, dass ein Bilderbuch über eine denkende Ampel geschrieben wurde.
Doch die Skepsis bleibt, ob es sinnvoll ist, wenn man einem technischem Gerät menschliche Eigenschaften andichtet.
Außerdem bleibt für mich die Frage offen, wodurch sich das entstandene Verkehrschaos wieder aufgelöst hat. Wurde das Chaos durch das Auftauchen der Techniker wieder in die richtige Bahn gelenkt oder haben die Verkehrsteilnehmer eigenständig gehandelt, nachdem sie feststellten, dass die Ampel verrückt spielt?