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Original von milla
@ Richard: Wie ist es als Autor, sich so etwas auszudenken oder aufzugreifen, auszuarbeiten und niederzuschreiben? Beim Lesen solcher Szenen empfinde ich Entsetzen, Verachtung, Zorn, ja bis hin zu Hass - und wie ist es beim Schreiben? Du erschaffst diese Figuren ja und legst ihnen ihr Handeln sozusagen in die Hände - gruselt es dich dabei selbst?
Ich glaube, man geht als Autor an derartige Szenen und/oder Charaktere einigermaßen klinisch heran. Da man die Geschichte seiner Hauptpersonen ja kennt und weiß, warum sie so geworden sind, wie sie sind, hat man immer auch ein Quäntchen Verständnis für sie - nicht Sympathie, beileibe nicht, aber doch eine größere Nähe zu dem Menschen, der sie mal gewesen sind und der unter Perversität, Zorn oder Neid verschüttet worden ist. Man weiß auch, dass man die Bösewichte für die Story braucht, und je dramatischer und größer als das Leben sie sind, desto heldenhafter können auch die positiven Charaktere agieren; insofern ist man den Bösen, wenn sie gut funktionieren, geradezu ein wenig "dankbar", dass sie da sind.
Nicht zuletzt hat man sie selbst so geschaffen, und wenn es auch beim Schreiben vorkommt, dass die Figuren einem zu "erzählen" anfangen und man beim Lesen der gerade geschriebenen Absätze zuweilen selbst erstaunt ist, was die Figuren so von sich gegeben haben, so darf das doch nie so weit gehen, dass sie die Regie übernehmen. Insofern fehlt dem Autor der Überraschungseffekt über soviel Bosheit, den ein Leser natürlich empfindet, und das nimmt dem Grauen etwas von seiner Wirkung.
Ich höre oft die Frage, ob denn in den monströsen Charakteren, die in manchen meiner Romane vorkommen, auch ein Teil von mir steckt - oder umgekehrt (ich warte schon seit Ewigkeiten darauf, dass ich das auch mal in Bezug auf die romantischen Szenen gefragt werde - seufz!). Ich antworte darauf dann immer, dass ein Dramaturg, der sein Handwerk einigermaßen versteht, durchaus in der Lage ist, sich in Gedankenwelten hineinzuversetzen, die nicht die seinen sind. Wäre das nicht so, müsste man jeden Autor, der faszinierend-schreckliche Bösewichter erschafft, für einen potenziellen Massenmörder halten.
Ich denke, dass hinter den Taten, die der Autor seine Bösewichter begehen lässt, eher die angstvolle Erkenntnis steht, dass die Realität in bezug auf Grausamkeit und Perversion jede Fantasie noch immer locker abgehängt hat. Aus der Schilderung von Verbrechen, wie Heinrich und Diana sie begehen, spricht nicht die eigene Faszination am Bösen, sondern die Furcht davor, dass es solche und noch schlimmere Menschen tatsächlich gibt und dass in der Regel jede Nachbarschaft ein paar davon aufzuweisen hat. John Steinbeck schildert in JENSEITS VON EDEN den (bösen) weiblichen Hauptcharakter als einen Menschen, dem jede Anlage zu Mitgefühl ganz einfach fehlt und geht dabei (zwischen den Zeilen) durchaus so weit zu sagen, dass zwar die Taten dieser Figur moralisch verwerflich sind, die Figur selbst aber gar nicht mit moralischen Maßstäben gemessen werden kann, weil sie gar nicht in der Lage ist, diesen Maßstäben zu folgen. Ich bin überzeugt, dass das in der Tat für viele der menschlichen Ungeheuer zutrifft, denen wir in den Nachrichten begegnen. Gerade heute morgen habe ich in der Zeitung gelesen, dass Josef Fritzl, der Kerl, der seine Tochter und die mit ihr gezeugten Kinder zwanzig Jahre lang in einem Kellerverlies eingesperrt hat, zwar einerseits zugibt, eine "böse Natur" zu besitzen, andererseits tatsächlich glaubt, seinen Lebensabend im Kreis seiner Familie zu verbringen. Der eigentliche Grusel angesichts einer solchen Einstellung wird nicht von der Weltfremdheit hervorgerufen, die einen Mann mit seinem Anklageregister denken lässt, er würde jemals wieder freigelassen, sondern die geradezu ekelerregende Sicherheit, mit der er davon ausgeht, dass seine Familie ihn überhaupt noch akzeptieren würde.
Gemessen daran ist ein Charakter wie Heinrich, der sehr wohl erkennt, wie ihn die Abhängigkeit von Diana und seine eigene Veranlagung immer weiter in den Abgrund zerren und nur zu schwach ist, um Widerstand zu leisten, geradezu ein Waisenknabe.
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Irgendjemand erwähnte schon im ersten Abschnitt die ständig wechselnden Szenenwechsel - ich muss ja gestehen, dass ich das liebe, auch wenn mir (natürlich immer am Ende einer Szene) ein "aaaaah, mist, ich will doch wissen, wie es hier weitergeht" entfährt Zugegeben, bei JEDEM der Handlungsstränge
Dankeschön! Natürlich darf man dem Autor unterstellen, dass solche cliffhanger fies geplante Tricks sind, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Wenn man zuviel und zu schnell umschaltet, kann es durchaus verwirren, das gebe ich zu. Da muss man schon ganz gut aufpassen bei der Konzeption der Szenen.
LGr
Richard