Hallo an alle,
ich bin überrascht, wie viele Einträge sich hier im Forum schon angesammelt haben. Toll! Ich danke euch allen für euer Interesse und versuche jetzt mal, die ersten Fragen zu beantworten:
Lateinkenntnisse:
Ist es OK, wenn ich die Übersetzungen in den nächsten Tagen nachliefere? Im Moment werde ich mit Lesungen und Vorträgen ziemlich in Atem gehalten. Ich muss erst mal meine Unterlagen sichten, aus dem Stegreif kriege ich's auch nicht zusammen. Es handelt sich jedenfalls um Textauszüge aus dem Requiem op. 89 von Antonin Dvorak (also nichts Mittelalterliches), und auf den Text gestoßen bin ich unter anderem über den Film-Soundtrack von DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME.
Ich-Perspektive:
Alle Peter-Bernward-Romane sind in der ersten Person geschrieben; alle anderen Romane nicht... Es ist recht anstrengend, diese Perspektive einzunehmen, und sie nimmt einem viele dramaturgische Möglichkeiten, z.B. den beliebten cliffhanger am Kapitelende. Es gibt auch nicht allzu viele Wege, den Leser Wissen anzubieten, das der Protagonist nicht hat, was wiederum diverse Erzählformen, etwa den Thriller, verbietet. Warum habe ich mir das nun angetan? Ich bin ein großer Fan der Romane von Raymond Chandler und konnte mir bei meinem ersten Buch gar nichts anderes vorstellen, als einen (historischen) Detektiv-Roman so wie er in der ersten Person zu schreiben.
Geil:
Das hat sich ja bereits geklärt. Herzlichen Dank an magali für die Erklärung - so gut hätte ich es gar nicht darstellen können. Auffallend ist, dass schon mehrere LeserInnen darüber gefallen sind - selbst in meinem Gästebuch auf meiner Homepage hat sich jemand deswegen erkundigt. Schön, dass ein Buch zu so viel themenfremdem Nachdenken anregt!
Schreibstil:
Liebe Prisca, vielen Dank für die offenen Worte. Ich freue mich selbst sehr darüber, dass sich eine stilistische Entwicklung in meinen Büchern feststellen läßt und hoffe sehr, dass diese weitergeht, so lange ich schreibe! Ich muss allerdings auch anmerken, dass speziell bei meinem Erstlingswerk, dem TUCHHÄNDLER, die Betreuung durch Redaktion und Lektorat meines damaligen Verlages viel enger war als das heute der Fall ist. Es läßt sich zudem feststellen, dass der Stil der Verlage selbst unterschiedlich ist - Ironie, humorvolle Szenen, aber auch ein gewisses Tempo in der Handlung kann ich heute bei Lübbe besser verwirklichen als bei meinem ersten Verlag. Ich habe viel gelernt durch die geduldige Arbeit all meiner Lektorinnen und Lektoren und bin ihnen sehr dankbar. Heutzutage macht es mich aber auch ein bißchen stolz, wenn meine Texte praktisch unverändert in Druck gehen. Die Prosa in DER SOHN DES TUCHHÄNDLERS ist keinerlei Änderung mehr unterworfen worden - das ist mein Text, so wie er nach dem Abschluss meiner persönlichen Überarbeitungen stand.
Darlegung von politischen und historischen Fakten:
Ich versuche stets, die Fakten in Dialogen oder noch lieber in Handlungen unterzubringen. Kapitel, die sich selbst aus dem Erzählfluss ausklammern und reine Informationen liefern, mag ich nicht so gern - manchmal lassen sie sich zwar nicht vermeiden, aber wann immer sich die Chance dazu ergibt, ersetze ich sie durch Aktion. Ich weiß, dass sich die Faktenlage dadurch manchmal nicht so leicht erschließt, aber im Zweifelsfall ist mir eine stimmige Dramaturgie lieber als die Aufbereitung von Geschichtswissen.
Im Übrigen gilt dies auch für die Charaktere. Ich lasse sie sich selbst durch ihre Aktionen und wie sie sprechen vorstellen, nicht durch Beschreibungen Dritter oder der beliebten allwissenden Meldung aus der Etage des Erzählers. Ich hänge da der klassichen Lehre aus der Drehbuchwelt an: was sind Charaktere anderes als Handlung?
Peters persönlicher Hintergrund:
Zu Beginn des TUCHHÄNDLERS (1475) lernen wir ihn als zurückgezogenen, misstrauischen Mann kennen, der den Tod seiner Frau Maria vor sieben Jahren (sie starb bei der Totgeburt ihres vierten Kindes) noch immer nicht überwunden hat. Seine Familie, bestehend aus den Töchtern Sabina und Maria und dem Sohn Daniel, ist wegen seiner Unfähigkeit, seinen Schmerz mit ihnen zu teilen, auseinandergebrochen; die Kinder sehen dies als seinen Fehler und nehmen es ihm übel.
Im Verlauf der Peter-Bernward-Romane verändert sich seine persönliche Situation, und so sehen wir ihn am Anfang von DER SOHN DES TUCHHÄNDLERS (1486) in einer neuen Familienkonstellation zusammen mit seiner Gefährtin Jana Dlugosz und dem gemeinsamen Adoptivsohn Paolo. Peters Wunsch ist es, seine alte Familie und seine neue zu vereinen, daher hat er seine Kinder nach Krakau gebeten. Warum seine zweite Tochter Maria nicht kommt, liegt an Ereignissen, die mit den Romanen EINE MESSE FÜR DIE MEDICI und DAS SPIEL DES ALCHIMISTEN erzählt werden und die ich hier nicht verraten möchte.
Bevor er sich in Landshut ansiedelte, arbeitete Peter als Untersuchungsbeamter für Bischof Peter von Schaumberg (historische Figur) in Augsburg. Von daher stammt seine kriminalistische Ader, aber auch sein gespaltenes Verhältnis zu der Erinnerung an seinen lange verstorbenen Mentor und Freund - die beiden trennten sich im Unfrieden wegen eines Mordfalles, in dem Peter aus politischen Gründen die Aufdeckung der Täter verboten wurde (siehe DER TUCHHÄNDLER).
Peters Freunde aus früheren Zeiten spielen bis auf eine Ausnahme in allen Büchern keine Rolle oder nur die einer Erinnerung. Diese sogenannten flashbacks sind ein Markenzeichen aller Bernward-Romane und sollen auf Peters Charaktermerkmal hinweisen, dass die Überwindung der Vergangenheit für ihn ein ständiger Kampf ist.
Peters gegenwärtige Freunde (er ist keiner, der allzu leicht Freundschaften schließt) sind Hanns Altdorfer und Sebastian Löw in Landshut (siehe DER TUCHHÄNDLER), Paolo Calendar in Venedig (siehe DIE SCHWARZEN WASSER VON SAN MARCO) und, in Krakau, Friedrich von Rechberg und Mojzesz Fiszel.
Paolo:
Ich freue mich, dass Paolo als glaubhafte Figur rüberkommt. Allerdings habe ich ein gutes Vorbild für ihn in meiner unmittelbaren Nähe - meinen achtjährigen Sohn Mario...
Bis bald - ich freue mich auf weitere Fragen, Anmerkungen und Kritik! Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel, wenn manchmal ein paar Tage vergehen, bis ich wieder ins Forum schaue - bis Ende Juni bin noch ziemlich im Stress.
Liebe Grüße
Richard