Beiträge von Tanja Kinkel

    Logan-Lady, der Tod von Holger Meins war für die meisten der sogenannten "zweiten Generation" der RAF das entscheidende Ereignis, das ihnen den letzten Schub gab, daher habe ich ihn auch unter seinem wahren Namen auftreten lassen, statt ihn zu fiktionalisieren. Ich muß auch sagen, daß mich bei der Recherche die näheren Umstände seines Todes immer noch schockierten. Es gibt ein berühmtes, wirklich grauenhaftes Foto von seiner Leiche, das zuerst der "Stern" veröffentlichte. Online ist es u.a. in diesem Artikel "Opferbilder - Täterbilder" abgedruckt, wer nachschauen will, obwohl ich wirklich warnen muß:


    http://www.geisteswissenschaft…dia/pdf/Terhoeven2007.pdf


    Das sowohl Gefängnisarzt als auch Gefängnisdirektor seinerzeit bei einem Gefangenem in diesem Zustand in den Wochenendurlaub fuhren, bleibt für mich unfaßbar. Respektive nur dadurch erklärbar, daß sie wirklich wollten, daß er stirbt, nach dem Motto "selbst schuld, einer weniger".

    Zwergin,da nach allen Zeugnissen, die ich finden konnte, die Radikalisierung wirklich ein längerer Prozeß war, habe ich das auch bei Martina so gehalten.


    Michael Werder: behalte ihn im Auge. Übrigens habe ich gerade einen Leserbrief bekommen, in dem ich gefragt wurde, ob der Name eine Anspielung auf Goethes Werther sein sollte. Ganz bestimmt nicht, um das schon mal vorweg zu nehmen. :-)

    Bibliocat, noch ein vertrautes Gesicht! :-) Stefan Austs Buch ist allerdings kein Roman, sondern ein Sachbuch. Inzwischen sind einige Dinge überholt, aber es ist immer noch ein sehr wichtiges Dokument, vor allem, weil Stefan Aust natürlich Zeitzeuge war. Er war ein junger Kollege von Ulrike Meinhof bei "Konkret", und später derjenige, der ihren Töchtern wahrscheinlich das Leben rettete, als er sie in Sizilien holte. Sonst wären sie nämlich in einem palästinensischem Lager gelandet, das kurze Zeit später bombadiert wurde. (Aust hatte von Meinhofs zeitweiligem Freund erfahren, wo die Mädchen sich befanden.)


    Regenfisch, dann muß für deinen Vater der Herbst 77 doppelt schrecklich gewesen sein.


    Alle: filmisch gesehen, kann ich Breloers Zweiteiler "Das Todesspiel" (ein Dokudrama sowohl mit "echten" Interviews als auch gespielten Szenen) mehr als den Film "Der Baader Meinhof Komplex" empfehlen, u.a., weil er übersichtlicher ist und sich auf einen engeren Zeitraum konzentriert. Aber auch, weil Breloer eben auch die Opfer zu Wort kommen läßt - gerade bei der Entführung der Landshut.

    Zwischen "Götterdämmerung" und "Schlaf der Vernunft" lag immerhin (mehr als) ein Jahrzehnt. Ich fahre weiter mit meinem Zickzackkurs durch die Geschichte fort; hin und wieder komme ich dabei sicher noch öfter in der Gegenwart an, nicht immer in Romanform (Kurzgeschichten und Novellen gibt es ja auch), doch die überwiegende Mehrzahl meiner Romane wird weiterhin historischer Natur sein - der Stoffbereich ist einfach viel größer! :-)

    Saiya, ich verstehe deine Reaktion. (Doch natürlich hoffe ich, daß du dem Buch zu einem späteren Zeitpunkt noch mal eine Lesechance geben wirst.)


    Ohne die RAF in irgend einem Punkt entschuldigen zu wollen, würde ich allerdings als Amateurhistorikerin festhalten wollen, daß es im Frühstadium wenigstens noch Diskussionen über den Einsatz von tödlicher Gewalt gab. Damit halten sich heutige Terroristen (ob der IS oder solche Typen wie Andre Breivik) noch nicht mal mehr gedanklich auf.


    Wie immer mehr "Gegner" gedanklich enthumanisiert und damit für legitime Ziele erklärt werden, ist natürlich ein Mechanismus, der sich in den 70ern ebenfalls, und damit auch bei Martina in meinem Buch, zeigt. Was ich jedoch ebenfalls für erzählenswert halte, und was vielleicht gerade in so einer erschütternden Gegenwart diskussionswert ist: können Menschen, die sich einmal so radikalisiert haben, sich ändern? Umdenken? Sich der Ungeheuerlichkeit ihrer Taten bewußt werden?


    Wir leben in einem Land, wo ein beträchtlicher Teil meiner Großelterngeneration sich an Massenmord entweder aktiv oder billigend beteiligt hat. Und danach Jahrzehnte lang ein völlig anderes Leben führte... (Womit ich keine Ideologie-Vergleiche ziehen will, sondern nur zu der Frage nach Mördern und der Zukunft.)

    Logan-Lady, Martinas Entwicklung war natürlich eine der größten erzählerischen Herausforderungen - ich wollte verständlich und nachvollziehbar machen, warum sie die wurde, die sie in der "Gegenwartshandlung" 1998 ist, ohne sie zu entschuldigen.


    Alle: es freut mich, daß ihr Steffen so mögt. Er ist u.a. in dem Roman, weil mir mein Namensvetter Klaus Kinkel - mit dem ich aber nicht blutsverwandt bin! - bei der Recherche einiges über seine Personenschützer erzählt hat, zu denen er immer noch ein enges Verhältnis hat. Daß bei den Attentaten eben nicht "nur" die prominenten Opfer, sondern auch Personenschützer und Chauffeure ums Leben kamen, wird häufig übersehen, und daher ist nicht nur der Vater von Alex ein Chauffeur, sondern Steffen eben auch eine wichtige Figur. Ich wollte den Personenschützern ein Gesicht geben, statt sie nur anonym am Rand auftauchen zu lassen.

    Rosenstolz und Herr Palomar, vertraute Gesichter in der Leserunde zu sehen, ist immer schön. :knuddel1


    Xexos, im Fall von Christian Klar kam wohl dazu, daß er nicht nur direkt für den Mord an Ponto verantwortlich war - bei den meisten RAF-Attentaten war ja nicht bekannt, wer genau was getan hatte, aber bei Ponto war seine Frau Augenzeugin gewesen -, sondern auch noch einen sehr prominenten Unterstützer hatte, Claus Peymann, der ihn für den Fall seiner Entlassung eine Stelle an seinem Theater versprach. Das brachte die Leute noch einmal extra auf die Palme.


    Corinna Ponto schrieb in ihrem erschütternden Buch "Patentöchter", daß ihre Mutter nach New York zog, weil sie Angst hatte, den Mördern ihres Mannes zufällig auf der Straße zu begegnen, nachdem diese entlassen worden waren.

    Rumpelstilzchen, genau. Heinrich Albertz allerdiings ist einer der wenigen Politiker, der später seine Taten nicht nur anders sah, sondern auch Konsequenzen daraus zog - daß er bereit war, bei der Lorenz-Entführung als Vermittler zu arbeiten, was ihn ja auch das Leben hätte kosten können, habe ich auch immer als Buße für sein Verhalten in Berlin gesehen.

    Logan_Lady, gern geschehen.


    Die Anti-Schah-Proteste und die Polizei-Reaktion darauf waren für Martinas Generation ein einschneidendes Erlebnis. Und landeten sogar in den amerikanischen Nachrichten, was sonst bei Ereignissen in Deutschland, die nichts mit den USA zu tun haben, noch heute kaum der Fall ist. Hier ist der Nachrichtenclip von 1967:


    https://youtu.be/AEp_0ioz1BM


    Und wer Zeit für eine 40-minütige Doku auf Deutsch über den Tod von Benno Ohnesorg und die Anti-Schah-Proteste hat:


    https://youtu.be/pmZttDkvsls

    Hallo Saiya!


    Helmut Schmidt: ja, das ging mir auch so, als heute nachmittag die Meldung kam. Ich hatte natürlich die letzten zwei Jahre so oft gedanklich in seiner Kanzlerzeit gelebt...


    ...die ich als Kind erlebt hatte, ein wenig älter als du, ich bin Jahrgang 1969.


    Vorbilder: ja und nein. Nicht im eins zu eins -Verhältnis: vielmehr habe ich aus verschiedenen Mosaikbildern Steine genommen und zu einem neuen Bild zusammen gesetzt. Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhoff z.B. hatten beide den gutbürgerlichen Hintergrund mit idealistischen Eltern respektive Erziehungsberechtigten, während Christian Klar den Direktoren/Lehrervater hatte.


    Das zentrale Attentat des Romans hat auch Elemente von mehreren tatsächlichen Attentaten. Den Staatssekretär Werder gab es zwar nicht, aber in seiner Funktion ist er an einen Freund meiner Eltern angelehnt, der damals Staatssekretär im Justizministerum war, Hans de With. Nicht oft kann man ein Mordopfer fragen, ob es etwas dagegen hat, umgebracht zu werden, aber ich konnte. :-)

    Felton: am S.383 der Festeinband-Ausgabe ist davon die Rede. Tom Blount schlägt Maudlin (dem Rechtsexperten aus Oxford) vor, auf Bessessenheit von Felton zu plädieren, und sich das Gutachten (was von mehr als einem Gelehrten bezeugt werden muß) von Anthony Forster bezahlen zu lassen, mit Hinweis darauf, daß sonst Barbara Cross - als der letzte bekannte Fall von Besessenheit - als Zeugin gerufen würde.


    Tom weiß natürlich im Gegensatz zu Maudlin, daß Forster wegen seiner Erpressbarkeit in Sachen Barbara Cross einknicken wird. Das bedeutet zwar keinen Freispruch für den armen Felton, aber für den müßte man seine Unschuld beweisen - was nicht geht, ohne Cecils Helfer zu einem Geständnis zu bewegen, und das ist aussichtlos. Aber es rettet Feltons Leben, denn als von einem Dämon besessener kann er für seine Taten während der Bessessenheit nicht verantwortlich gemacht werden.

    Lumos, Kirsten, ja, bis zu einem gewissen Grad war es eine Wahl. Aber andererseits kann man in einem Staat wie diesem, in einer Zeit der Religionskriege zumal, auch dann nicht gefahrlos leben, wenn man in seinen eigenen vier Wänden (so man diese hat) bleibt. Und wenn man irgend eine Art von langfristigem Erfolg wollte? Dann war man auf einen Patron angewiesen. (Siehe eben Schauspieler wie Frobisher.) Sich da den falschen auszusuchen wiederum konnte sehr gefährlich werden...

    Kirsten, so ist es. Daher wurden Mädchen auch mit 13 Jahren als erwachsen und heiratsfähig betrachtet. (Was immer noch später war als zwei Generation vorher: die Mutter des ersten Tudor-Königs, Margaret Beaufort, ist mit 12 verheiratet und geschwängert worden und brachte mit 13 ihr erstes und einziges Kind zur Welt, den späteren Heinrich VII. Brrr.) Fairerweise muß man dazu sagen, daß die meisten Mädchen schon ein paar Jahre später verheiratet wurden, eher mit 17 aufwärts.

    Kirsten, die durchschnittliche Lebenserwartung war damals, glaube ich, 36 Jahre. (Aber nagele mich darauf nicht fest, ich habe es nicht nachgeschaut, und die Recherche ist ein Jahrzehnt lang her.) Das gilt natürlich für die Gesamtbevölkerung. Thomas hat den Vorteil, Mitglied der Gentry zu sein. Er hat nie hungern müssen, selbst, als es den Dudleys schlecht ging, und keine körperliche Schwerstarbeit leisten, was seine Lebenserwartung steigert. Aber er wird tatsächlich bereits als Mann in mittleren Jahren betrachtet.

    Patricia, das Verhältnis Amy-Tom Blount dauerte zwar nicht lange, aber ich ging beim Schreiben davon aus, daß sie mehr als einmal Sex hatten. Was Amys Schlußfolgerung betrifft, keine Kinder bekommen zu können: sie war ohnehin in einem desperaten Zustand, und hatte eben gehofft, daß es an Robin gelegen haben könnte, daß sie bisher keine Kinder hatte.


    Nebenbemerkung hier: aus der historischen Rückschau ist man immer klüger - wir Nachgeborenen wissen natürlich, daß Robert Dudley in der Lage war, Kinder zu zeugen. (Er hatte später sowohl einen unehelichen Sohn als auch einen aus seiner zweiten Ehe, der jedoch noch als Kleinkind starb.) Aber die handelnden Figuren können das - noch - nicht wissen. Wenn ein Paar keine Kinder bekam, gab man zwar leider automatisch vorzugsweise den Frauen die Schuld (siehe: Heinrich VIII.), doch es war den Leuten natürlich auch schon klar, daß es manchmal am Mann liegen konnte. Amy hatte gleich mehrere Gründe, auf ein Kind zu hoffen: wenn sie schwanger geworden wäre, dann hätte es eine Annullierung/Scheidung der Ehe mehr als unwahrscheinlich gemacht - Robin war, wie die meisten Männer seiner Zeit, dazu erzogen, auf Erben seines Namens höchsten Wert zu legen. (Er kam außerdem sehr gut mit Kindern aus, wie sich später zeigen sollte - seine Nichten und Neffen vergötterten ihn - aber das stand noch in der Zukunft.) Außerdem hätte ihr ein Kind einen Vorzug vor der Königin verschafft, etwas, das Elizabeth ohne Ehe nie haben durfte. Und es hätte für sie einen neuen Lebensinhalt bedeutet.


    Daß ihr Seitensprung nicht in einem Kind resultierte - und sie wußte ja, daß Tom bereits Söhne hatte, also konnte es nicht an ihm liegen - machte diese Träume zunichte. Wenn sonst in ihrem Leben alles zum Besten gestanden wäre, dann wäre das durchaus zu verkraften gewesen, aber dem war nicht so.



    Ich möchte mich auch bei allen Teilnehmern - bisherigen und späteren Postern - für das Leben meines elisabethanischen Krimis bedanken. Es war schön, noch einmal in diese Welt zurückkehren zu können.

    Ob Elizabeth (anfänglich oder überhaupt) in Seymour verliebt war oder nicht, ist Interpretationsfrage des jeweiligen Autors. In meinem Roman war sie es nicht. Ich denke, am Anfang hat sie es schlicht und einfach genossen, in einem übermütigen, zwanglosen Haushalt voller Zuneigung zu leben. Catherine Parr war ihre Lieblingsstiefmutter, und nun mußte sie nicht mehr um deren Kopf fürchten. Aber als die Aufmerksamkeiten von Seymour dann eindeutig sexuell wurden, reagierte sie verstört, hatte aber keine Möglichkeit, mit irgend jemanden darüber zu reden, denn, wie sie auf S. 141 der Erstausgabe zu Kat sagt, "Wenn ich versucht habe, mit dir über ihn zu sprechen, dann hast du mir immer noch sein Loblied gesungen und gemeint, wie dankbar ich ihm doch sein müsste".


    Wie sagt, daß ist meine Interpretation in diesem Roman. Es ist durchaus möglich, eine Variante zu schreiben, in der Elizabeth für Seymour schwärmte, aber das ist dann ein anderer Roman.