Beiträge von Tanja Kinkel

    Saiya, danke fürs Mitlesen. Deine und die enthusiastische Rezension der anderen bedeutet mir sehr viel, gerade bei diesem Buch, das wie seinerzeit "Götterdämmerung" aus dem Themenbereich meiner übrigen Romane etwas ausschert.


    re: Renate, es war mir wichtig, daß man am Ende auch sie versteht. Obwohl verschiedene der Figuren - Martina natürlich, aber auch andere - Verbrechen begangen haben, hat der Roman im Prinzip keine "klassischen" Schurken, außer dem Stasi-Obersten Liebert, und der war vermutlich ein guter Vater, sonst würde sich seiner Tochter nicht so von ihm einspannen lassen. :-)

    Saiya, ja, die frühe Kindheit von Angelika und ihre Erinnerungen daran, an die Liebe ihrer Mutter damals, sind der tiefste Grund, warum sie ihrer Mutter noch eine Chance gibt.


    Re: betongrau - na ja, Margarethe von Trotta nannte es "die bleierne Zeit". :-( So lange sich der Roman nicht wie Beton oder Blei liest... :-]

    Renate: ein Roman aus der Perspektive von Renate hätte sie sympathischer gemacht, denn dann hätte ich bei den Rückblicken natürlich ihre innere Zerrissenheit ausgemalt. Aber ihr seht sie aus Angelikas Perspektive, und Angelika steckt eben voll gewaltiger Ressentiments gegenüber Renate, von denen einige begründet und andere übertrieben/unfair sind.


    Was den Beschluß betrifft, Angelika bei den Großeltern abzugeben: nicht war es für Angelika das Beste, und ermöglichte Renate, mit ihrer Karriere weiter zu machen, letztendlich hatte Renate auch juristisch - was sie als Anwältin wußte - nicht den geringsten Anspruch auf das Kind. Sie war nicht blutsverwandt, Martina hatte sich durch das Verschwinden in den Untergrund den Anspruch verscherzt, einen Vormund bestimmen zu können, und im Fall eines Prozesses hätte das Gericht wohl entschieden, Angelika den wohlhabendsten nächsten Blutsverwandten zu geben - also Jürgens Vater und dessen zweiter Frau. Das wäre für Angelika alles andere als gut gewesen.

    Ein Phänomen in der Frühzeit der RAF war ja, wie viele (und nicht nur Ulrike Meinhofs ehemalige Kollegen aus der Journalistenbranche) bereit waren, den Mitgliedern Unterschlupf zu geben. Das änderte sich erst allmählich mit der sogenannten "Mai-Offensive" (und dem steigenden Gewaltlevel). Ein paar dieser Frühsympathisanten wurden später selbst Terroristen, wie Martina, andere nicht (und waren im Nachhinein erleichtert, den Absprrung geschafft zu haben), aber Tatsache bleibt, daß es in der Frühphase diese Bereitschaft gab (die natürlich das Selbstbild der RAF bestätigte). Einer der berühmtesten Fälle: Luise Rinser, die Gudrun Ensslin und Andreas Baader in Italien kennenlernt, bewirtet, und danach an Gudrun Ensslins Mutter schreibt, "Gudrun hat in mir eine Freundin fürs Leben gefunden".

    Zwergin: Wie gehen wir in einem Rechtsstaat mit Verbrechern um? war damals eine der wichtigsten Fragen - Jahre vor Guantanamo, Abu Ghraib etc.


    Ich hoffe angesichts der derzeitigen Ereignisse nur, daß unsere vielbeschworenen "Werte" sich auch bewähren, und wir uns nicht nach jüngeren Vorbildern orientieren, was die Behandlung von (aucn noch so mörderischen) Gefangenen betrifft...

    Xexos, ich würde schon vermuten, daß mediale Aufmerksamkeit einen Unterschied ausmacht. Siehe auch derzeit die verschiedenen Reaktionen auf zwei unmittelbar aufeinander folgende Terroranschläge, einer in Beirut, einer in Paris:


    http://www.sueddeutsche.de/dig…en-weniger-wert-1.2739151


    Andere Faktoren sind räumliche Nähe und Identifikationspotential mit den Opfern, würde ich sagen. Z.B.: der Germanwings-Pilot, der dieses Jahr seine Passagiere und sich selbst umbrachte, handelte nicht aus politischen (wie verzerrt auch immer) oder ideologischen Gründen, aber seine Tat entsetzte trotzdem unendlich viele Menschen, auch weil sich jeder bewußt war, daß man selbst, oder die Familie, in so einem Flugzeug hätte sitzen können...

    Xexos, nein, weil dann das betreffende "Kind" garantiert als Original zu Angelika gesehen worden wäre, auch wenn das gar nicht die Absicht war. Ich wollte Angelika als eigenständige Person kreieren, nicht als Porträt.


    Allerdings habe ich natürlich die Interviews, die es gibt, gelesen/gehört/gesehen. Die meisten wollen sich nicht öffentlich äußern, aber es gibt Ausnahmen. Am prominentesten Bettina Röhl, die... ein Fall für sich ist, was ihre eigenen politischen Ansichten betrifft. Siehe jüngste Verlautbarungen zum Thema Flüchtlinge. Aber in bezug auf die emotionale Auswirkungen, die eine Terroristin als Mutter hat, ist sie natürlich Zeitzeugin Nr. 1; hier ist ein Gespräch, daß sie mit Margarethe Mitscherlich geführt hat:


    https://chrismon.evangelisch.d…ist-eine-gute-mutter-6807

    Xexos, Rumpelstilzchen hat Ulrike Meinhof schon erwähnt. (Auch Gudrun Ensslin und Andreas Bader hatten Kinder, doch sie hatten den Kontakt noch viel früher abgebrochen, als Ulrike Meinhof es tat.)


    Re: keine behutsame Annäherung - Angelika plant zwar eine, aber wie bei so vielen guten Vorsätzen scheitert dieser an der Wirklichkeit. Gerade, wenn man sich vornimmt, über bestimmte Themen NICHT zu reden, landet man garantiert bei genau diesen...

    Rumpelstilzchen, über das Ende habe ich lange nachgedacht, ehe ich das Buch überhaupt begann, denn wie Du sagst - ich wollte unglaubwürdigen Pathos vermeiden, aber andererseits auch Zynismus. Die Frage "wo will ich mit diesen Figuren hin, und wie kann ich das glaubwürdig erreichen" war bei diesem Buch noch einen Grad wichtiger als sonst.

    Zwergin, Martinas Meinung zu den Grünen reflektiert die von Brigitte Mohnhaupt in den Gesprächsprotokollen, die mir von Klaus Kinkel zur Verfügung gestellt wurden. Ein wenig vermute ich da natürlich einen sauren-Trauben-Effekt - die RAF hat nicht eine ihrer ursprünglichen politischen Ziele erreicht, eben weil sie, anders als z.B. die IRA in Irland, keine eigene politische Partei hatte. (Die IRA hatte Sinn Fein.) Die politische Bewegung der 70er Jahre, die tatsächlich später etwas bewegen konnte und Einfluß auf die Politik gewann, waren die Grünen.


    Wie auch immer: laut den Gesprächsprotokollen mußte man Antje Vollmer, die mit Brigitte Mohnhaupt sprechen wollte, nur erwähnen, um ein paar äußerst scharfe Bemerkungen zu hören. Das inspirierte Martinas Haltung.

    Logan-Lady, den Namen Liebig hast du schon richtig identifiziert.


    Herr Palomar, was mir sowohl Hans de With als auch Klaus Kinkel (nicht verwandt) über ihr Verhältnis zu ihren Personenschützern erzählten, stand mir immer vor Augen. Ich wollte sie in dem Roman als Individuen mit unterschiedlichen Standpunkten rüberkommen lassen, und natürlich war die Szene auch eine gute Möglichkeit, eine typische 70er-Jahre Debatte auf der staatlichen Seite einzubinden.

    Rumpelstilzchen, Gefangene, die nach einem so langen Zeitraum in Freiheit kommen, sind ja tatsächlich überdurchschnittlich suizidgefährdet, auch, wenn sie keine Ex-Terroristen sind. Der Pastor am Anfang war zwar etwas besserwisserisch, aber er hatte schon seine Gründe, Angelika zu bitten, ihrer Mutter eine Chance zu geben.


    ...zu Michael Werder, dem Bürgermeister, sage ich nichts, flüstert sie geheimnisvoll.