Beiträge von Tanja Kinkel

    Beowulf, es waren Reisepapiere, in denen eine Personenbeschreibung stand, und die sich die Leute meistens nur ausstellen ließen, wenn sie tatsächlich die Absicht hatten, zu verreisen, von Vertretern der jeweiligen Behörden - das konnten Amtsrichter oder Militärs sein, oder ein Herzog (z.B. brauchte Goethe, als er Christiane und den gemeinsamen unehelichen Sohn August nach Frankfurt mit nahm, um sie seiner Mutter vorzustellen, vom Herzog ausgestellte Reisepapiere für Christiane und August).


    Als ich in diesem April noch einmal in Italien war, entdeckte ich in einem Museum in Padua doch tatsächlich die Reisepapiere, die Giovanni und Sarah Belzoni sowie James für ihre Reise von Zypern nach Ägypten ausgestellt worden waren, was mich, da Sarah die Hauptfigur von "Säulen der Ewigkeit" ist, natürlich entzückte.

    Nicigirl85, der Paß ist ihm tatsächlich abhanden gekommen. Jedenfalls behauptet er das in seinen Memoiren! ;-) Das ist ihm allerdings wirklich nicht noch einmal passiert. Im damaligen Europa, nicht nur in Italien, gab es ja so viele Kleinstaaten, daß man seine Papiere ständig zeigen mußte. Giacomo hat sich zwar im allgemeinen sehr gut auf das Durchbluffen verstanden, aber wenn man halt an einen Bürokratenhengst gerät.


    Die Ehe: war in der Endzeit des Ancien Regimes in der Tat eine durch und durch unromantische Angelegenheit. Ausnahmen gab es natürlich immer. Ein Zeitgenosse von Angiola Calori und Giacomo Casanova, James Boswell, der durch seine Biographie seines Freundes Dr. Johnson berühmt geworden ist und ein besessener Tagebuchschreiber war, hatte zwar viel Freude am Sex und eigentlich vor, auf Geld und Ansehen zu heiraten, aber dann kam es völlig anders, und er heiratete seine beste Freundin, die auch seine Cousine war, und die ihn durch und durch kannte. Sein Vater war fuchsteufelswild. (James B. sollte NEUES Geld heirate und in die Familie bringen, nicht eine von dem ärmeren Zweig.) Er brachte es zwar in der Ehe nicht immer fertig, ihr treu zu sein, aber er liebte sie heiß und innig, und als sie nach ein paar Jahrzehnten starb, brach ihn das, und er kam nie darüber hinweg. Wegen der Tagebuchschreiberei haben wir das dokumentiert, also nicht von Biographen später hineininterpretiert, und ich würde das sehr wohl eine Ehe, die gleichzeitig auch eine romantische Liebe ist, nennen.

    Danke allen, die kommentiert haben und noch kommentieren werden, fürs Mitmachen! Lady Tudor, eine Fortsetzung ist derzeit nicht geplant; mein nächstes Projekt führt mich auf einen anderen Kontinent. Brigia, Casanova war leider nie gut darin, von etwas die Finger zu lassen, daß er versuchen wollte (er blieb allerdings nicht lange Soldat), aber bekommt er nicht zumindest einen Bonuspunkt dafür, seiner alten Flamme Bettina aus ihrer Misere geholfen zu haben? ;-)


    Streifi: hier ist die Oper, wo die Schlußszene stattfindet:


    https://www.facebook.com/photo.php?fbid=244086265697669&l=d4320ac6ac


    Übrigens, wenn ihr den Photos interessiert seid, die ich letztes Jahr auf der Recherchereise gemacht habe:


    Neapel:


    https://www.facebook.com/tanja.kinkel/media_set?set=a.244080732364889.45769.100002888910660&type=3


    Bologna:
    https://www.facebook.com/tanja.kinkel/media_set?set=a.243056212467341.45592.100002888910660&type=3


    Und ein älteres Album: Karneval in Venedig:


    https://www.facebook.com/tanja.kinkel/media_set?set=a.188978997875063.34349.100002888910660&type=3

    Für dich und andere Interessenten ein paar Youtube-Links:


    Cecilia Bartoli singt Händels "Ombra Mai Fu", eine der berühmtesten Kastratenarien, die auch Angiola Calori in dem Roman singt:


    http://youtu.be/2_1UYs1FxAI


    Eine Szene aus dem Film "Farinelli", die einen sehr guten Eindruck einer Opernaufführung in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts und des Starkults um die Kastraten gibt (die Stimme von Farinelli wurde für den Film digital aus den Stimmen eines Countertenors und eines Soprans gemischt):


    http://youtu.be/A8t_WySo414

    Fellini ist generell nur bedingt mein Fall. Was filmische Inkarnationen von Casanova betrifft: Marcello Mastrioanni gibt eine uneitle und doch zutiefst menschlich und sympathische Darstellung des alten Casanova in "Die Flucht nach Varennes", was überhaupt ein sehr schöner Ensemblefilm ist, in dem zu Beginn der französischen Revolution Vertreter der alten und neuen Welt aufeinander prallen. Alain Delon als Casanova in mittleren Jahren, dem klar wird, daß es mit seiner Jugend endgültig vorbei ist, in "Casanovas Rückkehr" ist auch sehr gut. Was den jungen Casanova betrifft, da ist meine Lieblingsinkarnation David Tennant in dem Fernseh-Zweiteiler "Casanova" (der auch einen wunderbaren Peter O'Toole als alten Casanova bietet).

    Brigia, es freut mich, daß dir der Unterschied in der Haltung der beiden Protagonisten ihren Familien gegenüber auffällt, denn das war mir wichtig, ohne es mit dem Holzhammer deutlich machen zu wollen. Daß die Trennung/Verzicht auf eine Ehe als emotional logisch für die Charaktere herüber kommt, ist eine große Erleichterung, denn das ist ein wichtiger Handlungs-, und Charakterisierungspunkt. Als Leserin anderer Romane habe ich "es ist halt so passiert" nie für ein genügendes Argument gehalten; ich fand immer, wir Autoren müssen innerhalb des Buches selbst plausibel machen, warum die Charaktere dieses und jenes tun.

    Liesbett, was Angiolas Stimme betrifft: Cecilia Bartoli hat vor ein paar Jahren ein Album namens "Sacrificium" aufgenommen, in dem sie Kastratenarien singt, was einen ganz guten Eindruck davon verschafft, wie ein weiblicher Sopran solche Arien meistert.


    Nicigirl85, den "Kastratenbusen" gab es tatsächlich, wenngleich nicht bei allen. Im Prinzip gab es zwei körperliche Grundtypen bei Kastraten, wenn sie älter wurden. Entweder groß und hager, oder stämmig und später sehr, sehr dick. In jedem Fall waren Brustkorb und Hände größer als bei durchschnittlichen Männern. (Das galt natürlich nur für Kastraten, die vor der Pubertät kastriert wurden, nicht für Männer, denen das warum auch immer später passierte.)

    Brigia, ja, der Abschnitt hatte Casanovas Memoiren und seine Schilderung "Bellinos" natürlich als eine der Hauptquellen. Z.B. ist "„Sie wären nicht geheilt worden (...) Nein, Sie wären nicht geheilt worden, einerlei, ob ich Mädchen oder Knabe bin, denn Sie sind in meine Person verliebt, und Ihre Verliebtheit hat mit meinem Geschlecht absolut nichts zu tun.“ ein direktes Zitat. (Das war auch die Stelle in den Memoiren, die mich immens für die Person "Bellino" einnahm und neugierig auf sie machte.) Aber natürlich ist auch einiges anders; es hätte ja keinen Sinn gehabt, einfach nur etwas schon Erzähltes abzuschreiben, und allein der Perspektivwechsel hat Unterschiede verlangt, denn Casanova schreibt als alter Mann aus der Rückschau, während Angiola Calori als junge Frau keine Ahnung hat, was als nächstes passieren wird.


    Die Familie Lanti, Don Sancho und Lucia Calori sind alle noch nicht von der Bühne verschwunden. ;-)

    Beowulf, an die Pfandbrief-Werbung in den RoRoRo-Büchern erinnere ich mich noch! Aber ich wußte nicht, daß in dem Ebook Werbung ist, ich werde eure Reaktionen an den Verlag weiterleiten.


    Tanzmaus: Angiolas Mutter hast du nicht zum letzten Mal gesehen.


    Nachtgedanken: Appianino ist leider wirklich gestorben. Da hat mir das Leben die tötende Feder geführt.

    "Man umarmte mich, befahl mir, immer den Befehlen recht artig nach zu kommen, und ließ mich in dem Hause. So entledigte man sich meiner." Soweit Casanova, Originalton als alter Mann in Böhmen, darüber, wie seine Mutter ihn in der Schule in Padua unterbrachte. Lady Tudor, seine Schilderung seiner Mutter, die Mischung aus Bewunderung - wie schön, elegant und erfolgreich als Schauspielerin sie war, davon wird in den Memoiren auch geschwärmt - und vehementen Ressentiment, das z.B. aus diesem "so entledigte man sich meiner" spricht - ist auch nach all diesen Jahren ist so lebhaft, daß mir diese Interpretation unwiderstehlich schien.

    Lesebär: Auf Angiola Calori stieß ich durch Casanovas Memoiren. Ich wollte wissen, in wieweit die "Bellino"-Episode auf Realität beruht, und fand heraus, daß man "Bellino" lange Zeit nicht identifizieren konnte - Casanova gibt ihr in seinem Buch, wie den meisten noch zur Zeit des Verfassens lebenden Damen - einen Decknamen, Teresa -, bis den Forschern das Originalmanuskript der Memoiren zugänglich wurde, und dort diverse Ausstreichungen des Originalnamens klarmachen, daß es sich um Angiola Calori handelte. Über sie hieß es in dem historischen Sängerlexikon, das ich konsultierte, daß sie einen erstaunlichen Stimmumfang gehabt habe, und als ich schließlich Charles Burneys "Musikalische Reise durch Europa" las, 1770 erschienen, sah ich, daß sie noch dreißig Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit Casanova 1744 europaweit sang (Burney, der sie aus London kannte, hörte sie an der Oper in Dresden). Das wäre selbst für eine heutige Sängerin eine phantastische Karierre; sie mußte also nicht nur Talent, sondern auch immense Willenskraft und Energie gehabt haben. Das machte mich noch neugieriger - wo stellten sich bei ihr die Weichen, was formte sie, wieweit beeinflußte sie das Leben als angeblicher Kastrat, und ihr Erlebnis mit dem fast gleichaltrigen Giacomo, der noch keine lebende Legende war, als sie sich begegneten? So entstand der Roman.

    Ulan Bator und das Naadam-Fest dort waren der Endpunkt meiner Reise; die drei Wochen vorher habe ich in Jurten verbracht, überall im Land, vom Khusvgul-See nahe der russischen Grenhe im Norden über das Altai-Gebirge bis zur mittleren und südlichen Gobi nahe der chinesischen Grenze im Süden. Es war eine wunderbare Reise, die gestern nachmittag, als ich wieder in der Heimat eintraf, zuende ging, und ja, sie war für ein Buch, aber worum es genau darin geht, kann ich nicht verraten, da bin ich abergläubisch. :-)


    Die Klöster kann man besichtigen, die meisten Räume: wie bei uns sind die Privaträume natürlich tabu. Allerdings sind alle Klöster in den 1930er Jahren zerstört worden, mußten später wieder aufgebaut werden, und wirken daher größtenteils recht neu.

    Alle: was die Moral der Zeit betrifft, Micaela von Marcard had in ihrem Buch "Rokoko oder das Experiment am lebendigen Herzen", das 1994 bei Reinbek auf Deutsch erschienen ist, wichtige Dokumente zusammen getragen und eine sehr gute und übersichtliche Analyse gegeben, gerade, was die Art betrifft, wie man mit Kindern umging, und die Gründe dafür. Wenn man einschlägige Memoiren liest, fällt einem natürlich auch so mancherlei auf.


    Lebensumstände der Juden: ja, das Ghetto galt noch in den italienischen Städten, allerdings waren die Regeln nicht mehr ganz so streng wie im Mittelalter. Antijudaismus war aber leider auch eine Selbstverständlichkeit - nicht im Sinn von Lynchmobs, aber im Sinn von Vorurteilen, die bei jeder Erwähnung eines Juden in Briefe oder Schilderungen mit einfließen.


    Was den Aufkleber betrifft: so weit ich weiß, ist der auf allen Büchern, die innerhalb der Sonderaktion "50 Jahre Droemer Knaur" erscheinen, so wie eben meines, und daher leider unvermeidlich. Dafür hat der Verlag für jeden von uns Autoren eine kleine Bastelei für die Buchhändler mitgegeben. Bei "Verführung" gibt es z.B. ein schönes Theater und Venedig als Hintergrund aus Pappe. :-)

    Lady Tudor, Appianino gab es wirklich. Leider hat das Netz auf Deutsch nichts über ihn zu bieten, aber wenn du Italienisch kannst, ist hier ein kleiner biographischer Artikel:


    http://www.haendel.it/interpreti/old/appiani.htm


    Casanova nennt in seinen Memoiren Salimbeni als Angiolas erste Liebe, aber während beide, Salimbeni und Appianino, im gleichen Jahr zur Welt kamen, war es Appianino, der früh starb - und in Bologna gastierte - während Salimbeni zu dem Zeitpunkt, als Casanova und Angiola Calori sich begegneten, noch am Leben war, weswegen die Forschung annimmt, daß Casanova, der seine Memoiren ja auf seine alten Tage und aus der Erinnerung schrieb, schlicht und einfach die Kastraten verwechselt hat.


    Angiolas Mutter: warte es ab, sagte sie ominös. ;-)

    Also, zunächst einmal: hallo an alle und danke fürs Lesen und Teilnehmen! Ich schreibe in einem Hotel in Ulan Bator und freue mich, wegen des dortigen Internetzugangs doch von Anfang an statt drei Tage später bei der Leserunde dabei zu sein! :wave


    Herr Palomar: Auf Angiola Calori stieß ich durch Casanovas Memoiren. Ich wollte wissen, in wieweit die "Bellino"-Episode auf Realität beruht, und fand heraus, daß man "Bellino" lange Zeit nicht identifizieren konnte - Casanova gibt ihr in seinem Buch, wie den meisten noch zur Zeit des Verfassens lebenden Damen - einen Decknamen, Teresa -, bis den Forschern das Originalmanuskript der Memoiren zugänglich wurde, und dort diverse Ausstreichungen des Originalnamens klarmachen, daß es sich um Angiola Calori handelte. Über sie hieß es in dem historischen Sängerlexikon, das ich konsultierte, daß sie einen erstaunlichen Stimmumfang gehabt habe, und als ich schließlich Charles Burneys "Musikalische Reise durch Europa" las, 1770 erschienen, sah ich, daß sie noch dreißig Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit Casanova 1744 europaweit sang (Burney, der sie aus London kannte, hörte sie an der Oper in Dresden). Das wäre selbst für eine heutige Sängerin eine phantastische Karierre; sie mußte also nicht nur Talent, sondern auch immense Willenskraft und Energie gehabt haben. Das machte mich noch neugieriger - wo stellten sich bei ihr die Weichen, was formte sie, wieweit beeinflußte sie das Leben als angeblicher Kastrat, und ihr Erlebnis mit dem fast gleichaltrigen Giacomo, der noch keine lebende Legende war, als sie sich begegneten? So entstand der Roman.

    Liebe Büchereulen,


    ich freue mich schon sehr auf die Leserunde mit Euch! Allerdings kann ich mich erst ab dem 15.7. zu Euch gesellen, weil ich von nächsten Sonntag (dem 23.06.) an bis einschließlich des 14.07. auf Recherchereisen in Asien sein werde, für den nächsten Roman, und zum größten Teil in Gegenden, wo es kein Internet gibt. Ich hoffe, Ihr verzeiht mir die leichte Verspätung, und verspreche, sofort nach dem Kofferauspacken alle Kommentare und Fragen zu lesen, die sich bis dahin angesammelt haben.


    Wer Lust hat, sich ein paar Fotos von der letztjährigen Recherchereise nach Italien, speziell Venedig, Bologna und Neapel, wo "Verführung" spielt, anzuschauen, kann das jetzt schon tun, auf meiner Website, unter der Rubrik "Zu 'Verführung'":


    http://www.tanja-kinkel.de/galerie/


    Herzlich und bis in ein paar Wochen,


    Tanja

    Nessi: Eine der reizvollen Aspekte und Herausforderungen für mich beim Schreiben des Romans waren, daß Walther und Judith sich in einer Zeit, in der Waffengewalt praktisch oberstes Gebot war, "nur" durch ihren Verstand und ihr jeweiliges Können (als Dichter/Sänger, als Ärztin) durchschlagen.