Ich hatte nach der Leseprobe und nach dem Klappentext wirklich ein ganz anderes Buch erwartet. Doch ich wurde positiv überrascht. Picoult hat es mal wieder geschafft, komplexe Handlungsstränge unkompliziert zu erzählen und hat somit einen richtig schönen Roman kreiert, der neben fiktionaler Handlung auch ein Stück grausame US-amerikanische Geschichte thematisiert. Ich bin nur der Meinung, dass der Klappentext irreführend ist, denn gerade rationalere Leser, die mit Übersinnlichem und Geistern nicht viel anfangen können, kaufen das Buch nach dem Lesen des Klappentextes nicht und das wäre wirklich schade. Also: lest das Buch, auch wenn euch die Inhaltsangabe nicht so zusagt.
Zunächst einmal kurz etwas zu den Protagonisten: Hauptpersonen gibt es viele, einen von ihnen ist der im Klappentext erwähnte Geisterjäger Ross, der auf der Suche nach seiner verstorbenen Frau ist; dann gibt es noch Shelby, Ross‘ Schwester, mit Sohn Ethan, der an einer tödlichen Sonnenallergie leidet. Außerdem wären da noch Spencer Pike, ein alter Mann im Krankenhaus, Az, ein Abenaki-Indianer, Meredith, eine Pränataldiagnostikerin mit Tochter Lucy und Großmutter Ruby und viele weitere Figuren. Anfangs scheinen die Protagonisten unabhängig voneinander zu handeln, was sich dann jedoch im Laufe des Buches ändert, eben ganz so, wie man es von Picoult kennt. Leider führt die Masse an Protagonisten dazu, dass der Platz nicht auszureichen scheint, um sie tiefgründiger zu charakterisieren. So bleibt Ross Wakeman leider bis zum Schluss ein sich in seinem Selbstmitleid suhlender Bummi, für den ich während des Lesens überhaupt keine Sympathie entwickeln konnte. Anders sieht es da bei anderen Figuren aus, doch ich möchte nichts aus der Handlung vorweg greifen, deswegen schreibe ich das hier nicht so explizit.
Das Buch gliedert sich in drei Handlungsstränge: Moderne – 30er Jahre – Moderne. Im ersten und letzten Teil dreht sich alles um die aktuell lebenden Figuren, einschließlich Geisterjagd und Pränataldiagnostik. Der zweite Teil, der in den 30er Jahren spielt, beleuchtet hingegen ein Thema, von dem ich bis dato nichts wusste. Dieses Thema ist das in den 30er Jahren in Vermont durchgeführte Eugenik-Projekt, ein Vorhaben zur Reinzüchtung der Rasse, bei dem Menschen mit unerwünschten Eigenschaften sterilisiert werden sollten. Jodi Picoult gibt am Ende des Buches übrigens ein interessantes Interview und eine Bibliographieliste zum Thema.
Auch stilistisch ließ sich „Zeit der Gespenster“ wunderbar lesen, ein Lob also ebenfalls an die beiden Übersetzer. Das Buch ließ sich flüssig lesen und wurde dank der vielen unerwarteten Wendungen nicht langweilig.
Fazit: Wirklich weiterzuempfehlen. Anfangs war ich auf Grund der Geistergeschichte etwas skeptisch und nahm fälschlicherweise an, hier würde es sich nicht um einen typischen Roman von J. Picoult handeln. Falsch gedacht: auch hier thematisiert sie diskussionswürdige Themen! Klasse.