Ich bin so dreist, in meiner ersten Leserunde gleich den ersten Beitrag zu schreiben.
Der Roman hielt für mich mit seiner unerwarteten Erzähltechnik gleich eine Überraschung parat: ein auktorialer Erzähler erzählt im Stil des 19. Jahrhunderts, kommentierend und wertend. Auffällig ist auch sofort die dialektale Färbung, einige Begriffe erschlossen sich mir nur im Sinnzusammenhang. Das verleiht dem Text in meinen Augen Authentizität, da die Handlung im Jahr 1805 einsetzt.
Der Roman ist nicht chronologisch aufgebaut, da nach einer Art Vorwort des Erzählers im zweiten Kapitel vom Tod des letzten Einwohners von Eschberg berichtet wird. Dem Leser ist also von Anfang an bekannt, dass die Erzählung ein tragisches Ende nehmen wird.
Mit den ersten Kapiteln bekommt der Leser bereits einen umfassenden Eindruck von dem kleinen Bauerndorf und seinen Bewohnern: es gibt nur zwei Familien, die offensichtlich seit mehreren Generationen fast ausschließlich untereinander heiraten. Die Auswirkungen dieses dauerhaften Inzests sind deutlich sichtbar: „mongoloide Kinder“ sind keine Ausnahme und ihre Geburt wird mit erstaunlicher Gelassenheit hingenommen; andere Behinderungen wie Buckel, geistige Zurückgebliebenheit und Wasserköpfe sind ebenfalls kein Anlass zu Besorgnis. Kranke und behinderte Kinder sind zur Normalität geworden, was ich beim Lesen als erschreckend empfunden habe.
Überhaupt scheint eine allgemeine Gefühllosigkeit bei den meisten Bewohnern Eschbergs vorzuherrschen. Die Hebamme, die bei der Geburt von Elias helfen soll, ist vollkommen von ihren eigenen Gedanken über ihre Zukunft eingenommen, während neben ihr die Frau im Kindbett vor Schmerzen laut schreit. Die Hebamme wird erst aufmerksam, als sie feststellt, dass das Kind bereits geboren ist, aber nicht schreit. Mein Eindruck ist, dass sie in diesem Augenblick nur aus Angst vor dem Zorn Gottes dem Kind zur Hilfe eilt und es schließlich zum Atmen bringt.
Im Allgemeinen scheint aber nicht Glaube, sondern Aberglaube vorzuherrschen. Nach seiner „Verwandlung“ halten die Bewohner Elias offenbar für vom Teufel besessen, da ihnen die gelben Augen und die Bassstimme unheimlich sind. Eine Freundin der Mutter versucht denn auch, die gelben Augen mit verschiedenen Pflanzen und Kräutern zu heilen und wendet sich von der Familie ab, als dies nicht funktioniert. Die Mutter wiederum hält Elias seit seiner „Verwandlung“ so weit wie möglich vom Dorfleben fern, nicht um ihn zu schützen, sondern um sich selbst Spott und Anfeindungen zu ersparen. Sie sieht ihren Sohn als Strafe Gottes und hätte lieber ein „mongoloides Kind“ gehabt.
In dieser Umgebung wird es Elias unmöglich gemacht, sein sich entwickelndes Talent richtig zu entfalten. Vor allem im dritten Kapitel, „Die Ungeborenen“, wird deutlich, wie sehr der Erzähler dies bedauert: „Welche prachtvollen Menschen, Philosophen, Denker, Dichter, Bildner und Musiker muss die Welt verloren haben, nur weil es ihnen nicht vergönnt war, ihr genuines Handwerk zu erlernen.“
Diese Aussage gilt in gewissen Regionen mit Sicherheit bis heute.