Beiträge von Silberdistel

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    Original von Wiebke
    Ihr Lieben,


    am nächsten Freitag, 28.9.2012, bin ich ab 21.45 Uhr Talkgast beim "Kölner Treff" (WDR). Ich bin wohl ganz zum Schluss dran und rede über "Alles muss versteckt sein". Und noch ein paar mehr, ähm, Dinge.


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    Hallo Wiebke,
    ich wollte Dir nur noch mal kurz (leider etwas verspätet) zu Deinem gelungenen Besuch beim Kölner Treff gratulieren. Ich war kurz danach im Forum (Zwangserkrankungen.de) und es waren 70 Besucher (sonst sind es eher 10) anwesend. Das war sicher kein Zufall. Ich könnte mir denken, dass Deine Ausführungen bei vielen Menschen Interesse geweckt haben oder (was noch wichtiger wäre) Betroffene auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht haben. Dafür nochmal vielen Dank,
    Silberdistel

    Zitat

    Original von Mulle


    Natürlich sind die Eltern gegen eine Erzieherin mit solchem Krankheitsbild. Wer wäre das nicht?


    Ich hab einen ziemlich guten Einblick in die Welt der Zwangsgedanken. Mir macht das überhaupt keine Angst. Trotzdem würde ich meine Kinder nicht in der Obhut von jemandem lassen, der dies hat und den ich nicht in- und auswendig kenne.
    Nicht einmal, weil etwas passieren könnte. Sondern weil das einfach unangenehm sein muss. Und die Kinder merken ja etwas, können aber nicht einordnen, was sie da merken.
    Nein, Marie wieder im Kindergarten - das geht gar nicht.


    Ich musste ein wenig darüber nachdenken, ob ich noch etwas zu diesem Thema schreiben soll. Denn es ist ja praktisch schon abgeschlossen und ich will hier auch niemanden nerven, außerdem weiß ich nicht, ob ich meine Gedanken und Gefühle so richtig herüberbringen kann. Ich habe mich dann aber entschieden, es trotzdem zu tun.


    Mulle, Du schreibst, Du glaubst nicht, dass Marie den Kindern etwas antun würde, hättest aber Sorge, dass sie vielleicht etwas von dem, was in Marie vorgeht, mitbekommen würden.


    Nur war (worauf Wiebke ja auch bereits hingewiesen hat) im Buch ja davon die Rede, dass Marie gar nicht mehr an diesen starken Zwangsgedanken litt, so dass es da folgerichtig auch gar nicht mehr so viel gab, was die Kinder merken könnten.


    Marie vom Kindergarten fernzuhalten wäre dann mehr eine prophylaktische Herangehensweise, für den Fall, dass Zwangsgedanken wieder auftauchen.
    Ich denke Marie hat gute Karten, was das angeht. Die Zwangserkrankung entwickelte sich nach einem sehr traumatischen Ereignis (so etwas erlebt man ja zum Glück nicht alle Tage) und bestand vergleichsweise kurze Zeit, so dass sie sich wahrscheinlich nicht so extrem verankern konnte. Aber selbst wenn wieder Zwangsgedanken auftauchen sollten, ist die Situation ja inzwischen eine andere. Sie ist ihnen nicht mehr so hilflos ausgeliefert, sondern weiß wie sie damit umgehen muss. Ich denke, wenn man es einmal geschafft hat, eine Zwangerkrankung soweit zurückzudrängen wie es bei Marie der Fall war, gelingt das auch ein zweites mal.


    Aber angenommen Marie hätte noch Zwangsgedanken, was würden die Kinder dann tatsächlich wahrnehmen (die Bilder selbst können sie ja nicht sehen)?


    Es könnte der Eindruck entstanden sein, dass aggressive Zwangsgedanken einem Gefühl großer Wut entspringen oder davon begleitet sein könnten. Denn Gewaltphantasien (dieser Ausdruck wurde ja häufig verwendet) kennt man meistens aus einem anderen Zusammenhang: Man ist sehr wütend auf einen Menschen und stellt sich dann vor, wie man dies auf irgendeine Art körperlich an ihm auslässt. Es ist mehr ein aktives Phantasieren, manchmal empfindet man auch Befriedigung dabei und kann sich sozusagen visuell abreagieren.


    Es gibt aber noch eine andere Art, die bei Zwangsgedanken eine viel größere Rolle spielt. Ich nehme jetzt mal ein Beispiel, das (wenn ich mich recht erinnere) im Buch auch vorkommt. Es kommt zwar eher aus dem autoagressiven Bereich, aber damit können die meisten etwas anfangen und man kann es nicht so leicht verwechseln: Man steht vor einem Abgrund und der Gedanke blitzt auf: Ich könnte mich jetzt in die Tiefe stürzen.


    Da ist man in der Regel keineswegs suizidgefährdet, manchmal noch nicht einmal schlecht drauf. Es sind einfach nur Gedanken. Genausowenig muss man bei agressiven Zwangsgedanken wütend sein.


    Das sind Gedanken, die wie aus dem nichts auftauchen, man fühlt sich eher passiv. Bei einem Menschen ohne Zwangsstörung lösen diese Gedanken meist nur ein Erstaunen aus, aber bei jemandem mit einer Zwangsstörung kann es dazu führen, dass sich dieser immer mehr damit beschäftigt, sie analysiert, versucht zu ergründen was sie zu bedeuten haben oder was sie über ihn aussagen und er entwickelt oft große Angst davor, dass er sie vielleicht in die Tat umsetzen könnte. Die Gefühle, die er durchlebt beziehen sich auf diese Folgegedankengänge und sind daher viel mehr von Selbstzweifeln, Angst oder Schuld usw.geprägt als von irgendeiner anderen Emotion.


    Das sind natürlich auch keine schönen Gefühle und sicher hätten die Kinder lieber eine fröhliche Marie, aber hat irgendjemand sein Kind aus dem Kindergarten genommen als Marie ihr Kind verlor und unter ganz ähnlichen Gefühlen litt?


    Ich glaube auch, dass es natürlich (und auch liebenswert) ist, dass Eltern ihre Kinder vor Leid schützen möchten und dass dieses Bestreben hin und wieder eben auch die Grenzen der Vernunft ein wenig überschreiten kann. Aber von Leid fernhalten ist nicht unbedingt vor Leid schützen.


    Mal das ganze von einer völlig anderen Seite betrachtet:
    Welche Botschaft geben wir unseren Kindern, wenn wir Gefühle von Angst, Trauer und Schuld zur No-Go-Area erklären? Sollten sie nicht auch damit umgehen lernen?


    Könnte nicht, jemand, der eine große Krise in seinem Leben überwunden hat (wie Marie), eigentlich ein Geschenk sein, weil er diesen Gefühlen vergleichsweise unerschrocken begegnen kann, ausstrahlt, dass es Hoffnung gibt, egal wie schrecklich die Situation ist und weil er sich seiner Schwächen bewusst ist.


    Erzieherinnen sind keine Supermenschen (sonst müssten wir sie wenigstens etwas besser bezahlen :-) ), sie haben alle Stärken und Schwächen (und die werden von unterschiedlichen Menschen auch noch sehr unterschiedlich eingeschätzt) und sie werden, wie wir alle, hin und wieder von Tragödien heimgesucht, die ihre Auswirkungen haben.


    Ich habe Marie als Erzieherin mit einer besonderen Hingabe verstanden und ich denke man muss immer die ganz konkrete Situation und den gesamten Menschen betrachten. Das heißt für mich: Sollte sich wirklich irgendwann eine Situation ergeben, die für die Kinder eine richtige Belastung darstellt, so muss man dann sehen, wie man dem begegnen kann, aber nur weil Marie an agressiven Zwangsgedanken erkrankt war, sie für nicht mehr kindergartentauglich zu deklarieren, finde ich nicht gerechtfertigt.


    Gruß,


    Silberdistel

    Zitat

    Original von Wiebke
    Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen e. V. hat mir auch gesagt, dass er kurz zusammengezuckt ist, als er gelesen hat, wie sich das Forum letztlich zum Spinnennetz entwickelt - aber er war auch der Meinung, dass der Roman dennoch einiges zur Aufklärung beiträgt und man ihn als das lesen sollte, was er ist: als eine spannende Geschichte.


    Das kann ich nur unterschreiben. Es war auch eher ein Wehrmutstropfen für mich.


    Gruß,
    Silberdistel

    Die Geschichte ist wirklich äußerst fesselnd geschrieben. Ich habe das Buch innerhalb von 24 Stunden durchgelesen und das will bei mir schon etwas heißen: In den letzten Jahren habe ich leider nur noch kaum gelesen und vieles davon nur zur Hälfte.


    Mir hat es gefallen, dass sich die Handlung eher langsam (und doch gleichzeitig spannend) entwickelte und dadurch mehr in die Tiefe gehen konnte. Im Vergleich dazu erschien mir das Ende dann auch ein wenig überhastet und der Plan, der hinter allem stand etwas zu kompliziert und reich an Schwachstellen.


    Tragisch finde ich, dass gerade Elli und Falkenhagen diese unheilvollen Rollen bekommen haben. Das stellt vieles von dem, was sie gesagt/geschrieben haben nachträglich in Frage, obwohl doch das allermeiste so richtig war!


    Gerade das Forum wirkt dadurch recht suspekt und ist doch eigentlich so hilfreich! Ich selbst habe sehr viele nützliche Tipps durch solche Foren erhalten und auch durch eine private Nachricht, Kontakt zu einer anderen Betroffenen aufgenommen, mit der ich mich seit einem Jahr regelmäßig austausche (bin also selbst so eine Art Elli - aber, keine Sorge, keine Vera :-) . Es ist oft schwierig für Nichtbetroffene nachzuvollziehen, was in Zwangserkrankten vor sich geht, da ist es dann sehr entlastend zu lesen, dass andere ähnliches durchleben und Menschen zu finden, die einen wirklich verstehen können.


    Nun ja, gehen wir mal, positiv denkend, davon aus, dass die meisten Mitglieder von Zwangserkrankungsforen nicht allzu "paranoid" veranlagt sind :-)


    Alles in allem, fand ich es ein sehr gutes, lesenswertes Buch und werde es auch einer Freundin zu Weihnachten schenken.

    Vielen Dank, Wiebke, dass Du Dich der Thematik Zwangsstörungen und besonders auch des, eher unbekannten, Bereiches der "Zwangsgedanken", angenommen und eine recht positive, weder engstirnig pedantische, noch lächerliche (wie es sonst leider häufig der Fall ist) Protagonistin erschaffen hast. Der Ablauf von Maries Zwangserkrankung ist toll beschrieben, vor allem auch Maries inneres Erleben (man kann eigentlich kaum glauben, dass Du selbst keine Betroffene bist).


    Ich bin mir jedoch nicht sicher, was ich von dem sehr ausführlich und detailliert beschriebenen visuellen Erleben Maries während eines Auslösers halten soll (und ob sich dies nicht in der Regel etwas langsamer und weniger drastisch aufbaut). Diese sehr eindruckvollen Beschreibungen lenken ein wenig davon ab, dass auch die allermeisten "Otto Normalverbraucher" von Zeit zu Zeit Gedanken oder Bilder mit agressiven Inhalten erleben und es mehr die Gefühle sind (die Panik, ob man dies eines Tages tatsächlich ausführen könnte, die Verunsicherung und Schuldgefühle darüber, was für eine Art Mensch man zu sein scheint und das Gefühl eine Gefahr für andere Menschen darzustellen), die den Unterschied ausmachen.


    Auf der anderen Seite erhält der/die Leserin dadurch eine bessere Ahnung davon welches Grauen in Maries Gefühlswelt Einzug erhalten hat.


    Die Beschreibung des Forenlebens fand ich wirklich sehr authentisch (besonders bei "ich drück Dich", musste ich doch kichern).

    Ich finde den Anfang sehr spannend. Ungewöhnlich, die Geschichte dort beginnen zu lassen, wo die meisten anderen Krimis gar nicht erst hinkommen. Interessant sind auch die Details über die forensische Psychiatrie (schön, dass auch mal auf die Unterschiede bei Psychopharmaka hingewiesen wird) und die sich eher bedächtig entwickelnde Handlung. Das hat mir alles sehr gut gefallen.