Ein Buch zu lesen gilt ja gemeinhin als seelische und geistige Erbauung. Nun, dazu hat „Ende gut“ von Sibylle Berg wenig beizusteuern. Vielmehr lässt Frau Berg dem Leser, der Leserin nur wenig Spielraum nicht depressiv zu werden. Nur - der Titel verrät es – der Schluss berücksichtigt das potentielle Leserbedürfnis nach ein wenig Harmonie. Allerdings ist bis zu diesem Punkt ein von ähnlichen Zugeständnissen freier, aber sonst äußerst ereignisreicher, gewalttätiger Weg zurückzulegen.
Die Geschichte selbst handelt von einer namenlosen Frau über 40, die sich in ihrem Leben „für kaum etwas bewusst entschieden“ hat und beginnt in einer beliebigen deutschen Großstadt. Anonym und apathisch lässt sie das Leben passieren. Arbeitet wird gekündigt, findet wieder Arbeit. Doch die meiste Zeit kommentiert sie ihre Umwelt auf eine Art und Weise, die ich nur als vernichtend umschreiben kann. Und so verstreichen die ersten hundert Seiten ohne dass ein besonderer Hang sichtbar wird, die Geschichte mit Sinn zu füllen.
Bis die Welt untergeht.
Terroranschläge, Seuchen, Pogrome und ähnliches Menschgemachtes zwingen die „Heldin“ ihre anonyme Stadt zu verlassen, zum ersten Mal hat sie das Gefühl, die Möglichkeit zu besitzen aus ihrem Laufrad des Alltäglichen auszubrechen, selbstverständlich nicht allzu hektisch, sondern nüchtern beobachtend verschlägt es sie, begleitet von allerlei Abstrusitäten, nach Hamburg, Berlin, Weimar, Amsterdam und endlich nach Finnland, dem scheinbar einzigen Ort auf der Welt in der vernünftige, weil unaufdringliche Menschen hausen, und der noch nicht von Terroranschlägen, Seuchen, usw. heimgesucht wurde. Dort findet die Heldin dann ihr kleines, privates happy end. Die restliche Welt ist freilich Schrott.
Soweit zum Inhalt. Es wäre jetzt einfach zu sagen: Die Geschichte ist unrealistisch, die Charaktere sind oberflächlich, die Gesellschaftskritik wohlfeil, der Pessimismus auf Dauer penetrant. Und all das stimmt auch.
Warum ich das Buch trotzdem für lesenswert halte? Nun, es glänzt mit schönstem schwarzen Humor, der seinesgleichen in der deutschen Literatur sucht.
Aber die eigentliche Stärke dieses Buches liegt vielleicht darin, dass das was wir, also die durchschnittlichen Wohlstandseuropäer, nur noch als Hintergrundrauschen wahrnehmen, Kontur bekommt: Die täglichen Katastrophen, die man nur aus den Nachrichten kennt, all die gescheiterten Leben in der unmittelbaren Nachbarschaft, das eigene tägliche Scheitern an den eigenen (kleinsten) Ansprüchen werden bis zur Groteske verstärkt. Das Lesen dieses Buches verschafft dadurch komischerweise eine gewisse Gelassenheit mit den eigenen Ängsten und Schwächen. Das Wissen um die Möglichkeit des eigenen Scheiterns auf niedrigstem Niveau wird neben die Möglichkeit des Scheiterns aller anderen gestellt und somit zur beruhigenden Normalität. Nämlich zu dem, was das Menschsein meistens ausmacht: dem Scheitern eben. Und vor diesem Hintergrund feiert das Buch eben auch das kleine Glück jenseits all der Hoffnungen nach Mehr, die uns Aufstehen machen. In diesem Sinne dient "Ende gut" doch noch als seelische Erbauung...
Beiträge von Anselmus
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„Elf Märchen für Entflohene“ verspricht das Buch „Der Zeit abhanden“ von Torsten Schneyer. Wobei die Kategorie Buch nur unzutreffend das „Gesamtkunstwerk“ (Schneyer) erfasst, denn die knapp 160 Seiten starke Erzählsammlung ist zusammen mit einer CD von Schneyers Band „Adversus“ in einem schick aufgemachten Pappschuber erschienen. Buch und CD verweisen aufeinander: Die Texte finden sich im Buch, die Geschichten aus dem Buch auf der CD. Doch das Buch ist mehr als ein zu groß geratenes Booklet, die düsteren Erzählungen sollen deshalb an dieser Stelle für sich besprochen werden. Die Kritik des musikalischen Parts reduziere ich auf den Hinweis, dass zuerst die Lektüre des Buches erfolgen sollte, um anschließend die angelesenen Bilder im Kopf mit der passenden neoklassisch-brachialen Klangkulisse zu unterlegen. Kopfkino at its best. Bilder finden sich übrigens auch im Buch, von Schneyer selbstgemalte, die die einzelnen Geschichten einleitend illustrieren. Die sind stets chromschwarz-dreckigweiß und diese Farbwahl leitet passend zu den elf melancholischen Nachtstücken über, die in bester Tradition eines Hoffmanns stehen. Da rächen sich gequälte Spinnentiere an ihrer Peinigerin, Zeit und Raum verlieren ihre verlässliche Größe und Ängste und Hass der Menschen nähren unterirdisch wuchernde Krebsgeschwüre. Die böse Tat hat böse Folgen; das ist der rote Faden, der sich durch beinahe alle Geschichten spinnt und „Der Zeit abhanden“ zu mehr macht, als eine weitere Gespenstergeschichten-Anthologie. Hier schimmert bei allem Leid auch immer die Sehnsucht nach einer Menschlichkeit durch, die verhindert, dass bloßer Kulturpessimismus in Zynismus und Fatalismus umschlägt. Aber ich will nicht zu dick auftragen, Schneyer ist schlichtweg sehr gute phantastische Literatur gelungen. So wie sie sein muss, als Einbruch des Unheimlichen in eine unheimlich normale Welt. Um zum Abschluss dann doch noch auf das Gesamtwerk einzugehen: Artwork, Musik, Geschichten neigen zum Pathos, und dieses Pathos zu benutzen und dem Kitsch zu entkommen, das ist die große Kunst, die Schneyer/Adversus mit „Der Zeit abhanden“ rundherum gelungen ist. Und wer noch nicht der Tristesse des Alltags entflohen ist, dem helfen die elf schwarzromantischen Märchen zum Entfliehen.
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Häkchen-Harakiri? Titel und Cover werfen erstmal Fragen auf. Das ist ja nicht unbedingt schlecht für ein Buch, schließlich fordern Fragen Antworten und der Griff zum Buch ist somit schon psychologisch bestens vorbereitet. Und die Lektüre von Claudius Plägings „Häkchen-Harakiri“ lohnt sich. Der Inhalt ist schnell umrissen: Der etwas trantütige Endzwanziger Konrad Roth aus Berlin verliert erst seine Freundin und schließlich seine Arbeit als Pressetexter. Er erstellt eine To-do-Liste mit zehn mehr oder weniger kuriosen Aufgaben. Auf knapp hundert Seiten darf der Leser schließlich Konrad dabei beobachten, wie der etwa eine Prügelei anzettelt, mit seiner toten Nachbarin Kaffee trinkt oder in eine Wohngemeinschaft zieht. Ein recht simpler Plot, der eine platte Aneinanderreihung von Lustigkeiten befürchten lässt, dessen Umsetzung aber schlichtweg gelungen ist, weil eben dies nicht der Fall ist. Das hat zwei Gründe: Erstens besitzt Konrad als Typus des sympathischen Versagers ein hohes Identifikationspotential für alle Studienabrecher und lustlos Gescheiterten, die der Moloch Berlin am Fließband zu produzieren scheint. Wer ähnlich biographisch beschlagen ist, wird dieses Buch also nur kopfnickend zu Ende lesen können. Dieses Phänomen wiederum hat seine Ursache in Zweitens, der präzisen Beobachtungsgabe des Autors, denn über eine schnörkellos klare Sprache wird reichlich Menschenkenntnis transportiert, die oftmals humorig, nie aber zynisch ist. Menschenkenntnis, ein nur manchmal etwas klamaukiger Witz und eine wohldosierte Portion schwarzer Humor machen „Häkchen-Harakiri“ zu einer angenehmen und kurzweiligen Lektüre. Uneingeschränkte Empfehlung, gerade auch für Menschen, die ohne eine To-do-Liste wohl verhungern würden.