Beiträge von Heidi Rehn

    So etwas zu schildern wie das Täschnerhandwerk liebe ich. Ich hatte auch eine großartige Ratgeberin, Vivi Holm, die Taschen entwirft und fertigt. Ich habe sie vor Jahren mal zufällig bei einem Weihnachtsbasar kennengelernt. Wir sind ins Gespräch gekommen, sie hat mir von ihrer Arbeit erzählt, inzwischen schon mehrere tolle Taschen genäht und war gleich bereit, mir für die Hintergründe im Buch Rede und Antwort zu stehen.


    Ganz begeistert hat mich auch die Sache mit dem Reißverschluss, der zwar tatsächlich schon im 19. Jahrhundert erfunden wurde, aber erst in den 1920er Jahren so richtig entdeckt wurde. Die von Lou entworfene erste Reißverschlusstasche existiert tatsächlich, aber von einem anderen SChöpfer. Zu sehen war sie bei einer Taschen-Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum vor zwei Jahren. Das war quasi die Initialzündung für Lous Talent... :grin
    Für mein neues Manuskript habe ich mich mit Pariser Modeschöpfern beschäftigt (es geht aber nur ganz am Rande darum, war mehr auch persönliches Interesse) und in einem Buch über Elsa Schiaparelli gelesen, dass sie den Reißverschluss Ende der 1920er Jahre in die von ihr entworfene sportliche Mode gebracht hat.


    Mehr zu dem Taschenthema und einige Fotos findet ihr auf einem Blog, für den ich "Die Story hinter dem Buch" schreiben durfte:
    http://claudias-buecherregal.blogspot.de/2015/07/die-story-hinter-dem-buch-rehn-heidi.html?utm_medium=facebook&utm_source=twitterfeed

    Ich bin auch etwas überrascht in Bezug auf Spekulationen zu Ernst und Richard.... aber als Autorin bin ich meinen Figuren gegenüber sehr befangen...


    Zu Hitler: ich fand es schon sehr schwer, diese Szene mit seinem Auftritt zu schildern, denn ich habe etwas Hemmungen, einen solchen Menschen fiktiv zu gestalten. Das erfordert ein Hineinversetzen, für das ich mich bei ihm verweigere. Die Szene fußt auf Aussagen hauptsächlich von Elsa Bruckmann, die ja als eine seiner frühen und sehr entschlossenen Unterstützerinnen gilt. Gerade diese Frauen wollte ich einfangen. Hilde ist eine von ihnen. Sie waren sehr einflussreich und dank ihrer Bewunderung für Hitler letztlich unberechenbar in dem, was sie zu tun bereit waren....

    Witzigerweise habe ich ursprünglich tatsächlich mehr zu Curd und Lou geschrieben. Es gab eine wunderschöne Szene am Ufer des Chiemsees im eiskalten, frostigen Winter und in ihrer Wohnung. Das habe ich dann jedoch ersatzlos gestrichen, weil es mir persönlich dann sehr, sehr schwer fiel, Curd sterben zu lassen. Das aber war das Zwingende, denn mir geht es auch um die mehr als 1000 größtenteils zivilen Zufallsopfer, die bei der Niederschlagung der Münchener Räterepublik gestorben sind und über die kaum mehr gesprochen wird...

    Lou ist in einer Phase, in der sie sich aus bestimmten Gründen mehr als gern vom Leben ablenken lässt und ins Vergnügen stürzt. Auch das ist ein Merkmal der Zeit, das im Lauf der 20er Jahre sogar noch verbreiteter wird. Nach allem, was ihr widerfahren ist, hat sie wenig Lust, sich um das politische Geschehen so genau wie ihre Freundin Judith zu kümmern. Anders als Judith ist sie auch noch nicht direkt betroffen. Dafür aber will sie unbedingt vergessen, was ihr mit Curd geschehen ist. Wenn man die Aufzeichnungen vieler Menschen aus diesen Jahren liest, stellt man fest, dass sie damit nicht allein ist.

    Curds Vater ist wirklich ein verbitterter, alter, einsamer Mann - das hast Du ganz richtig erkannt. Er hat es nicht geschafft, seine Söhne bei sich zu behalten, hat sie an den Krieg verloren oder in der Fremde sterben lassen. Aber selbst über ihren Tod hinaus kann er sich mit ihnen nicht versöhnen. Leider gibt es solche Menschen. Mir tun sie sehr leid.


    Ilka erkennt, dass Max Lou mehr liebt und auch Lou Max sehr liebt. Den beiden will sie nicht im Weg stehen. Wäre Lou wegen versuchten Mordes angeklagt worden, wäre sie im Gefängnis gelandet. Also hat Ilka sich entschlossen, "ihre" Version des Geschehens bei der Polizei auszusagen und damit Lou vor der Anklage zu retten.
    Sie wird als Schauspielerin sicher weiter mit Max als Regisseur zusammenarbeiten. Sie hat ja auch Talent und erste Erfolge und weiß sich außerdem immer die richtigen Menschen an Land zu ziehen, die sie fördern. Trotz allem aber hat sie einen guten Kern, wie man an ihrem Verhalten zu Lou gesehen hat.


    Danke Dir, Lesebiene, fürs raschae Lesen und fleißige Kommentieren! :knuddel

    Ich habe das hier - wie auch schon in der Leserunden zum "Sommer..." - durchaus als freie Meinungäußerung verstanden, zu der jeder - gottseidank! - das Recht hat. Was für ein Luxus, den wir uns da erlauben können und sollen!
    Ebenso habe ich allerdings auch Charlies Zitat als offene Meinungsäußerung verstanden.


    Als Autorin kommen mir allerdings dasselben Rechtn zu wie euch als Lesern. Das bitte ich euch ebenfalls zu akzeptieren wie ich es für euch tue. Danke!


    Auf einen weiterhin fairen, offenen und anregenden Austausch.

    Es ist kein politischer sondern ein Gesellschaftsroman, deshalb wollte ich auch einfangen, wie viel die "normalen" Menschen in ihrem täglichen Leben mit den Ereignissen konfrontiert sind. Und das war vor allem das Leben als solches und - da es keine Politiker waren - nicht immer Auseinandersetzungen mit dem politischen Tagesgeschehen, sondern mit den Erfordernissen ihres Daseins. Das ist heute ja auch so.

    Ich kenne die Darkover-Romane nicht, von denen ihr hier sprecht.


    Was mir nur auffällt - und da geht es mir hier ähnlich wie beim "Sommer der Freiheit" -: ich verstehe meine Romane als Gesellschaftsromane über eine Zeit. Dazu gehört für mich, möglichst viel von der damaligen Atmosphäre einzufangen und dabei auch - basierend auf den Recherchen, die ich sehr wichtig nehme - Vorurteile in Frage zu stellen. Anfang des 20. Jahrhunderts und vor allem in den 1920er Jahren waren Homosexualität, Freizügigkeit, Drogenmissbrauch in gewissen Kreisen, die ich hier teilweise darstelle, durchaus "alltäglich". Das auszuklammern, käme für mich nicht in Frage, weil ich damit die Epoche falsch darstellen würde. Allerdings sind das nicht DIE Themen meiner Romane, sondern, wie gesagt, "schmückendes Beiwerk", um die Stimmung einzufangen. Es wundert mich etwas, wie ausführlich das hier aufgegriffen wird.


    Jeder kann und darf und soll dazu seine eigene Meinung haben. Das finde ich sehr wichtig. Deshalb finde ich es auch sehr wichtig, das hier anzusprechen. Aber mir fällt einfach auf, dass es hier sehr explizit und ausführlich angesprochen wird und anderes dafür völlig in den Hintergrund rückt.


    Wie ich selbst dazu stehe, ob ich mir die Nächte um die Ohren schlage oder nicht etc., das spielt für mich dabei keine Rolle. Es geht mir einzig darum, ein Abbild einer Gesellschaft in einer Epoche zu zeichnen. Dabei maße ich mir keine Vollständigkeit an. Es kann immer nur eine Annäherung geben, weil keiner in die Zeit zurückreist und letztlich jeder seine eigene Wahrheit hat.

    Dir danke ich erst einmal fürs rasche Lesen und ausführliche Kommentieren!


    Die Sache mit der geladenen Pistole war durchaus sehr leichtsinnig von Max. Er ist, wie auch Judith, Jude und inzwischen dank diverser Zwischenfälle auf der Hut. Deshalb hat er eine Pistole. Ausgerechnet diese dann zum Üben mit Ilka zu verwenden, ist natürlich ein grober Leichtsinnsfehler. Aber es war womöglich Alkohol im Spiel, die Beiden waren nicht mehr so ganz bei der Sache.... wer weiß, was da alles zusammenkommt? So etwas passiert öfter, als man denkt.


    Curds Vater ist reichlich verbittert. Letztlich hat er alle Söhne verloren und merkt nicht einmal, dass es an ihm gelegen hat. Er nimmt Lou gar nicht als Verlobte wahr, will einfach nur die Briefe aus dem Haus haben und schickt sie ihr. Natürlich hätte er sie auch wegwerfen können, aber da ist vielleicht doch noch ein winziger Funke Vaterliebe?


    Wilma wird sowohl der Freundschaft zu Judith und Frida wegen geholfen haben, als auch, weil sie Lous Taschenkreation einfach toll fand. Sie hat die Entwürfe gesehen und gleich gespürt, dass da eine Sensation drin steckt.

    Du bist wirklich schnell!


    Das mit den Zeitangaben über den Kapiteln hatte ich anfangs vor. Für mich selbst führe ich das immer so durch. Aber dann wirkte es doch sehr aufdringlich. In jedem Kapitel gibt es relativ bald Hinweise, wie viel Zeit vergangen ist. Aber anscheinend wird das leider nicht immer so empfunden oder bemerkt. Das werde ich also künftig weiter bedenken. Danke für den Hinweis!


    Möglicherweise ist es etwas zu einfach, wie Lou von Seiten des Kommerzienrats und Fridas Freundin Unterstützung erhält. Aber letztlich liegen diese Dinge immer schon in der Geschichte. Der Kommerzienrat mag sie sehr, hat Geld und kennt die Geschichte mit Ernst. Da lag es für mich auf der Hand, dass er einspringt. Ebenso Frida, die ja aus dem Umfeld der Täschner kommt (Schwiegervater und Ehemann, Freundin Wilma). Warum sollten sie ihr also nicht helfen? In Berlin geht es dann ohnehin nicht so leicht weiter.... :grin

    Natürlich wünsche ich Dir keine hitzebedingte Schlaflosigkeit, aber es freut mich zu lesen, dass der Roman Dir da eine willkommene "Erfrischung" bietet :grin


    "Cäsar" Ernst ist sicherlich - unbewusst - aus verschiedenen Gründen zur Adoption Lous bereit gewesen. Letztlich hat alles immer mehrere Seiten. In gewisser Weise ist es auch Pragmatismus, wenn man mit einer Aktion mehrere Ziele erreichen kann. Letztlich ist er aber auch ein feiner Mensch mit Gefühlen und fühlt sich vor allem verantwortlich für Lou...


    Die Szene zu Lous 21. Gebnurtstag ist mir vor allem auch wegen Max Bekenntnis sehr wichtig. Auch Ernst und der Kommerzienrat erkennen, wie es um diese Generation steht und dass da manches schief gelaufen ist, was jetzt eine gewisse Bereitschaft, die Jungen machen zu lassen, erfordert.


    Hitlers Auftritt jagt mir auch immer wieder Gänsehaut über den Rücken. Die Szene habe ich angelehnt an Schilderungen von seinen Auftritten im Salon der Verlegersgattin Elsa Bruckmann. Dort war er nachweislich zwar erst ab Dezember 1924 zu Gast (sie hatte während seienr Haftzeit in Landsberg Kontakt zu ihm bekommen und ihm beim Schreiben von "Mein Kampf" unterstützt), aber er wurde schon vorher von einflussreichen Kreisen in München hofiert. Deshalb habe ich daraus die fiktiven Dombergs gebastelt und schon 1922 einen solchen Auftritt geschildert (was durchaus möglich gewesen wäre).

    Homosexualität ist seit dem Kaiserreich (1871-1918) in Deutschland strafbar gewesen und, der berühmte Paragraph 175 ist, wie schon geschrieben wurde, erst vor 20 Jahren aufgehoben worden. Dennoch war gerade in den 20er Jahren ein recht freizügiger Umgang in Berlin feststellbar. Schon vor 1914 gab es - darauf habe ich bei der LR zum "Sommer der Freiheit" schon verwiesen - in Berlin recht viele Klubs, die zwar z.B. als "Häkelklubs" für Frauen getarnt, aber als lesbische Treffpunkte bekannt waren. Im Bereich der Schwulenlokale war das nicht anders (da gibt es ja die Theroie, Kaiser Wilhelm II. wäre selbst schwul gewesen. Einer seiner engsten Berater wurde im Verlauf der "Grunewaldaffäre" um 19005 (?) als homosexuell enttarnt und angeklagt). Interessant ist, dass nur Männer unter den § 175 fielen. Bei Frauen ging man davon aus, dass sie nicht homosexuell sind, sondern einfach bislang noch nicht den richtigen Mann gefunden hatten. Weibliche Homosexualität wurde also negiert.


    Interessant ist der Hinweis, dass in Wien eine Frau deswegen in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Solche Fälle wird es sicherlich auch in Deutschland gegeben haben. Es ist hier wichtig, zwischen Berlin - der "Lasterhöhle" - und dem Land zu unterscheiden. In München war man erstaunlicherweise auch tolerant - obwohl der § 175 galt und es natürlich Skandale um prominente Homosexuelle gab. Es ist eben das eine, daraus aus bestimmten Gründen ein Politikum zu machen, und das andere, es im Alltag mehr oder weniger hinzunehmen, wenn "nichts" passiert.... :grin
    Übrigens ist es ein offenes Geheimnis, dass der bayerische "Märchenkönig" Ludig II. schwul war und seine Affären hatte. Das wurde erst ab den 1930er Jahren ein Problem, das zunehmend vertuscht wurde. Die Wittelsbacher schweigen sich bis heute dazu aus und lassen auch keine Recherchen dazu in ihrem Geheimen Hausarchiv zu.


    Die Geschichte mit der Adoption Lous durch Ernst basiert übrigens auf einem realen Vorbild: Gina Kaus (1893-1985), eine österreichische Autorin aus dem engeren Freundeskreis um Vicki Baum, hat ihren ersten Ehemann im Ersten Weltkrieg fürh verloren und sich dann von einem reichen Liebhaber adoptieren lassen. Er konnte sich aus finanziellen Gründen nicht scheiden lassen, wollte aber mit Gina zusammenleben. Letztlich hat er sie aber aus dem haus geworfen, als er feststellte, dass sie ihn ausnutzte und jüngere Liebhaber auf seine Kosten aushielt. Gina Kaus schildert das in ihrer biographie "Von Wien nach Hollywood". Mich hat das sehr berührt, weil Gina wohl auch eine Art Vaterfigur und natürlich materielle Sicherheit gesucht hat und irgendwie schien es öfter vorzukommen, denn niemand nahm Anstoß an der Adoption und der Tatsache, dass sie mit dem reichen "Vater" und seiner Frau in einem Haus lebte, obwohl sich jeder denken konnte, wo der Hase lang lief.
    Das nur, um einmal mehr zu zeigen: das Leben ist oft einfallsreicher als die Fiktion :grin


    Letztlich hat Ernst noch weitere Beweggründe, weil er in Lou wohl tatsächlich mehr die Tochter als die Frau sieht, denn, wie schon angesprochen, das Sexuelle kam nach dem Umzug Lous in den Herzogpark, kaum mehr vor. Aber auch Lou braucht Sicherheit und Halt, ein Verhalten, das in jener Zeit typisch ist.