Beiträge von Haruspex

    entschuldigung für beides. ich hatte das falsch in erinnerung, Schuld und Sühne hatte er zu dem Zeitpunkt breits abgeschlossen. es hatte also nichts damit zu tun (oder nur am rande, derselbe verleger hat ja dann die buchform herausgebracht).


    zu zweiterem, es handelt sich dabei eigentlich nicht um ein vorwort, ist zumindest nicht als solches gekennzeichnet, sondern befindet sich ersten kapitel des vierten teils, gleich nach dem ersten absatz. es behandelt charaktere wie Ganja im rückblick und geht dann fließend in die handlung über. in meiner ausgabe geht es über etwa neun seiten.

    tatsächlich ist der spieler auch kein roman, in den großartige gedanken geflossen sind, soweit ich mich erinnere hatte es den entstehungshintergrund, dass Dostojewski zu diesem zeitpunkt dringend etwas seinem verleger vorzulegen hatte, und er wusste, dass er mit Schuld und Sühne nicht rechtzeitig fertig werden würde.


    zu Hippolit: es gibt da natürlich die vorgeschichte, dass er und seine entourage sich schon mit ihrer anwesenheit innerhalb dieser gesellschaft lächerlich gemacht haben (im prinzip versuchte gelderpressung), und es eigentlich auch keinen vernünftigen grund gibt, schon gar nicht vor diesen menschen, sein ganzes leben auszubreiten.

    das stimmt, denke ich auch, z.b. die reaktion auf Hippolits gescheiterten selbstmordversuch, würde in vielerlei gesellschaft auf dieselbe reaktion treffen wie von dir im beitrag weiter oben beschrieben. im idioten gibt es auch diesen Rogoschin, der ebenfalls ein solches ein extrem ist. aber ich müsste dieses buch noch einmal lesen, um da mehr zu sagen. wenn ich ehrlich bin, war das das buch, das mir am wenigsten in erinnerung geblieben ist.


    ich danke dir auch für dieses gespräch. ich bin ehrlich gesagt dadurch zu einigen neuen interpretation gelangt. ich habe schon lange nicht mehr so viel über Dostojewskis bücher nachgedacht....normalerweise fragt ja auch keiner.

    es gibt tatsächlich kaum mittelmäßige figuren in seinen werken, selbst personen wie Ganja Iwolgin - denen mittelmäßigkeit zugeschrieben wird - sind nicht ganz "alltagsmenschen" (im vorwort schreibt Dostojewski selbst etwas darüber). Ganja schon allein deswegen nicht, weil ihm sein mangel an besonderen eigenschaften bewusst ist, er das aber durch das streben nach reichtum aufzuwiegen versucht.


    Deswegen ist Dostojewski wohl auch kein schriftsteller der die gesellschaft porträtieren wollte oder konnte (am ehesten vielleicht noch im Jüngling). was er allerdings gemacht hat ist, dass er die ideen der zeit (seine romane sind vielleicht eher die darstellung der ideen der gesellschaft als der gesellschaft selbst) in die hände von außenseitern gegeben hat, die daraus ihre eigenen schlüsse gezogen haben. Raskolinkow ist beispielsweise sicherlich kein typischer russischer student des 19. jahrhunderts, ebensowenig wie Myschkin ein typischer Fürst seiner zeit ist, aber das ist für die handlung an sich auch notwendig. beschreibungen gesellschaftlicher zustände haben andere jedenfalls wahrscheinlich besser gemacht, z.b. tschechow, tolstoi, bunin, turgenjew....die sind aber auch weit weniger interessant.

    geht mir mehr um die stelle, in der der fürst parallelen sieht zwischen seinem eigenen leben und Hippolits beschreibung, durch seine krankheit außerhalb des lebens zu stehen. ich hab das buch leider gerade nicht bei mir, es ist jedenfalls die stelle, die ich dir oben verlinkt habe. Der Fürst sitzt dort auf einer bank im park und wartet auf Aglaja, so weit ich mich recht erinnere (findet alles vor dem zusammentreffen mit ihr statt).

    nein, kein einzelfall, obwohl die stelle vielleicht wirklich ein extrem darstellt, sie wurde in der ursprünglichen fassung auch von der zensur entfernt. die ganze geschichte ist jedenfalls das konsternierendste, das Dostojewski jemals geschrieben hat.


    vielleicht liegt dir ja dann doch am ehesten Der Idiot. mir ist da hauptsächlich Hippolits leben in erinnerung geblieben, in teil 3, kapitel 7 nimmt der fürst auch nochmal selbst bezug dazu. das ist wirklich lesenswert.

    http://www.literaturepage.com/read/theidiot-480.html auf englisch. aber die deutsche übersetzung ist besser, wenn du die grad zur hand hast.


    ich muss ein wenig nachdenken, was dir liegen könnte, sobald mir mehr einfällt schreib ich es hier rein.

    das kapitel in dem sich Stavrogin in die Dämonen mit seiner schuld auseinandersetzt heißt "Bei Tichon"...klingt danach, als würde dich das vielleicht thematisch mehr ansprechen. obwohl das auch nur ein kleiner teil des buches ist.

    die sache ist denke ich die, dass Raskolinkows verstand überzeugt von seiner idee ist und auch teile seiner seele unbedingt einen beweis brauchen, mehr wert zu sein als andere. der mord war seine feuerprobe, und an der ist er gescheitert; gleichzeitig legt er auch in der zeit nach der tat ein sehr merkwürdiges verhalten an den tag, er geht zurück zur wohnung der pfändnerin und erregt im dämmrigen geisteszustand das missfallen einiger anwohner (er läutet beispielsweise an der haustürglocke der toten). Porfirij wird dadurch erstmals auf ihn aufmerksam, er ist auch mit Raskolinkows eigener theorie bekannt, dass ein verbrecher infolge seines verbrechens eine phase der krankheit zu durchlaufen hat, die durch seine abkopplung von der gesellschaft entsteht. sowas allerdings immer als gewissenskonflikte und sonstiges zu beschreiben ist mir aber zu wenig und erfasst den fall auch nicht, tatsächlich kommt Raskolnikow im wachen zustande auch nicht einmal ein einziger gedanke, dass irgendetwas an seiner handlung falsch gewesen sein könnte. zur reue gehört aber nun mal auch das eingeständnis von schuld; eines der prägnantesten merkmale Raskolinkows und seiner idee ist es, dass sie und er nichts mehr mit humanistischem zeug, oder gerede von schuld, zu tun haben. es ist aber ein anderer teil von ihm, ein "unbewusster" teil, der ihn den kontakt zu Sonja suchen lässt, verhindert sich selbst umzubringen, sich verdächtig macht. mir ist dazu auch noch eingefallen, dass im buch die parallelen zu Swidrigailjow erwähnt werden, der vermutlich ebenso ein mörder ist. als Dunja Swidrigailjows annäherung ablehnt und sie ihm sagt, ihn niemals lieben zu können, entschließt er sich, sich zu erschießen. Raskolinkow fragt sich, wie Swidrigailjow - ein mann von welt, der erst kürzlich ein großes vermögen geerbt hatte und das leben liebte - so etwas fertigbringen konnte, er selbst aber nicht. wahrscheinlich war schon immer ein teil von ihm nicht gänzlich überzeugt von seiner idee (um zum punkt der zerrissenheit zu kommen); und das hat ihn von Swidrigailjow unterschieden, der innerlich bewusst wie unbewusst keine anderen ambitonen mehr hatte als sich Dunja anzueignen. zweifel hat er vielleicht schon immer gehabt, aber nicht in einem intellektuellen sinne und es gibt auch keine einzige passage in dem buch, in dem er sich für den mord an lisaweta vorwürfe macht (an der pfänderin schon gar nicht). Peterson in deinen videos beschreibt es so, als hätte Raskolinkow gemeint, er hätte das recht dazu, die alte umzubringen weil sie gewisse merkmale erfüllte; aber das war gar nicht der kern seiner idee, solche beschreibungen wie "she is a horrible person" sind völlig irrelevant. in fast jedem werk Dostojewskis werden die protagonisten durch ideen getrieben (zumindest zu großen teilen; der mensch besteht aus der welt der natur und der welt seiner ideen) - ebenso raskolnikow - und das außergewöhnliche an seiner literatur ist, dass er darstellt, welche auswirkungen das haben kann. es ist ja auch mehr oder weniger das merkmal eines wirklichen intellektuellen, dass seine ideen auch tatsächlich konsequenzen für seine lebensziele haben. hätte sich Raskolnikow großartige vorwürfe gemacht, wäre damit schon von haus aus diese macht der ideenwelt eingeschränkt worden, die aber gerade in solchen charakteren wie ihm besonders stark ist.


    Das buch hat ein wunderbares ende, es gibt fast kein besseres. er kann mit seiner idee - oder seinem versagen - abschließen und es wird eine wandlung angedeutet, im zuge dessen er sich mit seinen taten auseinandersetzen muss; aber das ist alles jenseits der seiten von Schuld und Sühne.


    aber um ehrlich zu sein argumentiere ich auch nur so viel gegen diese "schuld und reue" geschichte, weil mir diese erklärung einfach zu billig ist. das klingt so wie "na ja wenn jemand ein verbrecher ist hat er halt schuldgefühle und dann sieht er ein was er falsch gemacht hat." das ist so ein grober unsinn, und Dostojewski in keiner hinsicht angemessen. Stavrogin in Die Dämonen, das ist ein mensch, der tatsächlich über den ganzen handlungsverlauf reue mit sich herumträgt. das buch hat aber kein schönes ende.

    wieso liegt dir denn so viel an der reue? glaubst du im ernst, dass jeder verbrecher aufrichtige schuldgefühle empfindet? ich denke dass die wenigsten das tun, auch menschen nicht, die die justiz nicht als kriminelle brandmarken würde, aber zu sehr viel fragwürdigeren handlungen fähig sind. schon gar nicht so ein intellektueller wie Raskolnikow, der sich sein handeln genau nach seiner denkweise ausgerichtet hat. der mensch ist nicht von grundauf gut...ich habe lange zeit geglaubt, dass Schuld und Sühne ein roman über einen menschen ist, der sich aufgrund der tatsache, dass er keine moral mehr anerkennen kann, in seine ideen verlaufen hat und deswegen auch zu den schlimmsten taten fähig ist....zum teil stimmt das wahrscheinlich auch, aber nur zum teil.


    vor gericht hat er widerwillig das gesagt, was eben notwendig war, seine weigerung sich zu verteidigen ist wohl auch nicht zu seinen gunsten gewesen, allerdings ist er einfach nicht so verkommen, dass er alle seine ideen im übermaß von grundauf verleugnen würde, um dem straflager zu entgehen. kein ehrlicher mensch, der ernsthaft etwas auf sich und seine gedanken hält, kann so etwas tun.

    dass einzige das ihm leid tut, ist eben, dass er seine mutter und schwester so unglücklich gemacht hat - das wird doch mit dem "immerhin" ausgedrückt. das steht aber in keinem moralischen kontext; wäre er nicht erwischt worden bzw. hätte er sich nie ausgeliefert, wäre es nie zu dieser situation gekommen.


    mir ist es etwas komisch vorgekommen, dass der mord an lisaweta kaum mehr im roman erwähnt worden ist, allerdings spielt es für seine idee auch keine große rolle. um ein zitat zu bringen, das es relativ auf den punkt bringt und sogar auf wikipedia zu finden ist:

    „Ich wollte damals erfahren, so schnell wie möglich erfahren, ob ich eine Laus bin, wie alle, oder ein Mensch.“

    egal wer sich ihm in den weg gestellt hätte, er hätte sie oder ihn beseitigen müssen, wenn es für die ausführung relevant gewesen wäre. er verschwendet wohl deswegen auch keinen gedanken an lisaweta, weil es irrelevant war, ob er zwei oder zehn menschen hätte umbringen müssen, um seinen plan zu verfolgen (eine person, wie es ursprünglich vorgesehen war, war nur sehr viel realistischer und in der ausführung leichter). was spielt die quantität auch für eine rolle, wenn man schon sagt, man hat als erhabene person das recht dazu, sich über ein einziges anderes leben hinwegzusetzen?

    "auf die endgültigen Fragen, was ihn denn zum Totschlag bewogen und was ihn den Raub zu vollziehen angetrieben habe, antwortete er sehr klar, mit der plumpesten Genauigkeit, dass der ganze Beweggrund seine schlechte Lage, seine Armut und Hilflosigkeit und der Wunsch gewesen sei, die ersten Schritte seiner Laufbahn mit Hilfe von mindestens dreitausend Rubeln zu sichern, die er bei der Erschlagenen zu finden gehofft habe. Entschlossen habe er sich zum Mord infolge seines leichtsinnigen und kleinmütigen Charakters, der außerdem durch Entbehrungen und Misserfolge verbittert gewesen sei."

    der letzte satz zeigt doch schon, dass er da keine wahrheitsgetreuen aussagen macht. es ist eine mischung zwischen gleichgültigkeit, bitterkeit über die niederlage und einem anteil, seine strafe nicht noch schlimmer zu machen als sie ist. seine aussagen vor gericht haben mit seiner eigentlichen einstellung zu seinem handeln nichts zu tun; hätte er da lang und breit seine idee präsentiert, wäre das nicht nur lächerlich rübergekommen, hätte es im sinne der justiz keinerlei rechtfertigung bedeutet, sondern hätte ihm höchstwahrscheinlich sehr viel mehr als 8 jahre eingebracht. im endeffekt hat er sich ja auch gestellt, weil Porfirij - obwohl er ihn bis ins letzte durchschaut hatte - das angebot machte, nicht zu seinen ungunsten auszusagen um ihm die möglichst mildeste strafe zu verschaffen. selbst wenn in seinen aussagen irgendeine wahrheit stecken sollte, ist das alles nachrangig zur seitenlangen beschreiben seines innenlebens in der katorga.


    Zitat

    Allerdings wohl nur in dem Sinn, dass er anerkennt, dass er sich gegen den "Buchstaben des Gesetzes" (das er in diesem Punkt wohl verachtet) vergangen hat:

    "gewiss, der Buchstabe des Gesetzes ist übertreten, und Blut ist vergossen, nun, so nehmt doch für den Buchstaben des Gesetzes meinen Kopf ... und damit basta!"

    das ist eine tatsachenbeschreibung, weil es nun mal ganz genau so passiert ist, und es klingt nicht danach, als würde er es gutheißen, dass die rechtslage in seiner situation so aussieht. es enthält kein moralisches urteil über sein eigenes handeln.


    Zitat
    "Geh auf einen Kreuzweg, verneige dich vor der ganzen Welt, küsse die Erde, die du entweiht hast, und sage laut vor allen Menschen: Ich habe getötet!


    bei der sache könnte man sich fragen, wieso sich Raskolnikow überhaupt für Sonja interessierte. um es mit einer sache zu beschreiben die einem deiner verlinkten videos beschrieben wird, die trennung zwischen den intellektuellen und den religiösen teilen einer persönlichkeit. vielleicht war es Sonja, die in ihm diese religiösen gefühle geweckt hat und bei seinem kreuzweg zeigt sich zum ersten mal auswirkung; es ist jedoch nicht so, dass er sich selber großartig mit der religion oder Gott oder der sünde auseinandersetzt; es ist ein gefühl, das ihm nicht einmal richtig bewusst wird - bis zum ende nicht -, kein gedanke, also keine zustimmung in einem intellektuellen sinne. oder eher eine ahnung, dass er sich vielleicht doch in allem irren könnte - so wird es auch im buch beschrieben. damit wird auch später erklärt, wieso er sich nicht überwinden konnte, sich in der newa zu ertränken.

    Interessant; da hatte ich von dem, was ich bisher gehört habe, wohl ein falsches Bild. Hätte Raskolnikow sich denn am Ende gewünscht, er hätte seine Idee konsequenter verfolgt? (so hört sich das in dem Zitat an; und dafür müsste er ja eventuell "stark genug sein", um das Sehnen nach Reue ablegen können - würde er das am Ende wollen?)


    "Wenn doch das Schicksal ihm Reue schenken würde!"

    -

    "Wodurch, wodurch", dachte er "ist meine Idee dümmer, als die anderen Ideen und Theorien, die in der Welt, solange die Welt besteht, herumschwirren und aneinanderprallen? Man braucht bloß die Sache aus von einem völlig unabhängigen, weiten und von den alltäglichen Einflüssen losgelösten Standpunkt zu betrachten, und da erscheint, sicher, mein Gedanke gar nicht so...sonderbar. Oh, Ihr Verneiner und Weisen, von einem Groschen Werte, warum bleibt ihr auf halben Wege stehen!"


    nur zwei der zitate, die in diese richtung gehen, der ganze epilog beschäftigt sich damit. Dostojewski war kein billiger mensch, der so eine persönlichkeit wie Raskolnikow jahrelang in seiner abgeschotteten dachbodenwohnung über eine ganz spezielle idee brüten lassen würde, nur damit er im moment des scheiterns sofort erkennt, wie verfehlt sie war. seine wandlung wird nur angedeutet, und darin nicht einmal die reue - nur die wandlung seiner grundeinstellung zum leben. aber eigentlich ist es schade, dir davon zu vorweg zu nehmen, der epilog enthält einige der schönsten seiten, die jemals geschrieben worden sind.

    es ist jedenfall eindeutig keine reue - das ist nicht so interpretativ von mir vor sich hingesagt - sondern verzweiflung darüber, dass er sich selbst nicht gerecht werden konnte und die gesellschaft ihn aufgrund ihrer beschränktheit verdammt hat.


    auf der letzten seite beginnt er das Neue Testament zu lesen.


    Zitat


    Ich würde mal vermuten, dass die meisten sowieso das glauben, was sie gerne glauben wollen, unabhängig von Beweis oder nicht und egal, wie stark/schwach die Argumente sind.


    sehe ich ganz genauso. in einem religiösen kontext habe ich damit auch keine probleme - mache ich selbst genauso - bei allen anderen weltlicheren und profaneren dingen allerdings schon.

    danke für die videos! Peterson erfasst das schon alles ziemlich gut. was ich ergänzen will, ist, dass es Raskolnikow (um auf diese person einzugehen) weniger um besserung für allgemeinheit bemüht war, er nicht aus irgendeinem moralischen grund gehandelt hat, sondern er den mord in erster linie begangen hat, um sich selbst und der welt zu beweisen, dass er als ein mensch höherer art über jeder moral erhaben ist; er genau wie Napoleon die welt ergreifen kann wenn er es wollte - das streben nach macht und überlegenheit und das restliche volk hat ihm zu dienen auf seinem weg. „Auf das Leben von einer Million Soldaten scheiße ich ...“ - soll Napoleon gesagt haben, die geisteswelt des herrenmenschen. deswegen verschwendet er im ganzen buch auch kaum einen gedanken an die verwendung des geldes, er rührt es kaum an, das ist nur netter zusatz der seiner situation dienlich wäre. im epilog wird Raskolnikows auseinandersetzung mit seinem scheitern an seinen ansprüchen auf ergreifende weise geschildert; er war nicht stark genug, um seine idee bis in letzte konsequenz zu verfolgen, es ist kein schuldgefühl oder reue die ihn begleitet (nach der reue sehnt er sich sogar).

    das faszinierende daran ist, dass es diese art zu denken keineswegs abwegig ist für einen person, die bereit ist über den engen horizont der lächerlichen konventionen hinaus zu sehen und es gibt auch genügend historische beispiele dafür. es ist eine sache, die abhängig ist von grundannahmen, die schwierig oder gar nicht zu beweisen sind, wie z.b. Gott.

    wenn es keinen Gott gibt, welche wahrheit kann man dann noch für sich anerkennen? was ist tatsächlich die letzte schlussfolgerung aus dieser erkenntnis? deswegen sind konträre positionen der figuren seiner bücher auch auf ihre weise berechtigt, weil sie nicht auf demselben fundament gebaut wurden, aber bis ins höchste und konsequenteste hinaus gedacht sind - unabhängig davon, ob sie das wohlgefallen der gesellschaft finden. - gerade das machen die autoren nicht, die sich so gern der "strohmänner" bedienen; sie denken wahrscheinlich nicht mal ihre eigene ideologie richtig zu ende. solche typen sind aber die regel.

    Mich persönlich interessieren vor allem die glaubensbezogenen und die psychologischen Aspekte, wie Dostojewski die Personen beschreibt (vor allem in den Passagen über den Starez, Alexej und Dimitri).



    ich habe auch aufgrund des Glaubens zu ihm gefunden; das war der eigentliche anlass für mich, mich mit ihm zu beschäftigen. gleichzeitig ist es er aber niemals tendenziös in seiner charakterisierung - wie es viele andere christliche oder unchristliche schriftsteller sind, die die neigung haben, ihre eigene einstellung innerhalb ihrer werke in das "richtige" licht zu rücken, was heißen soll, als die allgemeine wahrheit zu verkaufen, die dann natürlich nur von den höchsten exemplaren der menschlichen spezies vertreten wird (ich denke da immer an Turgenjews Basarow in Väter und Söhne; ich habe es anfangs für eine parodie der russischen jugend gehalten, bis ich von einem brief turgenjews las, der klarstellte, dass er in ihn nur die höchsten eigenschaften hineinlegen wollte). die hervorhebende eigenschaft Dostojewskis ist es, die perspektiven anderer geisteshaltungen zu verstehen (meistens besser als sie selber) und sie einnehmen und darlegen zu können. das hat ihm bis heute niemand nachmachen können.

    wieso interessiert dich Dostojewski denn? ich würde da keine halben sachen machen in bezug auf teilweise lesen, großflächig lesen. wenn man einmal im lesefluss drinnen ist, gibt es kaum etwas ergreifenderes als den "sturm der gefühle" den die figuren seiner romane durchmachen, und der sollte des "effekts" halber auch nicht durch wechsel unterbrochen werden, da es schwerer fällt, sich wieder auf dieselben gefühlebenen zu bewegen. zumindest war für mich der leseansporn meistens die entwicklungen weiter zu verfolgen. aber das ist auch nur eine subjektive sache. jedenfalls muss man sich für die ideen interessieren können, die in den romanen vermittelt werden, da sie der antrieb der figuren sind; dass du dich mit den hintergründen, seiner biographie undsoweiter auseinandersetzt, ist da wahrscheinlich recht sinnvoll.


    ich bevorzuge die übersetzung von e.k rahsin die in zusammenarbeit mit Mereschkowski ausgearbeitet wurde, aber das ist auch nur persönliche präferenz. ich habe ebenso mit der Geier übersetzung begonnen.


    ich halte auch nicht allzu viel von seinen frühen romanen wie dem doppelgänger, dem spieler, erniedrigte und beleidigte etc. es sind keine schlechten bücher im vergleich zu - allen anderen werken die jemals geschrieben wurden, aber sie sind konzeptionell einfach nicht auf dieselbe tiefe ausgelegt. an die großen dinge hat Dostojewski sich erst später gewagt.

    ich habe die ersten Dostojewski romane mit 18 oder 19 gelesen, was heute immerhin 8 jahre her ist, habe mich seitdem auch mit vielen anderen klassischen autoren bekannt gemacht, aber keiner konnte jemals seine tiefe erreichen, sowohl intellektuell als auch emotional nicht. womit du anfangen solltest hängt von deinen persönlichen tendenzen ab. um es grob zu formulieren: Schuld und Sühne beschäftigt sich hauptsächlich mit einer einzelnen persönlichkeit - Raskolnikow -, ein "charakterporträt" eines intellektuellen außenseiters. immer noch mein meist geliebtes buch.

    Die Dämonen ist eher erzählung über die ideologischen grabenkämpfe der russischen gesellschaft in der zweiten hälfte des 19 jhts. das emporkommen der bolschewistischen bewegung, ihre strategie.....sehr intelligent. man hat den eindruck, dass trotzki und co sich da was abgeschaut haben.

    Die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus hat autobiographischen hintergrund, er hat sich ja selber in so einer katorga aufgehalten, allerdings würde ich deswegen nicht sagen, dass es dem buch an künstlerischem wert fehlt. es hat eine melancholische schönheit in vielen szenen.

    Der Jüngling ist ähnlich wie Schuld und Sühne eher ein roman über eine einzelne persönlichkeit und die unangenehmen erfahrungen eines "jünglings" innerhalb der höheren gesellschaft in die er eher unbeabsichtigt hineingerät. gesellschaftsstudie zu dieser zeit, um es so primitiv zu beschreiben und auch eine erzählung über die ersten enttäuschungen und beschämungen.

    Der Idiot ebenso ein roman der auf eine einzelne figur konzentriert ist, der epileptische Fürst Myschkin, der sich ebenso in der höheren gesellschaft bewegt.


    das ist wie gesagt alles nur sehr grob umrissen, sämtliche geschichten enthalten sehr viel mehr als nur das, und ich wünschte ich könnte mehr dazu sagen, aber mir fehlt es an der lust selbst romane zu schreiben. Die Brüder Karamasow gelten als sein Magnus Opum, und das wohl zurecht, allerdings habe ich es selbst noch nicht abgeschlossen, da ich es mir noch aufheben will sobald ich selber reifer geworden bin. am ende muss ich sagen dass ich wohl noch zu jung war um alles zur gänze zur verstehen das sich in anderen romanen abgespielt hat - im sinne der ganzen tiefe-, ich bereue es allerdings nicht, da mir Dostojewski den wert der höheren literatur gezeigt hat und ich bis heute auch nichts vergleichbares gesehen habe.

    von dieser Juli Zeh habe ich neulich das erste mal gehört (lebe quasi hinterm mond was moderne literatur betrifft) und war schon ein wenig interessiert.


    deine zitate sind auch wirklich gut parvati....vllt wird die die erste autorin aus dem 21 jht die ich mal lese. :)




    "Während er Tanja tröstete, dachte Kowrin daran, daß außer diesem jungen Mädchen und ihrem Vater auf der ganzen Welt mit der Laterne keine Menschen finden waren, die ihn liebten wie jemanden, der zu ihnen gehörte, wie ein Glied der Familie; wären diese beiden Menschen nicht gewesen, dann hätte er, der Vater und Mutter in früher Kindheit verloren hatte, vielleicht bis zu seinem Tode nicht gewusst, was aufrichtige Zärtlichkeit ist und jene naive Liebe ist, die nicht viel überlegt und die man nur ganz nahen, blutsverwandten Menschen entgegenbringt. Und er fühlte, dass die Nerven dieses weinenden, zuckenden jungen Mädchens auf seine halbkranken, verkrampften Nerven abgestimmt waren, wie das Eisen auf den Magneten."


    - Tschechow, Der schwarze Mönch.


    eine deptimierende erzählung, aber eine wunderbare passage zwischendurch.

    Zitat

    Original von Guardian
    Meine Meinung


    Ich bin sehr zwiegespalten. Einerseits ist das Buch, wie made schreibt, wirklich wie ein Gemälde. Tolstoi beschreibt wie auch in "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina" meisterlich die handelnden Personen, die Gesellschaft, die Landschaft und alle Orte, die Nechljudow im Laufe seiner Reise sieht. Er verleiht allen Personen eine ganz eigene Persönlichkeit, die man als Leser sehr gut erfassen kann.
    Nechljudows moralische Wandlung ist sehr interessant mitzuverfolgen, aber - und hier kommt die Ursache meines Zwiespalts - die große moralische Belehrung, die in diesem Buch steckt. Tolstoi hat bereits in "Anna Karenina" und "Krieg und Frieden" sehr viel Wert auf Moral gelegt und auch damals kam ich mir bereits ein wenig gescholten vor. Aber in diesem Buch setzte er noch eines darauf. Ich zweifle keineswegs an den beschriebenen schlimmen Zuständen in den Gefägnissen und der armen ländlichen Bevölkerung. Aber in meinen Augen verdammt Tolstoi die restliche russische Gesellschaft zu sehr. Ich hab mich beim Lesen teilweise selber schlecht gefühlt, weil ich eben keine hart arbeitende russische Bäurin bin.
    Und wenn ich mich schon so fühle, was werden die "verkommenen" Leute damals empfunden haben, als sie dieses Buch gelesen haben - oder zumindest von anderen davon gehört haben.



    stimme dir absolut zu. Tolstoi hatte für mich schon immer den makel, dass er zu viel moralisiert, das fällt schon in seinen ersten novellen auf; in seinem spätwerk ist das noch viel aufdringlicher. es tut seiner kunst auf jeden fall nicht gut, es würdigt sie sogar herab.


    aber schreiben konnte der mann trotzdem wie kaum jemand sonst....und ein moralisierender tolstoi ist mir immer noch lieber als ein amoralischer tschechow oder turgenjew - auch wenn ich tolstoi in vielen dingen nicht zustimmen kann.

    bin ein grüner junge, 24.


    und ja, natürlich bin ich engstirnig, und ja, natürlich habe ich vorurteile....das ist mir alles bewusst, aber die lasse ich mir auch nicht nehmen, solange die amerikaner es nicht mal schaffen, auch mal einen schriftsteller zu produzieren (die amerikaner produzieren eben maximal, am fließband), der intellektuell relevant ist. vergleiche mal jemand amerikanische schriftsteller wie hemingway, fitzgerald, twain (also die speerspitze) mit europäischen schriftstellern (fairerweise ähnlicher zeitlicher perioden genannt) wie Nietzsche, Ernst Jünger, Kafka, dostojewski (und viele weitere) und merkt sofort, wer da den kürzeren zieht. amerikaner haben kulturell nur sehr wenig von wert geschaffen (beispielhaft dafür kommen aus diesem land auch kaum litertaurnobelpreisträger, obwohl ich das eher weniger als qualitätsmerkmal heranziehen würde, es ist halt auch ein politischer preis), das gestehen sie sich auch selber ein, indem sie in ihren eigenen universitäten hauptsächlich auf europäische denker zurückgreifen.


    ich finde Hemingways sprache "nichtssagend", es liegt keinerlei ausdruck oder charakter darin, es ist eine farblose, langweilige gedankenkette. die pointe der erzählung ist banal und seicht, ich kann nicht mal sagen, dass ich mich besonders an der thematik stoße, weil es nicht viel gibt, an dem man sich stoßen kann. es ist einfach zu wenig.


    aberwie gesagt, ich will niemandem meine meinung aufzwingen.

    wie alle amerikaner (von Poe mal abgesehen eventuell) war auch Hemingway ein oberflächlicher flachkopf und Der alte Mann und das Meer ist dazu auch nocht schlecht geschrieben. ich gebe aber zu, ich kenne es lediglich in deutsch.


    lese solche mediokren sachen eigentlich auch nur der abwechslung wegen. manchmal ist es sehr unterhaltsam ein vergleichsweise dummes buch zu lesen.





    aber das ist alles nur meine meinung.

    ohne reihenfolge. und wahrscheinlich noch lange nicht endgültig. ich habe noch so viel zu lesen.


    edit: ups 10 lieblingsromane...verlesen. liste korrigiert


    Fjodor Dostojewski - Die Dämonen
    Fjodor Dostojewski - Schuld und Sühne
    Fjodor Dostojewski - Aufzeichnungen aus einem Totenhaus
    Alexander Lernet-Holenia - Die Inseln unter dem Winde
    Alexander Lernet-Holenia - Ein Traum in Rot
    Michail Bulgakow - Die weiße Garde
    Ernst Jünger - Eine gefährliche Begegnung
    Alexander Puschkin - Dubrowski
    Goethe - Werther
    Leo Tolstoi - Die Kosaken