Autor und Titel: Peter Tremayne, "Ein Totenhemd für den Erzbischof"
(Originaltitel: "Shroud for the Archbishop")
Inhalt:
Im Jahr 664 wird im römischen Lateranpalast der designierte Erzbischof von Canterbury ermordet - einen Tag vor seiner offiziellen Ernennung. Hauptverdächtiger ist ein irischer Mönch, der ganz in der Nähe des Tatorts festgenommen wird.
Nachdem England sich im Streit zwischen der irischen und der römischen Kirche erst kürzlich auf die Seite Roms geschlagen hat, befürchten der Papst und seine Berater den Ausbruch offener Feindseligkeiten. Schwester Fidelma aus Irland und Bruder Eadulf aus Sachsen, die sich aus unterschiedlichen Gründen in Rom aufhalten, werden beauftragt, den Mord aufzuklären. Und sie müssen bei ihren Ermittlungen rasch feststellen, daß offenbar tatsächlich auch nach dem Zusammenbruch des römischen Weltreichs noch immer alle Wege in die Stadt am Tiber führen.
Persönliche Meinung:
Diese Reihe hat für mich Suchtcharakter. Gut, es verhält sich damit so ähnlich wie mit "Richterin Barbara Salesch": ich ärgere mich spätestens alle fünf Minuten. Aber aufhören kann ich auch nicht.
Insofern muß der Autor, selbst wenn ich gleich sehr hart mit ihm ins Gericht gehen werde, wohl doch einiges richtig machen. Es wird wohl auch die letzte Rezension sein, die ich zu dieser Reihe schreibe. Ich merke selbst, daß ich mit jedem Band schon beim Lesen kritischer und bissiger werde.
Das Krimigeschehen als solches ist ziemlich konstruiert und versucht meinem Gefühl nach zu viele unterschiedliche Aspekte miteinander zu verknüpfen. Vielleicht bin ich aber auch nur nicht der richtige Typ Leser für diese Art des Erzählens. Das simple "Whodunnit", also die Auflösung des Rätsels, ist mir bei einem Krimi weitgehend egal (und ich pflege es auch gleich nach dem Lesen wieder zu vergessen). Ich ziehe Geschichten wie die um Donna Leons Brunetti vor, in denen es vergleichsweise wenige Verdächtige gibt, deren Motive und Innenleben dafür sehr viel intensiver beleuchtet werden. Bei Peter Tremayne dagegen gibt es eine lange Reihe von Indizien und Spuren, die stur der Reihe nach abgearbeitet, verworfen oder weiter verfolgt wird. Vermutlich kommt das echter Polizeiarbeit näher; allerdings ist es weit weniger schön zu lesen. Die Auflösung des Mordfalls - ganz klassisch mit einem referierenden Detektiv in der großen Runde der Verdächtigen - war mir diesmal entschieden zu langatmig, zumal ich den Mörder und die Zusammenhänge längst durchschaut hatte. Insofern verlor die große Inszenierung jede Wirkung.
Peter Tremaynes Sprache ist, soweit man das nach der Übersetzung sagen kann, schmuck- und kunstlos, manchmal gestelzt und unnötig aufgebläht. Die Zeichnung der Figuren bleibt sehr oberflächlich und häufig stereotyp: fast jeder römische Potentat ist zwielichtig und ehrgeizig, die sächsische Prinzessin dümmlich und arrogant, die Dienerschaft unterwürfig und leidend. Da hätte ich mir oft ein bißchen weniger Klischee und ein bißchen mehr Tiefgang gewünscht.
Zu den beiden Hauptfiguren mag ich nicht mehr viel sagen. Sie sind relativ klar nach dem Schema "Sherlock Holmes und Dr. Watson" konstruiert. Mir ist jetzt erst aufgefallen, daß Bruder Eadulf ja sogar noch Heilkundiger ist; wie passend. Er kriegt die Rolle des begriffsstutzigen, aber treuherzigen Sidekicks auch ganz gut hin. Im Unterschied zu Fidelma ist Holmes allerdings tatsächlich in der Lage, sehr viel weitergehende Beobachtungen zu machen und Schlußfolgerungen zu ziehen, als es einem normalsterblichen Menschen in den Sinne käme. Von Fidelma wird ähnliche Intelligenz im Buch zwar immer wieder behauptet, aber zu sehen bekommt man davon wenig. Stattdessen müssen alle Leute in ihrer Umgebung sich blind stellen und stur das Offensichtliche übersehen, damit Fidelma sie dann darauf hinweisen kann. Immerhin, einen kleinen Dämpfer erhält Fidelma, als sie sich tatsächlich einmal richtig irren darf in diesem Buch. Ich empfand das als unheimliche Erleichterung.
Kommen wir zum historischen Teil - eingestandenermaßen der Hauptgrund, warum ich diese Reihe lese. Das frühe Mittelalter ist eine Zeit, über die man in der Schule relativ wenig erfährt, und ich finde diese Epoche unheimlich interessant. Aber auch in diesem Punkt werde ich zunehmend ungeduldiger mit dem Autor und glaube ihm immer weniger. Einiges von dem, was er schildert, ist - Pardon - ausgemachter Blödsinn. Ich denke da jetzt nur an den römischen Wachoffizier, der auf Seite 227 vor Fidelma salutiert und dabei die Hacken zusammenschlägt - wahrscheinlich streng nach der preußischen Militärordnung von 1842 ... Wie sehr mich solche Details ärgern, hängt zugegebenermaßen sehr von meiner Stimmung ab und davon, wie sehr die Geschichte mich sonst fesseln konnte. Ich habe mich inzwischen schlau gemacht und weiß jetzt auch, daß der Autor mitnichten Historiker ist, sondern Keltologe, also Sprachwissenschaftler. Das erklärt manchen Schnitzer, macht mich aber natürlich auch insgesamt extrem mißtrauisch gegenüber dem historischen Bild, das er mit seinen Romanen zeichnet.
Nur ein paar wahllose Beispiele:
- Ringe als Insignien des Bischofs waren erst circa ab 1000 allgemein üblich. Wie verbreitet kann dann dreihundert Jahre früher die Sitte gewesen sein, dem Bischof den Ring zu küssen? - Einmal abgesehen davon, daß das keine Geste war, die sich auf Bischöfe beschränkte, sondern ebenso gegenüber weltlichen Fürsten galt.
- Fidelma wird angeblich vom Erzbischof von Armagh nach Rom geschickt. Ein Erzbistum Armagh wird aber im 12ten Jahrhundert überhaupt erst eingerichtet.
- Eine größere Verbreitung von Münzen ist für Irland erst im achten Jahrhundert überhaupt nachweisbar. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um ausländisches Geld. Eigene irische Münzprägungen und die vom Autor ständig genannten "screpalls" stammen erst aus dem zehnten Jahrhundert.
- Sehr im Gegensatz zu Fidelmas Behauptung gab es selbstverständlich auch in Irland eine Schicht von Unfreien, die nicht als Teil des Stammes galten und deshalb auch außerhalb des Rechts standen. Ihr Entsetzen über die Sklaverei ist also schwer nachzuvollziehen.
- Sich in einer Sänfte tragen zu lassen, scheint für den Autor ein Sinnbild für die dekadente Lebensweise der Großstadt zu sein. Daß es einfach viel praktischer war, als sich in einer Zeit, die keine gefederten Kutschen und geteerten Straßen kannte, auf einem rumpelnden Holzkarren blaue Flecken zu holen, kommt ihm nicht in den Sinn.
Inzwischen habe ich ihn auch im Verdacht, daß er mit Latein ein wenig auf Kriegsfuß steht. So sinnentstellend falsch, wie Fidelma ziemlich zu Beginn den Ausdruck "Do ut des" übersetzt und interpretiert, hätte ich ihr am liebsten für den Rest des Buches den Mund verboten. ("Klappe, Mädel. Du hast dich heute schon genug blamiert.")
Natürlich hängen viele dieser historischen Unstimmigkeiten damit zusammen, daß Peter Tremayne auch in diesem Band wieder voll Patriotismus das Irland-Fähnchen schwenkt. Als Fidelma sich darüber entsetzt, daß es in Rom so viele Bettler gibt, was in Irland vollkommen unmöglich wäre, war ich kurz davor, das Buch wegzulegen und nicht mehr anzufassen. - Nein, Frollein, sowas wie in Rom gibt es bei dir daheim tatsächlich nicht. Das dürfte damit zusammenhängen, daß es in ganz Irland nicht eine einzige Stadt gibt. Um sowas zu bauen, werdet ihr ja die Wikinger brauchen ...
Und obwohl ich mich so oft geärgert habe und so vieles zu kritisieren habe, werde ich mich trotzdem so bald wie möglich hinsetzen und den nächsten Band anfangen. Ich kann noch nicht einmal behaupten, daß ich mich beim Lesen schlecht unterhalten hätte. Also wie gesagt: irgendwas macht der Autor ganz offensichtlich richtig.
Und sei es nur, daß er meine besserwisserische Ader anspricht.