Klappentext:
Drei Jahre alt ist Gerswind, die Tochter des Sachsenfürsten Widukind, als sie im Jahr 785 als lebende Kriegsbeute zu Karl dem Großen gebracht wird. Der König der Franken beschließt, das Mädchen für lange Zeit als Geisel am Hof zu behalten - bis, viele Jahre später, etwas geschieht, was der jungen Sächsin eine unumstößliche Macht über den bedeutendsten Herrscher des Mittelalters verleiht ...
Eigene Einschätzung:
Das zweite Buch, das ich in kurzer Folge zu Karl dem Großen gelesen habe. Nach einem "typischen Männerbuch" jetzt ein "typisches Frauenbuch". Es war zugegebenermaßen angenehmer zu lesen. Aber viel glücklicher geworden bin ich damit auch nicht.
Gerswind ist die Tochter des geschlagenen Sachsenführers Widukind und wächst am Hof König Karls mit dessen Kindern auf. Als Leser erleben wir die allmähliche Wandlung und das Hin und Her ihrer Gefühle, mal sieht sie sich als Ziehtochter, mal als Gefangene und Geisel, mal als Faustpfand und Werkzeug, schließlich als Geliebte. Das ist an sich durchaus spannend und glaubwürdig zu lesen. Über den "Stil", der weiter oben in einer Rezi schon mal angesprochen wurde, mag ich nichts sagen, weil ich immer nicht recht weiß, was es mit diesem Vier-Buchstaben-Wort wirklich auf sich hat. Fakt ist, das Buch liest sich locker-flockig weg und macht keine Kopfschmerzen. Die Hauptfigur ist sympathisch, die Nebenfiguren werden zum Teil sehr plakativ gezeichnet, aber auch das muß noch nicht negativ sein. Ds Ende hat mir nicht gefallen, es erinnerte mich zu sehr an diesen einen Film mit Romy Schneider und Curd Jürgens. Und den fand ich schon schwer zu ertragen.
Enttäuscht hat mich zunächst die bildzeitungsartige Sensationslust.
Da muß Karl der Große natürlich ein inzestuöses Verhältnis mit der eigenen Schwester unterhalten. Da muß der spätere Kaiser Ludwig der Fromme natürlich seine Brüder der Reihe nach aus dem Weg räumen. Da gibt es eine gefühlsduselige Versöhnung mit dem buckligen Pippin - als wäre ein Machtmensch wie KdG so naiv gewesen, jemanden, der ihm nach dem Leben trachtet, nochmal einen Schritt unbewacht tun zu lassen.
Das Leben am Kaiserhof wäre meiner Ansicht nach interessant und kompliziert genug für einen Roman, auch ohne solche posthum aufgesetzten Skandälchen.
Das größte Problem hatte ich mit der ... nennen wir es mal "Heidentümelei". Die armen, unschuldig verfolgten, friedlich ihre Götter anbetenden, Bäume umärmelnden und niemals jemandem ein Leid zufügenden Sachsen. UHGV (unsere heldenhaften germanischen Vorfahren) halt. Gerswind, wann immer sie sich ihre sächsischen Wurzeln bewußt macht, ist naturverbunden bis an die Grenze aktiver Magie. Teilweise schrammt die Autorin dabei nur knapp an echten Fantasy-Elementen vorbei. (Und die in einem historischen Roman gehen bei mir ja mal gar nicht!)
Es ist diese naive Naturromantik, die mir extrem gegen den Strich ging. Ich kenne nur eine Völkerschaft, die die Natur in einer Art und Weise als heilig verehrt, wie es im Roman die heidnischen Sachsen tun: Stadtmenschen. Die dafür aber durch alle Regionen und Jahrhunderte, vom alten Rom bis heute. Ich vermute, im alten Ur war das auch schon so. Und ich halte jede Wette, hätte man einem tatsächlich am Busen von Mutter Natur lebenden alten Germanen damals eine Kettensäge in die Hand gedrückt und ihm gezeigt, wie das Ding funktioniert, hätte es für die Varus-Schlacht keinen Teutoburger Wald mehr gegeben.
Hinter den Gefühls- und Glaubensfragen bleiben die politischen Ereignisse dann leider oft zurück. Mehr, als man auch aus einem Wikipedia-Eintrag erfahren würde, kann man dem Roman an Wissen nicht entnehmen. Besser recherchiert war mit Sicherheit Obermeiers "Mein Kaiser, mein Herr", auch wenn ich natürlich nicht sagen kann, welche schriftstellerischen Freiheiten sich die Autorin bewußt erlaubt hat. Es sind eher die Details, denen man anmerkt, daß ein wirkliches Verständnis für die Epoche nicht vorhanden ist. Das geht los bei der "steinernen Waldhütte" im Prolog (ein Widerspruch in sich - "Hütte" impliziert ein minderwertiges Gebäude; Bauwerke aus Stein waren aber im FrüMi nördlich der Alpen kostbar und selten - in Sachsen vermutlich gar nicht vorhanden), zieht sich hin über die beschriebene Frauentracht, die mit der karolingischen nichts gemeinsam hat, und endet bei der alten Magd, die sowohl dem heiligen Georg als auch seinem Drachen eine Kerze stiftet. Zu dumm, daß die Darstellung Georgs als Drachentöter erst aus dem Hochmittelalter stammt. Mal abgesehen davon, daß KdG seine Unfreien anscheinend gut gehalten hat, wenn die es sich leisten konnten, regelmäßig sündhaft teure Wachskerzen zu stiften, und das gleich doppelt! Daß die bairische Ex-Herzogin Luitpirc (Luitberga) zum Zeitpunkt der Pippin-Verschwörung längst, wie auch ihre gesamte restliche Familie, in Klosterhaft saß, will ich jetzt einfach mal als bewußte künstlerische Freiheit annehmen. Ansonsten wäre es miserable Recherche.
In Summe: Ich schwanke zwischen sechs und sieben Punkten. Es war recht angenehm zu lesen, als gebe ich sieben. Für das dämliche Cover, das natürlich mal wieder äußerst zeitgenössische Renaissance-Gemälde zeigt, noch dazu Botticellis Simonetta Vespucci (und das muß verdammt bekannt sein, wenn sogar ich es auf Anhieb als Botticelli erkannt habe!) müßte man eigentlich gleich wieder einen Punkt abziehen. Tue ich nicht, weil die Autorin ja nichts dafür kann.