Klappentext
Ingelheim im Jahr 788. Karl der Große hat die fränkischen Edelmänner und Statthalter zu einem prächtigen Reichstag eingeladen. Hier will er seine Macht endgültig sichern. Seinen Widersacher Herzog Tassilo lässt er wegen Hochverrats zum Tode verurteilen. Doch Tassilos Tochter Cotani schmiedet einen äußerst verführerischen Plan, um ihren Vater zu retten …
Ein atemberaubender historischer Roman über den »Gründervater Europas«. Voller Liebe, Intrigen und Sehnsucht – mit einer erzählerischen Leidenschaft, die die Zeit Karls des Großen ganz neu lebendig werden lässt.
Über den Autor
Dr. Fabian Vogt, Jahrgang 1967, ist Schriftsteller und Pfarrer in Oberstedten im Taunus. Er hat zahlreiche Romane und Kurzgeschichten geschrieben und gehört der Künstlervereinigung DAS RAD an.
Weitere Infos finden sich bei Wikipedia hier.
Inhalt
Erzähler ist niemand anderes als Einhard, der spätere Biograph Karls des Großen, der im Jahr 788 gerade erst in die »Hofschule« Karls des Großen aufgenommen worden ist. Einhard erlebt die Entmachtung des bairischen Herzogs Tassilo und den Schauprozess gegen ihn aus nächster Nähe mit, ja, ist aktiv daran beteiligt. Weswegen sich die Herzogstochter Cotani, als das Leben ihres Vaters auf dem Spiel steht, mit der Bitte um Hilfe an ihn wendet.
Eigene Meinung
Eben erst den Titel von WaterPixie empfohlen bekommen - schon folgt die Rezi. Was natürlich auch damit zusammenhängt, daß das Büchlein gerade einmal 159 Seiten umfaßt (inklusive Nachwort und Glossar!); da ist der Ausdruck »Roman« fast ein bißchen hoch gegriffen, zumal in einem Genre, das mühelos auch 1000-Seiten-Wälzer zustande bringt. Erzählt wird ein sehr kurzer Zeitabschnitt von bestenfalls einigen Wochen während des Ingelheimer Reichstags. Historisch belegter Ausgangspunkt dabei ist der sogenannte »Cotani-Brief«, der in der Forschung als wichtigster Hinweis gilt, wieviel bei dem Prozeß um Tassilos Entmachtung nicht mit rechten Dingen zuging.
Diesen Brief, mit dem die Herzogstochter nach Ingelheim gelockt wird, verfaßt in diesem Roman Einhard selbst auf Anweisung Alkuins. Und verliebt sich beim Schreiben in die unbekannte Empfängerin. Der Plan für die Entmachtung des bairischen Herzogs und die Gefangennahme seiner Familie wurde von Alkuins Hofschule ausgeheckt, und nachdem er geglückt und Tassilo zum Tod verurteilt worden ist, kommen den meisten Beteiligten arg verspätete Skrupel – dem verliebten Einhard ganz besonders. Heimlich suchen die Gelehrten nun nach einem Weg, Karl davon zu überzeugen, wenigstens das Todesurteil aufzuheben.
Dieses doppelte Intrigenspiel fand ich nicht so prickelnd, vor allem, weil Karl bei der letztlich recht simplen Lösung wie ein abergläubischer Trottel dasteht. Das moralische Dilemma der gelehrten Köpfe an Karls Hofschule, die einerseits Karls weitgesteckte Pläne bewundern, andererseits den brutalen Machtmenschen durchschauen, hätte man sicher deutlich vertiefen können. So bleibt das Erzählte doch recht oberflächlich. Und leider auch weitgehend humorfrei, obwohl manche Szenen mehr als genug Anlaß zur Komik geboten hätten (die nächtliche, letztlich völlig überflüssige »Probe zur Kreuzprobe« in der Kapelle zum Beispiel).
Mich interessiert bei meiner KdG-Lektüre ja am meisten, wie unterschiedlich die Epoche im Roman von verschiedenen Autoren geschildert wird. In diesem Fall steht ganz klar die »karolinigische Renaissance« im Vordergrund: Schon der Beginn zeigt Einhard, wie er in einer Schmiede der örtlichen Dorfjugend das Einmaleins beibringt. Über dem Eingang der Schmiede ist eine Tafel mit einer Jahreszahl (vermutlich das Erbauungsdatum) angebracht. Da habe ich zum ersten Mal gestutzt, denn mal abgesehen davon, daß (Lehm-Flechtwerk-)Häuser damals alle sechzig, siebzig Jahre abgerissen und neu erbaut werden mußten, weil die Stützpfosten von unten herauf zu faulen anfingen, weswegen sich das Anbringen von Gedächtnistafeln für die folgenden Generationen nicht so wirklich lohnte – ich bin mir nicht sicher, inwieweit die Zählung »nach Christi Geburt« damals im Denken der Leute überhaupt verankert war. In den offiziellen Dokumenten (Stiftungsurkunden etc.) war sie es meinem Eindruck nach eher nicht. Auf dem Heimweg wird Einhard dann von einem Jungen nach dem drohenden Weltuntergang gefragt, den ein Spanier namens Beatus von Liébana für das Jahr 800 (eigentlich wohl 801) berechnet hatte. Auch wenn dieser Herr mit Alkuin korrespondierte: Das halte ich doch für eine etwas optimistische Auslegung der Reichweite, die die karolinigische Renaissance erreichte.
Auch sonst läßt die Erzählung viele, für meinen Geschmack fast schon zu viele Originalquellen in den Text einfließen, die alle wörtlich zitiert werden, vom Cotani-Brief bis zur Einhards-Vita. An wichtigen Ereignissen der Zeit wird so vieles kurz angerissen, daß ich nicht sicher bin, inwiefern ein mit der Zeit nicht vertrauter Leser überhaupt durchsteigen kann. Hofschule, Alkuin, Paulus Diaconus, Schlacht an der Aller, Langobardenkrieg, Karls Ehen, Agilolfinger, Merowinger, Konzil von Nicaea – jeweils in einem Absatz. Die Sprache ist sehr modern; da wird die Herzogin Liutpirc schon mal als »exzentrisch« bezeichnet, und über die Awaren heißt es, sie besäßen als Geheimwaffe einen »skythischen Reflexbogen«, mit dem sie »auf 500 Meter (sic!) Entfernung« sogar »über 20 Schuss pro Minute« abgeben könnten. Da wundert man sich auch nicht, daß alle Datumsangaben selbst in Dialogen in absoluten Jahreszahlen gemacht werden und Cotani ganz genau sagen kann, daß Pavia 774 zerstört worden ist – damals war die Gute etwa drei Jahre alt, sie scheint also im Geschichtsunterricht gut aufgepaßt zu haben.
Und trotz all dieser Kritik: es ist ein nettes, sicher hervorragend recherchiertes Büchlein, das nur, wie ich fürchte, dem typischen Genre-Leser wenig zu bieten hat. Ich bin trotzdem sehr dankbar für den Tipp, weil es genau mein aktuelles Lieblingsthema behandelt (und da gibt’s ja nun nicht sehr viel zu). Nebenbei bemerkt: ich war nach den Unmengen an Vergewaltigungsszenen im letzten Gablé-Roman, sehr erleichtert, wie schüchtern und keusch der im Klappentext erwähnte »verführerische Plan« letztlich verlief.
Sieben Punkte. Einen würde ich noch gerne mehr geben, aber das wäre dann wirklich meiner Freude geschuldet, daß jemand zum Tassilo-Prozess überhaupt etwas verfaßt hat, und selbst aus meiner Sicht zu subjektiv.