Lieber Herr Palomar,
es ist eine gute, und eigentlich unkomplizierte Frage - die ich jedoch etwas komplizierter beantworten muss (Und will).
Benoit habe ich erwähnt, weil das Inselchen, auf der sie und Gauvain sich als Teenager liebten, wirklich sowas von um die Ecke von Kerdruc liegt (Einfach an der Küste weiter fahren und in Rospico rechts und dann… sie ist übrigens sehr, hm, rustikal).
Es gab eine (reale) Zeit, in der die Gegend entsprechend von Literatur-Reisenden besucht wurde, um die Schauplätze des Romans aufzusuchen - ich mochte die Vorstellung, etwas von dieser Realität in der Fiktion unterzubringen, ein wenig novellistisch zu sein.
Und auch: Es war ein kleiner Gruß an eine großartige Kollegin, den ich mir nicht verkneifen mochte. Oh, ertappt: Ein Gruß an die LeserInnen des Romans ebenfalls. Wir Schriftsteller machen das bisweilen ganz gern: Wir schicken Lesern Botschaften, ein bisschen wie: Hey, hast Du das auch gelesen, hast Du es auch so oder so oder so verstanden?
Es liegt auch eine schreiberische Bequemlichkeit in literarischen Querverweisen; man (der Autor) spart sich dadurch, ein eigenes Bild zu zeichnen, oder er spart sich schlicht zuviele Wörter. Einfach ein Stichwort oder eine Sentenz hinwerfen - Herr K., Salz auf unserer Haut, Rosenkrieg - schon hat er eine Stimmung, eine Assoziationskette, gebaut und eine Erinenrung abgerufen, in dem er sich bei anderen Werken bedient. Ist normal, Eco baut seine Bücher nur so. Ich benutze es zögerlich – denn auch Anspielungen wollen gelernt sein, und wohl dosiert eingesetzt werden.
Weiter.
Ich habe einige literarische Vorbilder - oder, hm, nein eher: Schriftsteller die ich bewundere, gern lese, von denen ich lerne, aber denen ich nicht nacheifere –, auf die ich aber während der Namensgebung nicht DIREKT zurück greife.
Ab hier wirds kompliziert.
Ich bin ein leidenschaftlicher Onomastiker geworden, ein Namensforscher. Warum wer wie benannt wird, mit welchen Vorurteilen und gefolgerten Meinungnen Namen leben müssen (man denke nur an Kevin und Mandy); was Namenshäufungen über die Nation und ihren Glauben aussagt, uswusf.
Deswegen ist selbst so ein Name wie Sidonie nicht einfach eine direkte Anspielung auf die Schriftstellerin Sidonie Colette - aber darauf, dass die Eltern dieser FIGUR Sidonie eine Hang zu Colettebüchern hatten. Die Mutter vielleicht die Cheribücher gelesen hat. Und das "Kind" Sidonie aber nicht so lieblich war, wenn auch so eigen.
Ich suche Name also so aus:
- Was sagt er über die Herkunft, das Alter aus, passt der Name zu der Biografie und dem familiären, religiösen, Background?
- Was sagt der Name aus über die Eltern, die ihn verleihen und gleichsam mit dem Namen auch alle Wünsche, die sie in das Kindlein setzen (Und alle Gleichgültigkeiten und Angepasstheiten ebenfalls), aus- und damit über die Vergangenheit, die Erziehung, die Komplexe, die Wunden des Charakters?
- Wie nähern sich Figur und Name einander an (Erstaunlich: wir alle haben einen Hang, uns gemäß unseres Namens zu verhalten; der gefolgerten Meinung über den Namen nachzugeben, und die Menschen glücklich zu machen in dem wir ihre Vorurteile bestätigen… huch, pscht, anderes Thema, egal; aber auch für mich relevant bei Namensgebungen).
- Plus: Der Sound. Wie hört sich das an. Schwingt das. Ist der Name so weich wie die Figur, so stark, so eigen, so neutral, so undurchschaubar?
- Und: Unterscheidbarkeit, damit man nicht durcheinander kommt beim Schreiben oder beim Lesen.
- Aussprache im Kopf des Lesers (Aber ja. versuchen Sie mal einem Franzosen den Namen Rüdiger beizubeigen. Rudiegäär?)
- und, natürlich: rein subjektiver Geschmack. All jene Menschen, mit denen ich mich mal gekloppt oder gezankt habe, deren (Vor)Namen werde ich nicht verwenden.
COLETTE also.
Colette hieß in der Erstfassung…
(Trommelwirbel)
…mal Georgette. Das war sie für mich immer, eine Georgette. Schlank, aufrecht, eine schmale lange für das Leben brennende Kerze, zerknittert und heiser,,,,,,,,,,,,,, mit einem jungen Liebhaber aber dennoch allein aus Überzeugung.
Wir änderten den Namen vor der Fahnenfassung, meine damalige Lektorin wüsnschte sich eine bessere Unterscheidbarkeit zu Genevieve.
Ich suchte also nach einem neuen Namen, der die selben Merkmale wie Georgette haben sollte:
- Mädchen aus einem nicht zu bürgerlichen Haushalt, aber schon einer der darauf hofft, dass die Kinder mal aus der Provinz rauskommen und sich einen Namen machen. Nicht zu modern, nicht zu besetzt mit Vorurteilen (Wie etwa Charlotte oder Vanessa; ich sehe da Frauen, die ganz anders sind als eine Georgette/Colette), gleichzeitig weiblich und kraftvoll, "schmalhüftig", Intelligenzvermittelnd.
Puh.
Verzeiht, ich merke gerade mal wieder, wie sehr mich die Namensforschung fasziniert. Oder, genauer: anturnt. Ich könnte den Thread hier zutexten damit.
Errötend für diesen Abend:
_Nina
Mondspielerin
PS: Meine Mama heißt mit zweitem Vornamen Marianne. Ich habe lange gezögert, ob ich ihn verwende. Aber Marianne wollte immer schon so heißen, ihr war es schnurz, dass meine Ma auch so hieß. Sie sind ganz und gar unterschiedlich.