Zitat
Original von SiCollier
Das ist mir alles soweit klar. Heute werden viele Texte gleich auf Englisch veröffentlicht, weil das nunmal die derzeitige „Weltsprache“ ist. Dem Autor geht es darum aufzuzeigen, was das (bedingt durch die andere Sprache und Denkweise der Griechen) für Folgen auf den Text und die Überlieferung hatte.
Das ist nur bedingt richtig.
Erstens gilt leider (und das ist nachweisbar!), was schon über Rückschlüsse und daraus resultierende Rekonstruktionen gesagt wurde (Erkenntnisse stammen nicht von mir, sondern sind Status quo der Hermeneutik.
Die Rückschlüsse basieren nun einmal darauf, dass kein Forscher seinen eigenen historisch bedingten Kenntnisstand ausblenden kann, so dass jede Rekonstruktion zwar bedingt Aussagen über das macht, was rekonstruiert werden soll, aber weit mehr über denjenigen aussagt, der rekonstruiert, bzw. über dessen aktuellen Kenntnisstand und Interpretationsmethode.
(Deshalb schreibt Feuchtwanger auch, dass jeder historische Roman weit mehr ein zeitgenössischer Roman ist als eine Rekonstruktion der Vergangenheit.)
Das ist leider die Falle, der auch Lapide nicht entkommt: Sein "aramäisches Judentum" ist seine Rekonstruktion und daher sicherlich eine andere als die eines christlichen Theologen, ganz gleich welcher Konfession. Welche der historischen Realität mehr entspricht, können wir nicht wirklich sagen, weil wir die Vergangenheit durch die Millionen von unterschiedliche geschliffenen Brillen nahezu aller "Vordenker" in der jeweiligen Tradition sehen -- also in jedem Fall reichlich verzerrt.
Als historisch bedingten Wesen mit trotz allem beschränkter Erkenntnisfähigkeit bleibt uns nichts anderes. Absolutes, unwiderlegbares Wissen steht uns nicht zu Gebote -- jedenfalls nicht über Realien.
(Das ist eine ganz entscheidende erkenntnistheoretische Grundlage, die im Übrigen weltweit durch die Geschichten der unterschiedlichsten Philosophien geistert.)
Außerdem wurde das Christentum anfänglich zu einem großen Teil über das hellenistische Judentum in Kleinasien entwickelt -- und der früheste christliche Autor, Paulus von Tarsos, war strenggläubiger, "eifernder" Jude mit sowohl jüdischer Bildung als auch erkennbar guten Kenntnissen in griechischer Philosophie, ein Grenzgänger also.
Von daher ist es sehr wahrscheinlich, dass der Begriffstransfer und der Transfer der Lehre aus dem aramäischen Sprachraum in den der "lingua franca" des Mittelmeerraumes, ziemlich reflektiert vonstatten ging.
Diesen Faktor lässt Lapide m.E. zu sehr außer acht. In seinem Denken herrscht der Gedanke des Trennenden zwischen griechischem und jüdischem Geist vor. Aber diese Trennung bestand (geistesgeschichtlich gesehen) so nicht wirklich!
Übersetzungen sind immer ein Problem, da hast du völlig recht. Das genau ist der Grund, weshalb "die Kirche", besser gesagt: die christlichen Autoritäten sich lange sehr schwer getan hat mit Gesamtübersetzungen in die Volkssprachen. Man kämpfte ja noch im 19. Jh. mit den Vertracktheiten der lat. Übersetzung, der Vulgata!
(Randbemerkung: Die Klassische Philologie und in ihrem Gefolge die modernen Sprach- und Literaturwissenschaften sind allesamt Kinder der theologischen Exegese, in der von sehr vielen Theologen die Probleme des Übersetzens immer wieder reflektiert und problematisiert werden.
Und wenn man sich mal die Erstfassung der Luther-Übersetzung anschaut, dann wird einem bei manchen Textstellen schlecht, wie miserabel hier übersetzt wurde, weil der Wunsch der Vater des Gedankens war! Daher auch die vielen Überarbeitungen der Luther-Übersetzung.
Nachklapp: Das sollte Lapides Leistung nicht schmälern! Seine Bücher sind ein extrem wichtiger Beitrag für den christlich-jüdischen Dialog. Aber ich hab das ja schon erwähnt.