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Original von Lipperin
Einmal der Name der Schlacht: Varus-Schlacht. Ich bin mir nicht sicher, aber das ist doch eigentlich nicht Usus, eine Schlacht nach dem "Verlierer" zu benennen, oder? Ich kenne mich in militärischen Dingen überhaupt nicht aus, aber die paar Schlachten, an die ich mich erinnere, tragen Ortsnamen (Waterloo etc.).
Die Schlacht wurde in Deutschland früher lieber "Hermannsschlacht" genannt (so auch die Titel diverser patriotisch gesinnter Dramen und Opern zu diesem Thema) oder "Schlacht im Teutoburger Wald".
In der antiken Geschichtsschreibung hieß sie clades Variana (wörtlich "Varianische Niederlage", also "Niederlage unter Varus"). Das hat nichts mit "Gewinner" oder "Verlierer" zu tun, sondern damit, dass römische Geschichtsschreiber (vermutlich unter Berufung auf die Annalisten, d.h. die diversen Jahresberichte, die sie als Quellen benutzten) militärische Einzeloperationen oft mit den Namen des jeweils aktuellen Befehlshabers, des auf römischer Seite Verantwortlichen, benannten.
16 v.Chr. erlitt ein römischer Statthalter in Gallien namens Lollius mit zwei Legionen eine schwere Schlappe gegen ein Heer, bestehend aus Kriegern mehrerer linksrheinischer Stämme (Usipeter, Tenkterer und Sugambrer), das plündernd und mordend in Gallien eingefallen war -- diese Schlappe hieß logischerweise clades Lolliana.
Das Argument, die Benennung dieser Schlacht nach dem Verlierer sei ausgesprochen ungewöhnlich, wird häufig in der hochemotionalen Debatte um die Varusschlacht angeführt, ist aber ausgemachter Unsinn.
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Frage 2 betrifft die Legionen: Die 17., 18. und 19. waren es, nicht wahr? Ich bilde mir ein, gelesen zu haben, dass diese Bezeichnungen nie wieder verwendet wurden?
Das ist richtig. Der Hauptgrund war zunächst, dass die Legionsstandarten, die Adler, in der Schlacht verloren gegangen waren. Feldzeichen galten als heilig, auf sie schworen die Soldaten ihren Eid und sie maßen ihnen magische Kräfte aufgrund einer besonderen Beziehung zu den für Römer wichtigsten Göttern zu.
Der Verlust der Adler bedeutete, dass man diese Legionen nicht neu aus dem Boden stampfen konnte, ehe die Standarten dem Feind nicht entrissen waren.
Später war es wohl eine pragmatische Entscheidung, damit keine Truppe sich als "Unglücksregiment" ansah. Soldaten waren zumindest bis über den Zweiten Weltkrieg hinaus abergläubisch.
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Ach ja, wenn ich schon dabei bin, Frage 3: Der Kopf des Varus wurde doch (mit allen Ehren?) im Rom (?) bestattet. War das "nur" seiner familiären Bindung an Augustus geschuldet? Oder war das so üblich oder sollten seine früheren Verdienste dadurch auch gewürdigt werden?
Jetzt wird 's kompliziert ...
Es ist richtig, dass Varus mit Augustus eng verschwägert war. In zweiter Ehe war er mit einer Tochter des Agrippa (aus erster Ehe) verheiratet gewesen, der Augustus' wichtigster General und sein Schwiegersohn (in zweiter Ehe) gewesen war. Später heiratete Varus Claudia Pulchra, eine Enkelin von Augustus jüngster Schwester und zugleich eine Cousine seiner ersten Frau und eine Nichte seines damals bereits verstorbenen Schwiegervaters Agrippa. Diese Claudia war Augustus sehr ans Herz gewachsen. Es bestand also eine sehr enge Beziehung zwischen Varus und der Familie des Augustus.
Außerdem war Varus wohl einer derjenigen, die in Agrippas große Fußstapfen treten sollten, wie sein Mandat in Syrien zeigt, wo Varus einen der ganz großen außenpolitischen Fehlgriffe des Augustus ausbügeln sollte. Die Familie des sattsam bekannten Herodes war als Vasallenkönige im Gebiet des heutigen Israel und Libanon installiert worden. Die Angehörigen dieser ungeheuer reichen Sippe bekriegten und ermordeten sich allerdings gegenseitig aus Angst und Habgier. Zudem mischten sich in der Region die Parther ein, die einen Zugang zum Mittelmeer und die Herrschaft über die damalige Kornkammer Ägypten an sich reißen würden, was in Roma, das von den Getreidelieferungen aus Ägypten abhängig war, zu einer Katastrophe geführt hätte.
Diese äußerst heikle Aufgabe hat Varus mit rechtlichen und militärischen Mitteln, allerdings wenig zimperlich, gelöst -- andernfalls hätte es allerdings einen Flächenbrand gegeben, der den gesamten östlichen Mittelmeerraum in einen Krieg gerissen hätte. Die Parther waren als Eroberer und Besatzer noch weniger zimperlich als die Römer.
Varus stand also als Jurist und Militär in hohem ansehen, als ihm die Aufgabe übertragen wurde, in den unter rein militärischer Kontrolle stehenden Gebieten zwischen Rhein und Elbe eine Provinzadministration einzurichten, wie er das zuvor im Nahen Osten gemacht hatte. Man kann Varus' Vorgehen nur vor dem Hintergrund seiner früheren Statthalterschaft in Syrien und der Umformung der benachbarten Vasallenkönigtümer in Provinzen (Iudaea etc.) verstehen.
Varus hat auch dort einheimische Würdenträger mit einbezogen -- und das wusste unser Freund Arminius offenbar zu nutzen.
Die Niederlage ist in Rom offenbar zunächst nicht Varus angelastet, sondern als Verrat und Aufruhr angesehen worden. Das zumindest bezeugt die feierliche Bestattung, die ja eine klare Ehrenbezeugung ist.
Außerdem gab es offenbar eine Untersuchung des Vorfalls durch eine Senatskommission -- und von nun an wird es heikel.
Damals saß ein gewisser Velleius Paterculus im Senat, der um die Zeitenwende einer der verantwortlichen Militärs in Germanien war. Wenn Dieter Timpe richtig liegt und der mehrtägigen Buschkrieg im damaligen Teutoburger Wald im Kern eine Hilfstruppenmeuterei war, dann liegt ein Teil der Verantwortung natürlich auch bei denjenigen, die vor Varus dort den militärisch verantwortlich waren (z.B. für ausstehende Sold- und Sonderzahlungen etc.). Die Schilderung der Varusschlacht gehört zu den ausführlichsten und parteiischsten Passagen in Velleius' Geschichtsbuch, das er ausgerechnet dem Enkel des Mannes widmet, der Oberbefehlshaber in Germanien war, während Velleius dort weilte.
Dazu kommt noch, dass Varus' Witwe Claudia Pulchra ebenso wie sein einziger Sohn 17 Jahre nach der Varusschlacht Opfer der Machtkämpfe zwischen Tiberius und seinem Neffen Germanicus bzw. dessen Frau und späterer Witwe, der jüngeren Agrippina, wurde. Velleius war damals ein williger Gefolgsmann des Tiberius und arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits an seinem Geschichtswerk, das vor allem eine Verherrlichung der Regentschaft des Tiberius werden sollte.
Ausgerechnet diejenige Quelle, die uns Varus als raffgierigen Idioten schildert, ist also aus mehreren Gründen in ihrer Argumentation reichlich unglaubwürdig.
Insofern können wir getrost davon ausgehen, dass Varus zumindest bis zum Tod des Germanicus im Oktober 19 n.Chr. zwar als Besiegter dastand, aber ihm nicht die Schuld an der Katastrophe angehängt wurde.