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Original von Lipperin
Ich beschäftige mich gerade ein bisschen mit Marbod - und irgendwie kommt mir dessen Geschichte bekannt vor: Vermutlich wuchs er in Rom auf, anscheinend lernte er dort eine Menge, jedenfalls so viel, dass er offensichtlich im Kleinen das kopierte, was die Römer im Großen "vollbrachten". Ein kleiner König in seinem Reich, mal gab es Haue für die Nachbarn, mal "Friedensverträge".
Ich staune immer wieder über die Behauptungen, Marbod und/oder Arminius seien in Rom oder gar im Haus des Augustus aufgewachsen. Dafür haben wir keinen Beleg; es ist nur eine Vermutung auf der Basis dessen, dass die Kinder einzelner Vasallenkönige sich wohl zumindest zeitweilig in der Obhut mächtiger römischer Familien befunden haben. Wechselseitiges Geiselstellen war in der Geschichte eine verbreitete Frieden stiftende Maßnahme, zugleich ermöglichte sie eine kulturelle Annäherung, weil die Geiseln ja die jeweils andere Kultur sehr gut kennen lernten.
Mich beunruhigt, dass alle solchen Maßnahmen gemeinhin nur als grausame Methoden von Unterdrückung und Machtausübung angesehen werden. So sahen diejenigen, die das Praktizierten, es überhaupt nicht und verhielten sich auch - abgesehen von Einzelfällen - nicht so! Ein Gastgeber, der die Regeln des Gastrechts (und darunter fiel die Aufnahme von Geiseln) brach, verstieß gegen so ziemlich die heiligsten Gesetze, und das fiel auch unter den eigenen Leuten auf ihn zurück.
Wenn ich heutige populäre Sachbücher und TV-Dokus über damalige (antike bzw. auch mittelalterliche) Verhältnisse lese bzw. anschaue, dann bin ich nicht selten zutiefst erschrocken über das Menschenbild, das dort vermittelt wird. Die Vergangenheit ist keineswegs so finster, wie immer wieder kolportiert wird -- im Gegenteil: die finstersten Jahrhunderte sind das 19. und das 20.
Ich möchte nichts schönfärben, aber die Gruselbilder, die in den Köpfen der Menschen geradezu systematisch festgeklopft werden, entsprechen einfach nicht der Realität. Zumal die Menschheit in so vielen harten Jahrhunderten und Jahrtausenden als sich selbst zerfleischende Bestie trotz aller Findigkeit keine Chance gehabt hätte, sich über die Altsteinzeit hinaus zu entwickeln.
Kulturelle und technologische Entwicklung erfordern Kooperation.
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Selbst wenn ich jetzt davon ausgehe, dass die Römer kurz vor Marbods Zelten ihren gegen ihn gerichteten Feldzug abbrachen, um die Pannonier und Verbündete zur Räson zu bringen, wäre denn nicht dieser germanische, Verzeihung markomannische König bestens dazu geeignet, von Arminius erst als Vorbild und dann als "zu übertreffende Größe" angesehen zu werden?
Das ist genau mein Gedanke. Zumal es wahrscheinlich ist, dass Arminius nicht nur am pannonischen Feldzug teilgenommen hat, sondern auch an Tiberius' Marsch gegen Marbod.
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Wie viel wusste man damals eigentlich übereinander? Was ich meine, ist, unter den germanischen Stämmen? Weiß man überhaupt etwas darüber?
Natürlich weiß man nicht viel über Kulturen, die noch keine ausgeprägte Schriftlichkeit entwickelt haben. Da muss oft gemutmaßt werden und die meisten Schlüsse zieht man aus interkulturellen Vergleichen.
Aber selbstverständlich ist davon auszugehen, dass diese Stämme in Verbindung miteinander standen (vielfach aufgrund der bereits erwähnten wechselseitigen Geiselstellungen, Verschwägerungen etc.).
Auf jeden fall wussten schon vor dem 1. Jh.v.Chr. die Völker nördlich der Alpen, dass südlich der Alpen was zu holen war; sonst hätten die Kimbern und Teutonen (die amals nicht als Germanen galten!) niemals die Strapazen einer (versuchten) Alpenüberquerung auf sich genommen.
Arminius hat nach der Varusschlacht versucht, Marbod auf seine Seite zu ziehen, und als Marbod das Angebot (mit Varus' Kopf als Geschenk "versüßt") ausschlug, hat Arminius ihn bei erstbester Gelegenheit mit Krieg überzogen.