Hallo MaryRead!
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Original von MaryRead
Klar ist es ideal, wenn die Fakten dann auch alle stimmen. Aber das ist viel verlangt - wenn alle historischen Fakten bis ins Kleinste recherchiert sein müssen, d.h. wenn die Stärke des Autors/der Autorin darin liegen muss, wäre er/sie dann nicht vielleicht besser Historiker/in geworden statt Romanautor/in?
Gegenfrage: Wozu sollen Historiker und deren gründliche (Vor)Arbeit gut sein, wenn sie z.B. in einem historischen Roman nicht zum Tragen kommt?
Sollen diese Leute nur für den eigenen Elfenbeinturm forschen? Oder für Fachbücher, die man ja dann lesen kann, wenn man sich ganz intensiv für etwas interessiert?
Wie soll das erworbene Wissen unter die Leute kommen, wenn nicht auch durch populäre Veröffentlichungen, zu denen eben auch das populärwissenschaftliche Sachbuch und der historische Roman gehören.
Wenn geschichtliche Erkenntnisse beliebig verwendet werden können, d.h. wenn ihr Wahrheitswert für die "breite Masse" egal ist, dann müssen wir eigentlich auch keine Steuergelder für solche Wissenschaften ausgeben, da sie keine direkte Relevanz für die Gesellschaft aufweisen
Oder?
Cave me advocatam diaboli ... ;o]
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Allerdings darf man's nicht übertreiben mit diesen Forderungen. Denn zu einem guten Roman gehört einfach noch mehr als Faktentreue, und wenn die Fakten alle wasserdicht sind, aber der Spannungsbogen nicht stimmt... oder das Buch von Druckfehlern trotzt... oder die Sprache langweilig ist - dann rettet auch die Faktentreue nicht.
Aber hallo! Warum wird gebetsmühlenartig dieser Gegensatz aufgemacht: Fiktion=spannend vs. Realität(streue)=langweilig? Das ist kompletter Unsinn!
Wenn ich etwas lese - ganz gleich ob Sachbuch, Roman oder Zeitschriftenartikel -, das es mit der Realität(streue) nicht ernst nimmt, z.B. indem zum x-ten Mal uralte Vorurteile kolportiert werden, dann langweile oder ärgere ich mich und fühle ich mich um mein Geld betrogen.
Wenn der "Spiegel" etwas Antik-archäologisches verzapft, schaue ich nur rein, weil man halt wissen muss, gegen welchen Quatsch man jetzt schon wieder anargumentieren muss. Es ist wirklich grauenhaft, was "Wissenschafts"journalisten, die es als Fachleute eigentlich besser wissen müssten, in die Welt setzen. Ebenso ist es mit vielen SachbuchautorInnen.
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Umgekehrt kann ein Buch auch dann gut sein, wenn der eine oder andere Fehler drin ist, aber das Buch einfach so gut geschrieben ist, dass man es gerne liest.
Nochmal: Die Kritik richtet sich weder gegen kleine Anpassungen oder Detailfehlerchen, noch dagegen, dass man "hinzudichten" muss, weil es Lücken gibt; auch nicht dagegen, dass jedes Wort präzise so überliefert werden muss. Das wären ja bloße Nachschriften der Quellen! Auch Fachliteratur geht weit darüber hinaus.
Die Kritik richtet sich gegen krasse Fehler und Verzerrungen, historischen Schwachsinn wie Kartoffeln und Mais im 13.Jh., meterhohen Schnee im 9./10.Jh., Hexenverfolgung im Mittelalter, die grundlegende Gesellschaftsstruktur einer Zeit (z.B. dass es im MA Frauen verwehrt gewesen sein soll, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen), später erfundene "Gesetze" (z.B. das ius primae noctis, das auch und gerade aus Sachbüchern nicht auszumerzen ist!), Gladiatorenspiele in gemauerten Amphitheatern vor dem Ende der Römischen Revolution --- diese Liste könnte ich endlos fortführen.
Vor allem geht es z.B. um diese austauschbaren "Emanzipationsstories", die bei Bedarf mal in die eine, mal in die andere "historische" Raumzeit transponiert werden, die nur deshalb so toll wirken, weil alle Welt darüber redet und Wunschvorstellungen bedient werden, die vom "Subgenre" selbst geschaffen wurden.
Nebenbei bemerkt sitze ich auf der Seite der Buchproduktion, wo man mir u.U. erheblichen Druck macht, Fakten zu verfälschen, weil "die LeserInnen das so wollen". Wenn dieses "demokratische Prinzip" Voraussetzung dafür wird, dass etwas veröffentlicht wird, dann werde ich nichts mehr veröffentlichen. Lieber lasse ich mir die Hände abhacken! ;o)
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Labels wie "populärwissenschaftlich" oder "Roman" sollten mir als LeserIn allerdings auch einen Hinweis darauf geben, welchen Qualitätsmassstab ich anlegen darf und welchen nicht. Dann kann ich "cum grano salis" trotzdem noch eine ganze Menge lernen.
Einspruch: Mir reicht das Etikett "Roman" nicht - dafür wird im Sachbuchbereich zuviel überholter Mist veröffentlicht.
Außerdem: Warum eigentlich sollten Lug und Betrug die Menschen mehr zum Interesse reizen als Realitätstreue?
Wie gesagt: Oben aufgetaner Gegensatz ist meiner Ansicht nach kompletter Schwachsinn, erfunden von Marketingfritzen - meine Branche! :o( -, die Profit nur dann zu machen wähnen, wenn sie die Menschen betrügen (womit ich niemanden in diesem Forum meine - ihr habt's ja schließlich nicht erfunden!).
Der Quatsch wird auch durch die x-te Wiederholung nicht zur Wahrheit!
Es gibt qualitative Unterschiede, sprachlicher, erzählerischer und sachlicher Natur. Solche Maßstäbe werden an alle Genres angesetzt. Zu Recht!
Wenn wir Qualität nach rein demoskopischen Kriterien bewerten, bleibt am Ende nur das Niveau der BILD-Zeitung. ;o)
Herzliche Grüße,
Iris