ZitatOriginal von beowulf
Aber je mehr ich mich in das Thema eindenke, desto mehr nähere ich mich Toms Provokation von der Fantasy. Es gab bei dem ersten Band von Viola Alvarez Trilogie zur Bronzescheibe von Nebra eine heftige Diskussion in der die Verfechter des historischen Romans dieses Buch als Mischung aus Mystery und Fantasy- und damit nicht tragbar- bezeichneten (abqualifizierten?). Das fand ich absurd- aber in einen größeren Zusammenhang gestellt macht mich das nachdenklich.
I beg to differ! Dieses Abqualifizieren oder Abschaffenwollen ganzer Genre, weil nicht alles, was publiziert wird, im strengen Sinne den Kriterien entspricht, heißt, das Wasser samt Baby in den Gully zu kippen.
"Genre" ist eine thematische Einteilung in der Literaturwissenschaft, und wie alles in der Literaturwissenschaft, ist diese Einteilung kein striktes Raster, sondern beschreibt die Zugehörigkeit von Texten zu einem Genre, weil diese Texte bestimmte Kriterien erfüllen.
Kein Text erfüllt nur *ein* Kriterium, sondern immer mehrere. Ein Roman ist nie nur ein historischer, sondern immer auch etwas anderes, z.B. ein Entwicklungsroman, ein Liebesroman, ein Abenteuerroman, ein Kriegsroman oder was es sonst noch für Oberbegriffe gibt.
Diese Ordnung ist keineswegs hierarchisch -- nur in dem Sinne, dass Kriterien, welche im Text überwiegen, bei der Einordnung stärker gewichtet werden.
In Buchhandlungen hat "Genre" inzwischen die Bedeutung einer systematischen Aufteilung in Verkaufsbereiche bekommen, d.h. steht auf einem Buchdeckel "Historischer Roman", landet er in einem speziellen Regal. Dabei ist völlig egal, ob der Roman überhaupt den entsprechenden Kriterien standhält oder nicht -- entscheidend ist, was der Verlag auf den Einband druckt oder wie das Buch in der Verlagsvorschau angekündigt wurde!
Viola Alvarez sieht ihre Roman verständlicherweise nicht wirklich als "historische Romane" -- es sind literarische Mythenadaptionen. Aber da tun sich Verlag und Buchhandel natürlich schwer, denn das Buch muss ja irgendwo plaziert werden. Also nimmt man das verkaufsträchtigste unter den naheliegenen Etiketten. Ökonomisch gesehen ist das sinnvoll.
Dass es allerdings zu Frustrationen führt, wenn Historienleser sich enttäuscht glauben oder anspruchsvollere Leser keinen Nerv mehr haben, bei all diesen gleichgeschalteten Aufmachungen nach etwas, das ihren Vorstellungen nahekommt, endlos lange suchen zu müssen, ist verständlich. Mir geht es ja nicht anders.
Allerdings kommt mir schon die Galle hoch, wenn es den Autoren angelastet wird, nicht alle bereits mit dem Einband verbundenen Lesererwartungen erfüllt zu haben, wenn eigentlich seit langem klar sein müsste, dass diese Aufmachung ebenso wie die Vermarktung weitgehend nach ökonomischen Gesichtspunkten gestaltet wird und die Autoren ziemlich wenig Einfluss darauf haben!
Andererseits: Solange die übliche Vorgehensweise sich als die ökonomisch sinnvollste erweist, wird man es in den Verlagen und Buchhandlungen so machen. Verlage und Buchhandlungen sind keine hochgesponserten Wohltätigkeitseinrichtungen, sondern Wirtschaftsunternehmen mit allen dazugehörigen Zwängen. Und solange die überwiegende Mehrheit der Buchkäufer auf bestimmte Versatzstücke wie Glutaugen-und-Dekolletee-Cover, "Die ...in"-Titel, Schwerpunkt Liebe im Klappentext und weibliche Hauptperson fliegt, wird sich an der bestehenden Vorgehensweise zur Etikettierung nichts ändern.