Hallo, Vulkan!
Zitat
Original von Vulkan
Wobei auch klar ist, dass selbst anspruchsvollere Romane sich nie ganz von ihrer eigenen Zeit befreien können.
Warum sollten sie das auch? Es gibt ja auch einen Grund, weshalb der Autor sich für jene ferne Zeit interessiert, und dieses Interesse speist sich in den meisten Fällen aus der Erkenntnis, dass es da Gemeinsamkeiten gibt.
Ich verweise mal auf Lion Feuchtwangers brillanten Aufsatz Vom Sinn und Unsinn historischer Roman, den ich gerade erst in einer ähnlichen Diskussion herangezogen habe.
Natürlich schaut jeder Autor historischer Romane durch die Brille seiner Zeit. Aber das kann er ganz unbedacht tun, dann wird das Ergebnis unterhaltsam, aber trivial sein (das ist nur ein literarisches Urteil, kein moralisches!); oder er tut es reflektiert, dann kann etwas herauskommen, das mehr ist als bunter Zeitvertreib.
Gegen bunten Zeitvertreib ist wirklich nichts zu sagen! Alles zu seiner Zeit. Aber wie öde wäre es, wenn es nur noch eine (sei es diese, sei es eine andere) Sorte Literatur gäbe!
Für mich zeichnet es ganz grundsätzlich einen guten Roman aus, dass er mir mehr gibt als nur bunten Zeitvertreib. Dass der Autor mich beschenkt, mit dem, was ihn bewegt. Dabei ist mir das Genre völlig einerlei!
Im historischen Roman schätze ich es nun einmal, wenn mir ein Autor nahebringen kann, inwiefern Menschen früher uns ähnlich und inwiefern sie anders waren. Wie sie dachten, fühlten und handelten, wie sie ihre Schwierigkeiten lösten. Wie sie mit den großen Themen, insbesondere mit Tod und Liebe umgingen, wie sie sie erlebten. Und wie sie selbst in aussichtsloser Lage ihre Menschlichkeit zu bewahren versuchten oder auch nicht.
Ein solcher Autor puselt nicht einen bunten, "faktengestützten" Hintergrund zu einer Liebesgeschichte zusammen und schweißt auch nicht einfach irgendwelche historischen Ereignisse zu Doku-Dramen mit (evtl. zusätzlichen fiktiven) Identifikationsfiguren zusammen, sondern er zeigt mir in seinen Romanen Alternativen zu meinen gewohnten Denkstrukturen und Meinungen, er entlarvt meine Vorurteile und erweitert meinen Horizont.
Wenn das nicht gegeben ist, langweilt mich ein Roman. Und auch ich selbst möchte keine Romane schreiben, die mich langweilen.
Und zum Thema Sachbuch kann ich nur sagen: Wer ernsthaft glaubt, dass populäre Sachbücher historisch korrekter seien als Romane, täuscht sich gewaltig! Auch der Sachbuchmarkt wird von Marktgesetzen beherrscht, und auch dort werden vor allem die Vorurteile der Buchkäufer bedient. Oder glaubt irgendjemand, dass an den Veröffentlichungen der Herren Lincoln, Baigent und Leigh mehr dran ist als Verschwörungstheorien äußerst bedenklicher Herkunft?
EDIT: Sch...-Tippfehler ...