Ich, Sperling - James Hynes
Produktbeschreibung (laut Amazon):
»Niemand weiß, wer ich bin, am allerwenigsten ich selbst.«
Ein alter Mann blickt zurück auf seine oft unmenschliche Kindheit: Als namenloser Waise wächst er in einem Bordell inmitten der sogenannten „Wölfinnen“ im spanischen Carthago Nova im 4. Jahrhundert n. Chr. auf. Eine von ihnen, Euterpe, wird seine Ziehmutter: „Sperling“ nennt sie ihn liebevoll. Sperling weiß nicht viel von der Welt: Anfangs hilft er Euterpes geheimer Geliebten in der Küche, später schuftet er in der Taverne, bis er schließlich in das ominöse Obergeschoss geführt wird, wo die Prostituierten ihre Betten haben. Ein furchtbares Schicksal erwartet ihn dort. Doch wie ein kleiner Sperling entfliegt er in seiner Vorstellung der brutalen Realität immer wieder und vermag es, mit seinem Lied auch anderen Hoffnung zu geben.
Mit großer Vorstellungskraft und Einfühlungsvermögen lässt James Hynes in ›Ich, Sperling‹ das spätrömische Reich in den Geschichten der Desklassierten und Ausgenutzen auferstehen, dort, wo Gewalt und aufrichtige Liebe in einer dem Untergang geweihten Welt direkt nebeneinander existieren.
»Diese verborgende Welt stellt Hynes unbeschreiblich kraftvoll und lebendig dar.« The Times
»Meisterhaft in seiner Darstellung von Liebe, Sexualität und Freundschaft.« The Observer
Über den Autor:
James Hynes ist Absolvent des Iowa Writers' Workshop und veröffentlichte bisher drei hochgelobte Romane sowie eine Kurzgeschichtensammlung. Weitere Texte erschienen u. a. in der New York Times und Washington Post. Er lehrte Kreatives Schreiben an diversen Universitäten. Hynes lebt in Austin, Texas.
Meine Meinung:
Wie so viele andere bin ich über das Cover auf das Buch aufmerksam geworden. Im Leben nicht hätte mich das hübsche Design und der recht nichtssagende Titel auf den Inhalt des Buches vorbereiten können.
Bildgewaltig entführt uns der Autor ins sterbende Römische Reich. Es ist das 4. Jhdt. nach Christus, die Christen haben das Ruder übernommen, die alten Götter sterben in einem verfallenen Tempel auf dem Hügel der Stadt Carthago Nova. Der Bischof hat immer mehr das Sagen und der will in seiner Stadt keine Sünde sehen. Es sei denn, diese Sünde finanziert ihm den Bau der neuen Kirche. Und so kommt es, dass es ausgerechnet der Bischof auf einigen Umwegen ist, der das letzte Bordell in Carthago Nova unterhält.
Jakob, wie sich das Kind, das in diesem Bordell aufwächst Jahrzehnte später selbst nennen wird, ist ein Sklave in diesem sterbenden Reich und "Ich, Sperling" erzählt die Geschichte seiner Jugend - und das auf eine ungeschönt intensive Art, die einem Beim Lesen das Herz zerreißt. Das ist für mich auch das Herausragendste an dem Buch: Der Autor hält sich nicht mit dem Blick auf die glänzende Oberfläche auf, erzählt nicht die Geschichte einer:r der wenigen Sklav:innen, die es doch irgendwie schaffen und am Ende für ihre Freiheit einstehen. Er erzählt von dem Preis, das das Imperium von seinen Schwächsten verlangt hat, von der absoluten Entmenschlichung und Gewalt, die das Fundament bildeten, auf dem ein ganzes Reich aufgebaut war.
Sperling heißt das Buch, weil Dissoziation mitunter die einzige Überlebensstrategie ist, die es dem Jungen im Mittelpunkt der Geschichte ermöglicht, weiterzuleben. Wenn er vergewaltigt, geschlagen, gefoltert wird, verlässt seine Seele seinen Körper, wird er zu einem kleinen Sperling, der wegfliegen kann, während die nur sein Körper die Gräueltaten überstehen muss. So sehr mich Hynes mit seinem bildhaften, atmosphärischen Stil auch abgeholt hat, die Schilderungen von Gewalt gingen mir einen Schritt zu weit, und ich hatte mitunter das unschöne Gefühl zur Voyeurin in einer Szenerie degradiert zu werden, in der die Ausführlichkeit des geschilderten Leids zur Unterhaltung wird. Außerdem haben mich die zahlreichen Tempiwechsel immer wieder irritiert und aus dem Lesefluss gerissen.
Dennoch wird mir das Buch mit Sicherheit lange im Gedächtnis bleiben und zwar als eines, das mich nachhaltig beeindruckt und mir beim Lesen tief unter die Haut gegangen ist.
In Schulnoten würde ich eine solide 2 geben.