Ich weiß ja, dass meine Texte alle in der Ich-Form geschrieben sind, aber das kann ich einfach am Besten...
So, der Text hier ist ein Text, den ich am liebsten nicht geschrieben hätte, aber das habe ich mir fest vorgenommen...der Text ist jemandem gewidmet.
Der Weg zum Regenbogen
Meine Füße fliegen über das Parkett. Hier ein Körnchen, da ein Körnchen. Der Teppich ist noch neu, ich spüre, wie er unter jedem Schritt von mir nachgibt, der Aufkleber hängt auch noch dran. Eine schnelle Bewegung, und schon zuckt mein Näschen der Schnur entgegen, die über mir hängt. Ich rieche die Blüte über mir. Ein Löwenzahn, für Gänseblümchen ist sie zu groß. Meine Pfote ausgestreckt, reicht sie gerade, um die Blüte zu berühren. Ich umschließe sie mit den Krallen, eine Drehung, und schon hänge ich in der Luft. Der Boden ist unter mir, entfernt sich mit einem Schlag, und doch kommt die Decke nicht näher. Sie ist aus Holz, mit vielen schönen Mustern und Verziehrungen. So weit weg, und doch scheint sie zum Greifen nahe.
Die Blüte liegt fest in meiner Pfote, ich lasse sie nicht los. Sanft nage ich sie aus dem Band heraus, was sie hält. Noch ein Stück, noch eines. Der letzte Faden reißt, ich falle, und lande doch so weich. Ich schwebe, getragen von der riesigen Hand, die so viel größer ist als meine Pfote, hinüber zu meinem Zuhause. Ein großer Käfig, viel schöner und größer als das enge und überfüllte Glasterrarium vor diesem Zuhause. Die Blüte wird gepackt, schleunigst verschwindet sie in meinen Backen. Ein Satz, und ich sitze auf der Ablage neben dem großen Laufrad. Das Türchen klickt, als die Tür geschlossen wird. Ich laufe durch die bunte Röhre, lande sanft auf den Sägespänen, noch ein Schluck Wasser. Der Käfig ist sauber, und doch fühle ich mich so wohl. Noch einmal zuckt das Näschen, dann verschwinde ich in der Dunkelheit.
Ein Jahr ist um, die Bewegung lässt nicht nach, und noch immer schnellt mein Näschen elegant in die Höhe. Die dünnen Barthaare flattern im Wind, wiedereinmal das Pakett unter mir, es ist ein warmer Sommertag. Die Sonne geht gerade unter. Die große Hand umfasst mich, und immernoch ist sie weich und groß, immernoch so viel größer als meine Pfote. Nichts hat sich geändert. Noch schnell ein dankbares Knuffen in die Haut, und ich verschwinde wieder in der Dunkelheit, eine Blüte in den Backen. Gänseblümchen. Die Blüte wird hervorgeholt, ein, zwei Blättchen verschwinden in meinem Mäulchen. Immernoch so lecker wie die Blüten früher. Ab ins Licht, wieder durch die Röhre, durch noch eine. Ich stehe ganz oben, das Näschen nach oben gestreckt, leise, ich höre jeden Atemzug.
Noch ein Vierteljahr ist um, immernoch kein Zeichen von Alter in den Knochen war zu spüren, bis zu dem Tag, wo ich mich zur Regenbogenbrücke aufmachte und an dem mein Leben endete. Der Tag vorher lief genau so, wie jeder Tag gelaufen war. Die Blümchen hatten immernoch geschmeckt, und sie schmecken auch jetzt noch. Doch keine Ablage mehr, keine bunten Röhren, kein Pakett und auch keine Schnur trennt mich mehr von ihnen. Dort steht ein prächtiges Gänseblümchen, daneben ein Sonnenhut, ein Löwenzahn. Mir geht es gut, ich habe Wasser, etwas zu trinken, und doch, wenn ich die bunten Farbschleier am Himmel betrachte, erinnere ich mich an meine Röhren, die Dunkelheit in den Strohnestern ist so viel kälter als in meinem Häuschen, keine weichen Sägespäne mehr unter meinen Pfoten. Heimweh erfasst mich, ich blicke hinunter, sehe die weiche Hand, die mich so behütet hat. Sie trägt eine Feder, eine Träne rollt daran entlang. Ganz alleine steht sie neben dem Stein, der vor ihr liegt. Immernoch ist sie soviel größer als ich, mir schient, sie ist sogar noch gewachsen. Die Feder steckt in der Erde, direkt hinter dem Stein, sie steht für die Freiheit, die mir zuteile war, über die ich mich so gefreut habe. Eine Blüte liegt zum Abschied darauf, gelb ist sie, doch so eine habe ich noch nie gesehen. Das Näschen schnellt in die Luft, meine Füße fliegen über das Gras, immer schneller. Hier eine Blüte, da eine Blüte. Ich kann nicht sehen, wie sich die Hand zu einem stummen Gruß hebt, sich leise verabschiedet. Die Blüten scheinen fremd zu sein, so falsch an diesem Ort. Doch ändern kann ich es nicht. Die Regenbogenbrücke kennt keine Schmerzen, keine Grenzen und keine Regeln, doch für mich ist jeder Schritt die pure Qual, jeder Baum ein Hindernis, und die allergrößte Regel herrscht hier oben: Die Regel, des Lebens beraubt zu sein.
Gewidmet und geschrieben für meinen Hamster Rraya. Die Feder steckt dort seit Samstag. Ich hoffe, das kommt in etwa dem nahe, was ich ausdrücken wollte.
Kritik ist erwünscht (oder eher gesagt: erhofft)