Beiträge von Stefan Jahnke

    Kaum eine andere aus unseren Träumen und Ängsten entstandene Spezies ist mit so vielen Klischees behaftet, wie die Vampire. Knoblauch, Sonnenlicht und Holzpfähle sollen uns vor ihnen schützen. Soweit mein bisheriges Wissen auch im momentan herrschenden Hype rund um dieses Genre in Literatur und Medien.
    Nach Lektüre des ersten Bandes des sehr umfangreichen Werkes von Antje Jürgens musste ich an anderer Stelle einräumen, dass sie es versteht, eine ganz andere Welt, gar eine den Vorurteilen gänzlich konträr laufende Rasse zu zeichnen. Und darum war ich natürlich gespannt auf Band 2. Die Geschichte setzt sich fort und wir erleben Wesen, die man auf den ersten Blick nicht von uns unterscheiden kann. Dies liegt nicht nur an Jürgens klarer Zeichnung der einzelnen handelnden Personen, vielmehr besonders an deren aktuellen Problemen, die genau dieselben sind, die wir weitestgehend als ‚normal’ zu bezeichnende Menschen auch haben. Der tägliche Kampf um Zuneigung, Anerkennung und Liebe, die innere Schlacht gegen sich selbst, wenn man erhaltene persönliche Kritik als richtig erkennt, jedoch dies nicht seinem Umfeld gegenüber zugeben will, die vielen Missverständnisse, denen wir uns nicht nur in den engsten Beziehungen auch immer wieder gegenübersehen und die wir auf die für uns beste Art und Weise meistern müssen. All dies verarbeitet die Autorin geschickt und spannend. Die bereits aus Band 1 bekannten Paare zeichnet Jürgens auf deren Lebensweg weiter. Dabei schafft sie eine auf einen engen Raum begrenzte Umgebung. Die Etanaer versuchen, so wenig wie möglich in die Welt der Menschen einzugreifen. Eben nur soviel, wie sie es benötigen, um selbst zu überleben. Ihnen zur Verfügung stehende Kräfte sind genau die, die wir uns als Menschen doch nicht nur manchmal sehnlich wünschen. Wer wollte sich nicht durch den bloßen Wunsch zu einem fernen Ort begeben, wer nicht genau die Gedanken seines Partners oder auch eines für ihn einflussreichen Fremden ergründen und wer, ja auch dies, wer nicht die Sinne einer Frau oder eines Mannes so beeinflussen, dass eventuell bestehende Abneigungen sofort ins Gegenteil verkehrt werden. Haben wir Menschen Ärger, wollen wir diesen meist an etwas auslassen, dürfen es jedoch aus gesellschaftlichen Zwängen heraus nicht tun. Könnten wir es auf eine Art, die zum Beispiel nur den Raum um uns herum zum Erfrieren brächte, so gäbe es vielleicht auch weitaus weniger Patienten mit Magengeschwüren, denn wir müssten nichts in uns hineinfressen. Während der Lektüre nimmt uns Jürgens auf eine ganz feine Art mit in diese doch so fremde und bekannte Welt, lässt uns teilhaben an weitaus innigeren Hochzeits- und Trauerzeremonien, die die vielen positiven und beruhigenden Einflüsse der Religionen der Welt mit nirgends bisher umgesetzten zusätzlichen Wünschen der Trauernden oder sich Freuenden verbinden. Nur Friede, Freude, Eierkuchen? Nein, bei Weitem nicht! Wie überall im Leben gibt es einen Gegenspieler. Ein Wesen, das zum Ziel gesetzt bekam, die doch heile Welt der Etanaer zu zerstören, sie zu jagen, zu töten, um selbst zu überleben. Eine Schlacht. Zwischen all den positiven Eindrücken aus dem Leben dieser Fremden unter uns müssen sie sich wehren. Nicht, weil der Feind nur ihr Ego verletzt, wie es leider in vielen Kriegen rund um unsere fast zu klein gewordene Erde immer wieder geschieht. Nein, die Etanaer sind in Gefahr. Aber gab ihnen ihr Herr, ihr Erschaffer, ihr Gott überhaupt Kraft, Mittel und Möglichkeiten, sich gegen solche Niedertracht zu wehren? Und wie sehen die, die doch gar keine Etanaer sind, sich aber an Jürgens Vampire gebunden fühlen, wie sehen sie diesen Kampf? Stehen sie zu ihrer neuen Familie oder nutzen sie die sich ihnen bietenden Möglichkeiten, um sich zu wehren, sich gar von ihnen zu befreien? Die Autorin schafft einen ungeahnten Spannungsbogen, der den Leser in seinen Bann zieht. Jürgens versteht es, Fiktion und Wirklichkeit zu verbinden. Ihre Vampire leben überall auf der Welt und können auch ohne Mord und Totschlag, ausgesaugte Körper und finstere Keller leben und überleben. Der Leser hat von Anfang an das Gefühl, mit dabei zu sein, die Türen, die Jürgens öffnet, nicht nur zu sehen, sondern wirklich zu durchschreiten, die Figuren seit Jahren zu kennen, mit ihnen befreundet zu sein. Das Klischee war gestern. Heute gibt es Etanas Söhne! Ein Buch für ruhige Stunden? Wenn man weiß, dass Fenster und Türen fest verschlossen sind, ja! Ein Buch zum Weiterlesen? Natürlich, denn der offene Ausgang verlangt nach mehr! Ein Buch zum Empfehlen? Uneingeschränkt. Schon, weil der Leser nach der Lektüre eine erweiterte Sicht auf sich und sein Leben haben wird.

    Berge und Kur. So etwa ist der Eindruck, der sich irgendwann im Kapitel 2 von Rocktäschels zweitem Roman vermittelt. In einschlägigen Datenbanken als Science-Fiction gelistet, macht der Hinweis ‚Akustik-Thriller’ auf dem Cover neugierig.
    Im Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 und nach den vielen negativen Stimmen zu den klanggewaltigen Vuvuzelas in Süd-Afrika ist die Wahl des Titels sicher gewagt oder auch für die zu erwartende Geschichte gerade richtig. Menschen nutzen Menschen aus. Im Namen des Fortschrittes fallen uns da viele Bilder von verschiedenen Versuchen bei Hochgeschwindigkeitsfahrten, Flügen, Tauchgängen, Medikamentenentwicklungen und Ähnlichem ein. Dunkel wirken die Zeiten des Nationalsozialismus, wo dies gar ohne Zustimmung der Probanden geschah. Lange her. Heute würde doch niemand auf die Idee kommen, Gleiches noch einmal zu versuchen, das Wohl, also auch die Entwicklung Aller höher einzuschätzen, als den Einzelnen. Missbrauch. Meist Inhalt und wichtiger Bestandteil eines Thrillers. Abrechnung mit Erlebtem, Versuch, mit Folgen jeglicher Art umgehen zu können? Nach wenigen Seiten ist klar: Der Hauptheld Kohlpeter muss seine eigenen Dämonen bekämpfen, sich seinen Symptomen stellen, sie nicht als ein Defizit, sondern eine Gabe betrachten. Tauchunfall. Der ehemalige Wirtschaftsagent ist krank. Tinnitus. Er hört Geräusche. In der Antike ein Zeichen dafür, dass der Betroffene mit den Göttern in Kontakt steht. Heute steht auch diese Krankheit, dieses Symptom dafür, dass wir noch lange nicht soweit entwickelt sind, wie wir es uns manchmal einreden. Denn noch ist Tinnitus nicht vollständig erforscht, nicht wirklich heilbar, eben, wie auch andere medizinische Erscheinungen, ein Problem, mit dem man wohl oder übel leben muss. Generatoren gibt es für viele Dinge. Strom, Kraft, Abläufe, Sprache, gar bis hin zur Musik. Hier geht es um das Rauschen. Was kann man damit anfangen? In den Bergen, nah am Himmel? Lauschen, Kontakt aufnehmen, Reisen? Längst ist uns die Welt zu klein. Wir wollen hinauf in den Himmel, andere Galaxien erkunden, fremde Spezies finden, neue Welten erobern. Der Drang der Menschheit, sich auszuweiten, Macht anzuhäufen, unbesiegbar zu gelten, der wird ewig leben und kann gerade von der finanzstarken Industrie, der Forschung und den Regierungen der Welt nicht ignoriert, sondern eher voran getrieben werden. Architektur eines Sanatoriums. Ein Haus, wie ein menschliches Ohr gestaltet, Patienten, die mitten in dem Gebilde leben, das ihnen doch eigentlich selbst Ärger, Probleme, Unruhe bereitet. Der Leser wird aktiv animiert, sich selbst Fragen zu stellen. Kann es möglich sein, Fernreisen nur in Gedanken oder auch auf einer Ebene von Tönen, also als eine gewisse Schallübertragung anzutreten? Natürlich müssen dazu der Mensch oder zumindest seine Sinne umgewandelt, moduliert, eben in Klänge gepackt werden. Im gar nicht so lange zurückliegenden Zeitalter der analogen Technik wäre sicher sehr wenig vom eigentlichen Schall und damit auch von uns an einem anderen Ort des unendlich erscheinenden Weltalls angekommen. Von einer erfolgreichen Rückkehr ganz zu schweigen. Aber heute? Sieht man von Störungen aller Art ab, bleibt eine 1 wohl auch in der Ferne eine 1. Und wo nichts ist, also eine 0 hingehört, wird hoffentlich auch außerhalb unserer Galaxie nichts sein. Kohlpeter erfährt, was wir alle schon wussten, zumindest ahnten. Wer Geld hat, besitzt Macht und kann damit auch über Andere herrschen, sie benutzen. Auflehnen? Im Kampf gegen eigene störende Symptome noch eine neue Front eröffnen? Rocktäschel versteht es, den Leser spannend hinüberzutragen in eine gar nicht so ferne Zukunft mit Gyrocoptern, Außerirdischen, Verschwörern. Er vermittelt das Gefühl, skeptisch nach Berchtesgaden blicken zu müssen. Ist es denn unmöglich, dass dort Polwächters Kumpane, Doktoren, Politiker und Wirtschaftsmagnate eben solch ein geniales und doch so gefährliches Klangsanatorium schufen und heute betreiben, das die Welt an den Rand eines sehr realen Abgrundes bringen kann? Ein Buch zum Mitdenken? Science-Fiction ist, Neues mit dem Autor gemeinsam zu erforschen. Ein Buch zum Entspannen? Nein, denn die Geschichte ist im übertragenen Sinne zu real! Ein Buch zum Empfehlen? Natürlich. Wer will nicht mehr über die heutige Zukunft wissen? Ein Buch, das neugierig macht? Ja. Rocktäschel wird uns sicher weitere spannende Geschichten liefern. Ich jedenfalls bin sehr gespannt darauf.