Viola und Isolte, genannt Issy, sind „zertrennte“ Zwillinge. Als Kinder haben sie sich als zwei Hälften eines einzigen Menschen empfunden: Ihre Kindheit haben sie in einem Landhaus in den Wäldern von Suffolk verbracht, zusammen mit ihrer Mutter, einer Aussteigerin der Hippiegeneration. Ihre einzigen Freunde sind zwei Jungs, John und Michael, Zwillinge wie sie. Die unbehütete Kindheit steckt voll Magie und selbst erdachter Dämonen. Als Erwachsene gehen sie völlig verschiedene Wege: Isolte ist Modejournalistin, unsicher und wenig glücklich verliebt; die lebensbedrohlich magersüchtige Viola befindet sich in Dauerbehandlung.
Was in der Kindheit der Zwillinge geschehen ist, das zu ihrer Entfremdung und Violas schwerer Krankheit führte, ist das Thema des Romans. Dabei nähert sich das Geheimnis seiner Auflösung auf großen Umwegen. Dass die Mutter der Mädchen nicht mehr lebt, sie später bei einer Tante aufwuchsen, dass auch mit ihren Freunden John und Michael einiges schief gelaufen ist, wird erst nach und nach in Rückblenden enthüllt, die aus der Sicht Violas erzählt werden. Dazwischen eingeschoben sind auch Retrospektiven der Schwester Isolte über das Londoner Leben bei der Tante Hettie. Lange Passagen handeln von Isoltes Liebesgeschichte mit ihrem Kollegen Ben, andere berichten über Kindheitserlebnisse, ohne dass der eigentliche Plot so recht vorankäme.
„Zertrennlich“ ist kein Thriller oder Psychokrimi. Der rote Faden der Geschichte fasert immer wieder auseinander und verliert sich in Seitensträngen, die nur den Zweck haben, die Atmosphäre zu steigern. Das muss jedoch die Lesefreude nicht unbedingt schmälern. Während man auf den Fortgang der Geschichte wartet, kann man sich an Satzschöpfungen berauschen wie die folgende, zufällig herausgegriffene: „Ich hörte das Murmeln der Erde unter meinen Füßen, in der sich langsam die Schichten aus Vorher und Nachher verschoben. Und ich sah uns, mit unserer Menschenhaut und unseren dünnen Gliedmaßen. Ich konnte das schwache Pulsieren unserer Zwillingsherzen wahrnehmen.“ Oder: „Ich stellte mir vor, die freundlichen Bäume hätten ihre Wurzeln aus der Erde gezogen und schlitterten nun über das Moos, ihre Zweige hinter sich herschleifend, während unter ihnen das Farnkraut raschelte.“
Die Sprache der Autorin ist prägnant, bildhaft und den Kindheitspassagen oft magisch. Das Ende des Romans birgt jedoch eine gewisse Enttäuschung. Die Auflösung des Geheimnisses ist akzeptabel, wenn auch nicht so überraschend, wie man es gern hätte; aber als Motor für den Zerfall der kleinen Familie mag die Lösung durchgehen. Doch das angedeutete Happy-End wirkt aufgesetzt, wenig glaubwürdig und wird überdies durch ein seltsam überdramatisiertes Schlusskapitel eingeleitet. Ich würde trotzdem acht von zehn Punkten geben, denn über acht Zehntel des Buches hatte ich wirklich Spaß. Man darf nur keinen Thriller erwarten.