Ich habe mir "Der Duft" aus der Onleihe geholt und innerhalb von drei Tagen ausgelesen, was hinreichend deutlich macht, dass ich es wahnsinnig spannend fand.
Die Charaktere der Hauptpersonen sind sorgfältig ausgeführt, die Liebesgeschichte (die ich schon sehr früh kommen sah, eigentlich schon als der Herr eingeführt wurde) gibt sich nicht aufdringlich, sondern kommt nur quasi holpernd in die Gänge, was der Thrillerhandlung gut tut. (Im reallife gäbe ich übrigens dieser Beziehung keine lange Lebensdauer: dass sie sich überlegt, ihm "einiges über lifestyle beibringen zu müssen", weist in keine gute Richtung.)
Die Handlung ist nicht unkompliziert, aber auch nicht unüberschaubar, es greift alles gut ineinander, ich erkenne keine großen logischen Brüche. Der Pilger ist vielleicht ein bisschen dick aufgetragen, aber da er keine überragend große Rolle spielt, macht mir das nichts aus.
Was ich allerdings sehr bedauert habe, ist der völlige Mangel an Lokalkolorit. An keiner Stelle konnte ich den Schauplatz wirklich "sehen", das Kopfkino ging nicht an. Das gilt vor allem für die Szenen der Flucht durch den Urwald. Was hätte ein Autor wie Grangé aus diesem Stoff gemacht! Die Hauptperson ist gezwungen, in Businessklamotten - Kostüm und Powerpumps - tagelang durch den Urwald zu hetzen; findet Zuflucht in einem Lager, aus dem sie fliehen muss, kommt in ein zweites Lager, in dem sie auch nicht bleiben kann, und das alles ohne eine einzige Gelegenheit, auch nur zu duschen, geschweige was Zweckmäßigeres anzuziehen. Da genügt es mir einfach nicht, zu lesen, dass sie sich irgendwie dreinfindet, das will ich fühlen können. Selbst da, wo ein paar Einzelheiten über das Überleben im Urwald eingeflochten werden, wie bei der Szene mit dem angeritzten Baobab, bleibt die Sprache seltsam akademisch, ohne Sinnlichkeit.
Ich weiß nicht, ob der Autor selbst an den Schauplätzen seiner Erzählung gewesen ist - für mich liest es sich nicht so. Ich will diesen Umstand auch nicht allzu hoch hängen, ich habe das Buch gern gelesen. Geärgert habe ich mich halt nur über das verschenkte Potential. Da hätte wirklich viel, viel mehr draus werden können, aus meriner persönlichen Sicht.
Edit, ich will noch anfügen, wer meine persönliche Lieblingsfigur war: der junge Emir!
Das war einfach ein hinreißender Mensch (einschließlich des ein wenig kneifenden Hosenbunds), solche bräuchten wir mehr, sowohl in der Literatur als auch - ganz dringend - im wahren Leben!