Liebe polli,
meinen heißen Dank für diesen Beitrag über ein Buch, das seit langer Zeit mein absolutes Lieblingsbuch ist. Ich lese es ungefähr alle zwei Jahre wieder, manchmal öfter.
Beim ersten Lesen (das muss ungefähr 1991 oder 92 gewesen sein) habe ich - daran erinnere ich mich genau - zu einer Bekannten gesagt, die Hauptperson sei "extrem dumm". Wie Du selbst sagst, man spürt von Anfang an, dass ein so beharrliches Festhalten an einem völlig schiefen Weltbild nur im Unglück enden kann.
Jetzt, nach x-mal Wiederlesen, bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Mich beeindruckt die Beharrlichkeit, mit der Emma Bovary ihre Traumwelt verteidigt.
"Madame Bovary" gilt, soweit ich weiß, literaturgeschichtlich als der erste "moderne Roman". Ich glaube, das ist eben wegen dieser verschiedenen Lesemöglichkeiten so. Man kann das Buch als Verteidigung der Heldin wie auch als Anklageschrift gegen sie lesen. Der Autor hat einen - wie soll ich es nennen - changierenden Stil. Man spürt seine innere Beteiligung zwar sehr stark, aber es gibt keine verbindliche Lesart, wie er selbst über seine Heldin denkt. Interessanterweise hat gerade dieser Umstand nachfolgende Schriftstellergenerationen beflügelt. Jean Améry schrieb ein Buch mit dem Titel "Charles Bovary, Landarzt", in dem er darlegt, Flaubert habe Emmas Ehemann keine Gerechtigkeit widerfahren lassen; er sei gar nicht so stupide und langweilig, wie Flaubert ihn darstelle, sondern einfühlsam und liebevoll. Dabei dreht sich Améry natürlich im Kreis, denn Charles' gute Eigenschaften kann er auch nur anhand des Buchs nachweisen, also mit Flauberts Hilfe. Von Dacia Mariani gibt es ein Buch mit dem Titel "Die Wahrheit über Emma B.", in dem die Autorin zu beweisen versucht, dass Flaubert seine Emma gehasst hat und ihr jede nur denkbare Gemeinheit angedichtet hat, um seine eigenen Schwächen als Liebhaber zu bemänteln.
Bei Mario Vargas Llosa ("Flaubert und Madame Bovary" - man merkt, ich bin eine Besessene) kann man nachlesen, dass Flaubert viereinhalb Jahre an diesem Buch gearbeitet hat, und zwar ununterbrochen. Dass man auf jeder Seite auf stilistische Kabinettstückchen stößt, ist kaum verwunderlich bei dieser Sorgfalt. Meine Tochter bereitet gerade für den Französischunterricht ein Referat über den Roman vor. Anhand unserer französischen Ausgabe (ich kann leider nicht genug Französisch, sie komplett zu lesen) konnte sie mir beweisen, dass Teile der Ballszene im Walzertakt geschrieben sind. Sie hat mir eine halbe Seite vorgelesen. Es ist unglaublich, wozu die Sprache in den Händen eines Meisters fähig ist.
"Die einzige Art, das Dasein zu ertragen, besteht darin, sich an der Literatur wie in einer ewigen Orgie zu berauschen."
(Flaubert in einem Brief vom 4.9.1858 )
Mit Grüßen
Zefira, die in Heldenanbetung verfällt, sobald der Floh-Bär ins Spiel kommt