Julia Franck griff mit der „Mittagsfrau“ ein Thema auf, welches in vielerlei Formen in der Literatur bereits verarbeitet wurde. In einem solchem Fall liegen meine persönlichen Erwartungen recht hoch. Die Autorin hatte es auch in sofern schwer, als dass ich unmittelbar davor „Die größere Hoffnung“ von Ilse Aichinger gelesen habe, welche ebenfalls in der von der Autorin gewählten Zeit spielt.
Als gelungen empfand ich noch den Prolog, der den Umgang der Mutter mit dem Kind vor dem Verlassen schildert. Hier wurde ich neugierig auf die stoisch wirkende Mutter, ihre erlittene Geschichte.
Dann sprang die Autorin zeitlich zurück und ich erfuhr etwas über die Kindheit von einer Helene in Bautzen. In diesem Teil des Buches waren mir nach kurzer Zeit die Helene zu umfänglich zugeschriebenen Gaben und Talente zu unglaubwürdig. Helene gelang es neben ihrer geistig in eigenen Welten lebenden Mutter nicht, persönlich Profil zu zeigen. Stattdessen ist sie über die Maßen gut in jeder ihr gestellten Aufgabe.
So gut, dass es irgendwann zuviel des Guten ist.
Die gelungenste Person im Roman ist für mich die Mutter, die in Neudeutsch wohl mit „Messie“ tituliert werden muss, was aber nicht ihre einzige interessante Facette ist. Auch die bedingungslose Liebe, die Helenes Vater mit seiner ungewöhnlichen Frau verbindet, ist durchaus gut geschildert und erreichte mich als Leser.
Helene kommt nach Berlin und auch hier bekommt sie kein Profil. Sie erfüllt ihre Aufgaben gut, wie wir es schon von ihr kennen. Auch ihre erste, tragisch endende Liebe vermag es in meinen Augen nicht, Helene Leben zu geben.
In der dann aus Not eingegangenen Ehe agiert Helene auch wieder so, wie wir es mittlerweile von ihr erwarten: gut.
Überraschungen gibt es nicht, Helene wird nicht selbst aktiv, sondern reagiert immer nur auf äußere Umstände, die jedoch an jede Substanz gehen.
Da sie viel arbeitet, bleibt wenig Zeit für das Kind, den Sohn, der doch besser hätte eine Tochter werden sollen (warum eigentlich?). Im Umgang mit dem Sohn wirkt sie kühl und distanziert. Nichtsdestotrotz liebt der Sohn sie abgöttisch und greift nach jedem Zipfel ihrer Aufmerksamkeit, derer sie ihn so spärlich zukommen lässt.
Helene verlässt ihr Kind. Dann ist sie im Roman nicht mehr präsent.
Nur am Ende, wo das Leben des Kindes nach dem Verlassen geschildert wird, gibt es noch einmal ein Streiflicht von ihr.
Die Fragen, die ich mir als Leser stelle, bleiben aber weitgehend unbeantwortet und ich fühle mich alleingelassen. Wie fühlt sich eine Frau, die ihr Kind verlässt? Hat sie trotz ihres schwierigen Verhältnisses zum Sohn Schuldgefühle? Ist sie vielleicht doch erleichtert? Wie lief ihr Leben danach weiter, damit?
Eigentlich wollte ich nächste Woche zu einer Lesung von Julia Franck gehen. Um die Frage zu stellen, warum dieses Buch aufhört, bevor es zu Ende ist.
Da ich mich so eindringlich damit beschäftige, kann der Roman vielleicht doch nicht so schlecht gewesen sein, wie ich ihn über weite Strecken empfunden habe.