Beiträge von MelanieM

    Friederike: Sie wird als starke, sympathische, selbstbewusste Frau dargestellt. Sie hat - weil ihre Mutter so zeitig gestorben ist - für mich irgendwie die weibliche Rolle (ohne sexuellen Hintergrund) an der Seite des Vaters übernommen. Ihr Ehemann wurde verwundet (im Krieg) doch sie liebt ihn und das von ganzem Herzen. Sie übernimmt also die Rolle der warmherzigen, guten Seele in dem Buch. Aber sie wird auch die Ermittlerin / Nachforscherin im Mordfall werden. Denn, so schätze ich sie ein, Ungerechtigkeit kann sie in keiner Weise ertragen, was wiederum mit dem Aufwachsen in der Pflegeanstalt zu tun hat, wo die Menschen sowieso schon skeptisch und mit Vorurteilen den Patienten begegnen.

    Ja, das charakterisiert sie ganz gut.


    Weiterhin denke ich, dass er sich als zukünftigen Leiter der Einrichtung sieht und durch eine Heirat mit Friederike an sein Ziel kommt.

    Ja, die Hoffnung hegt Dr. Weiß - gut erkannt.


    Dr. Meinhardt: Ein etwas "schwacher" Charakter, welcher sich teilweise auf die Urteile von anderen verlässt und dabei nicht eindeutig erkennt, wer es gut mit ihm meint und wer nicht. Ohne seine selbstbewusste Tochter wäre er den anderen Ärzten bereits ausgeliefert und wäre deren Marionette.

    Da bin ich gespannt, wie er dir im weiteren Verlauf erscheinen wird.


    Walter: Kleines Schlitzohr, welches jedoch ehrlich & loyal zu den Menschen ist, die ihm gegenüber mit Respekt und ohne "Ekel" oder Scham entgegentreten. Er hat mit Sicherheit ein Geheimnis, aber er packt an und kann so durch sein handwerkliches Talent von seinem Äußeren ablenken und die Menschen vergessen, dass es eventuell ein Geheimnis gibt.

    Interessant, dass du Walter als kleines Schlitzohr siehst. Da bin ich auch gespannt, wie du später über ihn denkst.

    Ich habe über Bernhard nachgedacht: Ich könnte mit ihm vermutlich nicht das Bett teilen. Es ist ja kaum noch was von dem Ehemann übrig und ich würde mich wohl wie seine Mutter fühlen. Das könnte ich nicht verkraften.

    Darüber habe ich sogar selbst sehr lange nachgedacht. Als ich das Buch geschrieben habe, stellte ich die Frage etlichen Autorenkollegen - ist Sexualität in dem Fall angemessen? Die Meinungen waren kontrovers. Aber letztlich entschied ich mich dafür aus folgendem Grund: Bernhard ist ein erwachsener Mann, er ist kein Kind, auch wenn er von manchen (fälschlich) wegen seiner kognitiven Defizite so gesehen wird. Erwachsene Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben ja nach wie vor sexuelle Bedürfnisse. Bernhard hat zum Glück kein Frontalhirnsyndrom (jemand, dem so etwas passiert ist, kommt später noch vor). Die Leute mit Frontalhirnsyndrom werden oft sexuell übergriffig, weil sie durch den Hirnschaden die Distanz verlieren, die angemessen ist und sich gar nicht mehr in die Bedürfnisse anderer hineinversetzen können. Bernhard hat eine komplexere Schädigung, die eigentlich mehr die kognitiven Verbindungen im Hirn ausmacht - er ist eben sehr konkretistisch, kann nicht mehr abstrahieren und das Zentrum des Gehirns, wo Lesen und Schreiben angesiedelt sind, ist auch verloren. Über Bernhard können wir in den späteren Abschnitten auf jeden Fall noch ausführlicher diskutieren. Auch über die Entwicklung, die Menschen durchmachen, wenn man ihnen einfach anders entgegentritt.

    Walter mag ich, ich bin mir gar nicht sicher, ob er was zu verbergen hat, obwohl er schon zwielichtig dargestellt wird. Zumindest teilweise. Ich finde es großartig wie er mit den Patienten umgeht. Das würde ich auch gern können.

    Was Walter umtreibt und wie er zu dem wurde, der er ist, wird in den folgenden Abschnitten langsam entblättert, dann können wir da über ihn noch mal diskutieren.

    ich finde es so schlimm, dass der Kommissar sich nicht in ihn rein versetzen konnte, als sie ihm das Messer weg genommen haben. Mir kam das Verhalten total logisch vor.

    Ja, das ist eben das Problem - es gibt keine unberechenbaren Irren. Menschen mit psychischen Erkrankungen handeln meistens aus ihrem Erfahrungshorizont heraus logisch. Man muss nur bereit sei, sich in ihre Denkweise hineinzuversetzen, dann kann man mit ihnen auch diskutieren. Ich hatte selbst mal einen interessanten Fall. Das war ein Schizophrener, der zu mir zum Sozialpsychiatrischen Dienst kam und sich beklagte, dass seine Nachbarn und die Polizei ihn beobachten und abhören. Er hatte ganz klassische Wahnvorstellungen. Das wird aber bei Schizophrenen dadurch ausgelöst, das bestimmte Areale ihres Gehirns durch einen Dopaminüberschuss mit falschen Informationen versorgt werden. Also dass z.B. das Hörzentrum durch chemische Kurzschlüsse aktiviert ist. Diese Menschen hören wirklich was, bilden sich das nicht ein. Also hören sie auch nicht darauf, wenn man sagt, sie würden es sich einbilden. Ich habe dem Mann zugehört, gesagt, dass ich ihm seine Wahrnehmungen glaube, aber es gäbe auch eine andere Erklärung. Und dann habe ich ihm das Krankheitsmodell erklärt. Er hat das nicht so ganz verstanden, er hat das dann für sich so interpretiert, dass die Polizei wolle, dass er Medikamente nehme und dann die Überwachung einstellen würde. Ich habe ihn zu einer sehr guten Kollegin vermittelt, die gut mit solchen Patienten umgehen kann. Zu der hatte er Vertrauen, akzeptierte die Medikamente (um der Polizei gefällig zu sein, damit die ihn nicht mehr beobachtet), und als die Medikamente nach ein paar Wochen gut wirkten, begriff er, dass das alles nur Wahnvorstellungen waren. Das war so ein richtiger Aha-Moment für ihn. Hätte ich dem erzählt, er hat Wahnvorstellungen und bilde sich alles ein, hätte er nie die Medikamente versucht und wäre immer kränker geworden. Es gibt eben nicht die eine Geisteskrankheit, sondern ganz viele verschiedene Formen - die einen brauchen Psychotherapie, die anderen Medikamente. Aber alle brauchen empathische Gespräche, um ein Krankheitsverständnis zu entwickeln. Aber dazu muss man eben selbst erst einmal versuchen, sein Gegenüber und seine Denkweise zu verstehen. Bei Kuno hat Kommissar Lechner das gar nicht gewollt - und deshalb eskalierte es.

    Ich glaube auch an etwas wie Vergewaltigung oder jahrelangen Missbrauch bei Juliane. Gibt es so ein Verhalten wirklich?

    Ja, gerade bei Traumatisierungen gibt es alle möglichen Variationen von seltsam anmutendem Verhalten. Ich will jetzt nicht spoilern - über Juliane sollten wir in den späteren Abschnitten noch mal diskutieren.

    Liegt die Abneigung der Menschen gegenüber den Bewohnern des Guts daran, dass sie Angst vor dem Unbekannten haben? Es macht sich ja auch niemand wirklich die Mühe mal zu gucken, wie diese Menschen drauf sind. Statt dessen wird hinter vorgehaltener Hand über jeden einzelnen geurteilt.

    Ja, es liegt in der Angst vor dem Unbekannten und den Vorurteilen. Es ist ja auch schwierig, mit Menschen umzugehen, bei denen unsere normalen Kommunikationsstrategien nicht sofort funktionieren. Das macht Angst. Im Grunde ist der Umgang mit vielen psychisch Kranken so, als würde man Leute aus einer anderen Kultur treffen, auch wenn sie aus unserer eigenen stammen. Aber ihre Verhaltensweisen sind eben durch die Krankheit bedingt bizarr für die Gesunden, auch wenn sie für den Kranken selbst völlig normal und logisch sind.

    Habe ich richtig verstanden, dass es vier Teile geben wird? Teil 2 ist ja erst erschienen, der Rest noch nicht?

    Ursprünglich gab es nur dieses Buch. Dann gewann das ja die DELIA 2020. Daraufhin beschlossen wir noch zwei weitere Bände zu machen. Band 2, der gerade erschienen ist und 1923 spielt und dann wollte ich noch einen Band 1957. Als ich den gerade schrieb, las meine Lektorin mit und meinte, sie finde es schade, dass so eine lange Lücke dazwischen ist und ob ich nicht noch einen Band zwischen schieben könnte. Also schreibe ich jetzt Band 3, der 1941 spielt. Der Band 4, der ursprünglich mal Band 3 war, ist schon fertig. Aber sie werden dann, wenn der Band 1941 fertig ist, gemeinsam lektoriert und erscheinen dann in der zeitlich richtigen Reihenfolge. Jeder Band ist für sich allein abgeschlossen, aber sie bauen aufeinander auf.

    Gab es eigentlich wirklich damals schon so Einrichtungen wie das Gute Mohlenberg oder ist das einfach frei erfunden? Entschuldige falls das schon jemand gefragt hat, ich kann zu Zeit nicht alles lesen.

    Es gab das Konzept schon. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fingen viele Landesnervenkliniken an, psychisch Kranke in der Landwirtschaft zu beschäftigen und human zu behandeln. In "Im Lautlosen" beschreibe ich ja auch die Anfänge in Langenhorn/Ochsenzoll historisch belegt 1926 und bis ins Dritte Reich. Die Nazis haben dann später viel kaputt gemacht - die staatlichen humanen Nervenheilanstalten mussten nachweisen, welche ihrer Patienten Arbeit von wirtschaftlichem Wert erbringen konnten etc. Es gab auch kleinere Privatkliniken von Idealisten geführt. Das hat mich zum fiktiven Mohlenberg inspiriert. Es gab es etwas, aber Mohlenberg selbst ist fiktiv.

    Ich bin, ehrlich gesagt, jetzt schon froh, dass ich es erst jetzt lese. Weil ich nämlich dann gleich die Fortsetzung hinterherschieben kann.

    Wobei es 2019 noch als Stand alone geplant war - aber dann gewann es den DELIA-Literaturpreis 2020 und außerdem wollten viele wissen, wie es weiter geht. Also gibt es noch vier weitere Geschichten mit Gut Mohlenberg, die aber alle für sich abgeschlossen sind, aber aufeinander aufbauen. Bei mir ist es immer wichtig, dass man auch als Quereinsteiger anfangen kann.

    Ich finde es ja nicht richtig, dass man in historischen Romanen Begriffe weglässt oder nicht ausspricht, die damals gang und gäbe waren. Auch wenn sie etwas Abfälliges ausdrücken, dann war das damals so und man benutzt die Worte ja nicht, um heutige Betroffene abzuwerten sondern um zu zeigen wie abwertend damals mit den Menschen umgegangen wurde. Man kann daraus lernen, dass es falsch war.

    Ich verwende die Begriffe so, wie sie damals historisch verwendet wurden. Für alles andere ist das Nachwort da. Und ich möchte im historischen Roman nichts weichspülen. Wenn es damals eine andere Wahrnehmung gab, gehört die in einen historischen Roman. Denn wen man so tut, als hätte es das alles nicht gegeben, verschweigt man ja auch das Leid der damaligen Opfer, weil die Leser heute dann denken: "Was haben die bloß? War doch alles ganz toll damals!"

    Es hieß eigentlich 4 Jahrzehnte SLAVE. Nun hat man es umbenannt - Name hab ich vergessen, war nichtssagend - weil man den Begriff Sklave nicht verherrlichen will. So ein Blödsinn.

    Das halte ich auch für Blödsinn - zumal man sich ja auch aus Protest Slave nennen kann, um gerade aus der Schwäche eine Stärke zu machen. Worte muss man schließlich immer im Kontext betrachten, weil sie nur im Kontext ihre Bedeutung bekommen.

    Ja, es ist auch besser, das Nachwort erst am Ende zu lesen, weil es wirklich spoilert. Wie gesagt, Sprache ist im Wandel - ich greife hier mal ein bisschen von dem vor, was ich im Nachwort erläutere.


    Idiot war früher ein Fachbegriff für einen geistig behinderten Menschen. Dann fingen die Leute an, sich damit zu beschimpfen. In den 1920er Jahren verwendete man deshalb den Begriff "schwachsinnig" - auch wertneutral - diese Menschen waren "schwächeren Sinnes". Dann fingen die Leute an, sich wieder damit zu beschimpfen. Also hat man nach dem 2. WK "minderbegabt" eingeführt. Daraus resultierte "Ey, Alda, bissu minderbegabt, oder was?" woraufhin man dann "intelligenzgemindert" einführte. Das Wort ist so lang, dass man sich dann wohl doch lieber wieder mit Idiot beschimpft.


    Man sieht aber an diesem Beispiel, dass man mit der Sprache immer wieder dem eigentlichen Problem hinterher läuft. Gerade in der heutigen Sprach- und Genderdiskussion gibt es ja die Menschen, die sagen, wenn man die Sprache anpasst, passt sich das Verhalten von selbst an.


    Leider ist das nicht so. Stattdessen werden einstmals neutrale Worte wieder zu Schimpfworten, wenn man das grundsätzliche Problem dahinter nicht beseitigt - Integration und Inklusion. Wenn es niemand mehr nötig hätte, einen anderen als einen vermeintlich minderwertigen Menschen zu beschimpfen. Oder wenn man wie bei "Idiot" den übertragenen Begriff akzeptiert - der heutige Idiot ist ja kein geistig behinderter Mensch, sondern ein normaler Mensch, der sich beknackt verhält, sodass man sich über ihn ärgert.

    Ich könnte mir vorstellen, dass die Recherche zu diesem Thema sehr aufwühlend war, liebe Melanie? Ich kenne andere Bücher mit fürchterlichen Beschreibungen damaliger Zustände und unterschwellig kann man auch hier deutlich spüren, was die Menschen und vor allem die Ärzte damals von Geisteskranken dachten. Der begriff "Irre" ist ja schon eher abwertend. Heute fällt er sicher unter eine Kategorie wie "Neger" oder "Zigeuner". Ein No-go.

    Ich musste jetzt gar nicht so viel explizit für dieses Buch recherchieren, weil ich schon viel für "Im Lautlosen" recherchiert hatte und weil ich aus meinem Studium und den verschiedenen Arbeitsplätzen, wo ich tätig war (auch in Bad Bevensen in der Lüneburger Heide) vieles an Historie mit bekommen habe. Mohlenberg ist fiktiv, aber es gab schon immer solche Enklaven von Idealisten.


    Irrer war mal ein Fachbegriff. Dazu schreibe ich etwas im Nachwort. Irrenarzt und Irrenwärter waren auch mal normale Berufsbezeichnungen.

    Im Falle der jungen Frau hier tippe ich darauf, dass sie vergewaltigt wurde - von einem Familienmitglied fürchte ich - und dass sie sich deshalb in eine gespaltene Persönlichkeit geflüchtet hat. Sehr emphatisch beschrieben.

    Juliane wird noch sehr interessant werden.

    Man spürt, dass in Bernhard schon noch den Mann von früher schlummert. Die Art, wie sie mit ihm umgeht, geht mir sehr nahe.

    Ja, die Beziehung zwischen den Beiden war ein wesentliches Element im Roman. Ich glaube, deshalb hat das Buch auch den Delia-Literaturpreis 2020 bekommen.

    Aber ich mag ihn. Auch, weil er so freundlich zu Bernhard ist.

    Man erkennt Menschen oft daran, wie sie mit Schwächeren umgehen.

    Und wer hat jetzt Trudi etwas angetan? Kuno sicher nicht. Dass hier auch etwas krimimäßiges drinsteckt, finde ich auch sehr schön.

    Das ist für meine Mohlenberg-Reihe typisch, da gibt es immer auch einen Kriminalfall als roten Faden, aber der dient mehr dazu, den Rahmen für das Sittengemälde zu bieten.

    Der Schreibstil ist sehr flüssig und die Personen sind schon in den Rollen, die ihnen wahrscheinlich angedacht sind.

    Vielen Dank. Welche Rollen denkst du denn, sind welchen Personen angedacht? Das finde ich immer sehr spannend als Autorin, zu erfahren, wie bestimmte Figuren am Anfang wahrgenommen werden und welche Erwartungshaltungen sie auslösen.

    Sag mal, Melanie, wie sieht das aus Autorensicht eigentlich aus - ist es egal, ob man das ebook für den Kindle oder bei Thalia kauft oder ist eins von beiden lukrativer für den Autor? Das wollte ich schon immer mal fragen und hier passt es gerade ;-)


    Das Ebook gibt es - da Kindle - nur über Amazon. Über Thalia kann man die gedruckten Bücher beziehen. Wo man sie kauft, ist aus Autorensicht egal :-)