Wundert mich nicht wirklich - ich habe mal live erleben dürfen, wie eine Gruppe älterer "Damen" die Kellnerin in einem Eiscafe fragte, ob sie nicht etwas gegen eine Gruppe aus der lokalen Werkstatt für Menschen mit Behinderung tun könnte. Bei dem Anblick könnten sie ja ihr Eis gar nicht genießen. Es passiert mir eigentlich selten, aber da bin ich ausfallend geworden.
Alles, was von der Norm abweicht, wird von vielen Menschen immer noch kritisch beäugt oder z.T. als Belästigung erlebt. Man muss aber auch deutlich unterscheiden zwischen dem, was den äußeren Anblick angeht und dem, was tatsächlich eine Belästigung wäre.
Wenn jemand einfach nur anders aussieht, meinetwegen vielleicht auch lauter redet, weil er nicht gut hören kann, dann ist das okay und muss überall akzeptiert werden.
Wenn eine Gruppe von Menschen sich allerdings nicht an die Spielregeln hält und Leute belästigt, also direkt auf Leute hinzukommt und sie umarmen will etc. - dann müssen Grenzen gesetzt werden, denn dieses Verhalten würde man auch von sogenannten "Normalen" nicht akzeptieren. Als ich Kind war, hatten wir im Schwimmbad immer zeitgleich Schwimmunterricht mit einer Gruppe von Down-Syndrom-Kindern. Anfangs gab das große Probleme, weil die übergriffig wurden. Die haben uns angetatscht und belästigt. Sie meinten das natürlich nicht böse, aber es hat uns gestört. Die Lehrerin wollte, dass wir die Behinderten akzeptieren, aber für uns war wichtig, dass sie auch unser Bedürfnis akzeptieren, dass wir nicht ständig angetatscht werden wollen. Erst als die ersten von uns sich weigerten, ins Wasser zu gehen, wenn die Down-Kinder mit ihrem Gegrabsche da waren, wurde den Lehrern bewusst, dass Toleranz und Akzeptanz zweischneidig sind. Und es war durchaus möglich, den Kindern mit Down-Syndrom zu sagen, dass sie bitte nicht ungefragt alle Leute anfassen mögen. Aber es hatte ihnen vorher nie jemand gesagt, vermutlich, weil man dachte, alle anderen müssten lernen, das hinzunehmen.
Das war in den 1970er Jahren - also zu einer Zeit, als erste ungeschickte Versuche der Inklusion unternommen wurden. Nur war das auch keine Begegnung auf Augenhöhe, sondern eher geeignet, Vorurteile zu verstärken, weil man die Kinder mit Down-Syndrom zunächst nicht mit normalen Grenzen konfrontierte, die sie aber durchaus einhalten konnten, wenn man es ihnen erklärte. Dauerte etwas, später ging das aber und das belästigend erlebte Verhalten kam kaum noch vor.
Inklusion bedeutet letztlich, dass sich jeder in dem Maß, wie er dazu in der Lage ist, in eine Gruppe eingliedern muss - und das Maß, was er trotz Bemühen nicht aufbringen kann, von den anderen toleriert wird, weil sie seine Bemühungen für den Rest anerkennen.
Durch das Fördern und gleichzeitige Fordern wachsen Menschen auch. Das habe ich im Buch ja auch am Beispiel von Bernhard zeigen wollen. In dem Moment, wo Friederike ihn wieder als richtigen Mann wahrnimmt, wächst er auch über sich hinaus, wird auch wieder zu einem Erwachsenen. Menschen werden oft das, was andere in ihnen sehen. Und deshalb ist es wichtig, auch zu formulieren, was man sich wünscht.