Ich freue mich sehr, dass es dir gefallen hat.
In Band 3 kommt Fräulein Wermut noch mal vor und spielt eine wichtige Rolle. Da gibt es dann eine Szene, die ich hier mal als Schnipsel reinstelle:
Zitat
Fräulein
Wermuts Gesichtsausdruck wurde nachdenklich. „Das könnte tatsächlich
funktionieren“, meinte sie schließlich. „Ich habe vor etlichen Jahren schon
einmal eine ähnliche Rolle gespielt, um für einen meiner Schützlinge das Beste
zu erreichen.“
„Sie sollten
mal Ihre Memoiren schreiben, Fräulein Wermut.“
„Oh, lieber
nicht.“ Fräulein Wermut lachte. „Die würden bei unserer gegenwärtigen Regierung
mit Sicherheit verboten werden.“
Und daraufhin meinten meine Testleserinnen, die würden sie gern lesen. Und ich habe das meiner Lektorin dann vorgeschlagen, die darüber nachdenkt. Ich habe jetzt aber noch ein anderes Buch zu Schreiben.
Fräulein Wermut war für mich beim Schreiben wie ein Joker - ich wollte eine Figur haben, die man anfangs komplett falsch einschätzt - die zickige Gouvernante - aber dann erkennt, dass dem gar nicht so ist. Sie ist dadurch letztlich zu einer ganz wichtigen Schlüsselfigur geworden, die die Entwicklung der Menschen in Zeitraffer darstellt. Sie ist ja keine Rassistin. Im Gegenteil, sie wollte ja als Missionsschwester den in ihren Augen unterbemittelten Afrikanern helfen, auf einen höheren Stand zu kommen. Das ist ja erst einmal was Positives - man sah das ja auch noch Jahrzehnte später bei den Entwicklungshelfern, bis man endlich begriffen hat, dass das gar nicht gut ist, weil es im Grunde etwas von Außen aufgezwungenes ist und man Völker auch mal so akzeptieren sollte, wie sie sind.
Fräulein Wermut will also für alle eigentlich das Beste. Aber in der damaligen Zeit gab es eben sehr unterschiedliche Vorstellungen, was das "Beste" ist.
Übrigens dieser Blödsinn mit dem "Imprägnieren" stammt tatsächlich aus einem uralten Lexikon. Weil die Menschen zu der Zeit eben noch nicht viel über die Fortpflanzung wussten.
In diesem Buch geht es ja um Toleranz und Intoleranz. Aber es soll zugleich zeigen, dass es Nuancen gibt. Es gibt echte Rassisten - wie Annemaries Vater oder ihre Tante und deren Sippschaft - und es gibt jene, die wissenschaftliche Überzeugungen teilen, ohne zu begreifen, dass die rassistisch sind. Deshalb ist es m.E. auch nicht richtig, wenn man alte Literatur umschreibt oder den Begriff "Neger" aus alter Literatur streicht. Wichtiger wäre es, die Umstände deutlich zu machen.
Mein Lieblingsbeispiel ist dabei Pipi Langstrumpf. Ihr Vater ist im Buch ursprünglich "Negerkönig" geworden. Da das N-Wort inzwischen geächtet ist, machte der Verlag daraus einen Südseehäuptling.
Aber das Grundproblem des kulturellen Rassismus, das damals herrschte (Pipi Langstrumpf wurde 1946 geschrieben), wird damit übertüncht und der Diskussion enthoben. Denn das eigentlich Rassistische ist ja gar nicht das Wort, sondern die Tatsache, dass ein weißer Schiffbrüchiger sofort von den Eingeborenen zu ihrem König oder Häuptling gewählt wird. Also dass sie ihn als überlegen ansehen und den weißen Eindringling prompt zum Chef machen. Wenn wir das nun "Südseehäuptling" nennen, kriegt der Rassismus, der nach wie vor da ist - Überlegenheit der weißen Rasse - nur ein Deckmäntelchen, weil man ein tabuisiertes Wort vermeidet. Aber man vermeidet nicht das Grundproblem, weshalb das Wort tabuisiert ist. Man nimmt viel mehr die Möglichkeit der Diskussion. Wenn dort noch "Negerkönig" stünde, könnten Eltern, die es ihren Kindern vorlesen, erklären, dass man das heute nicht mehr sagt, weil die weißen Menschen die schwarzen Menschen damals für minderwertig hielten und glaubten, ein Weißer dürfe dann gleich über sie herrschen.
Der Südseehäuptling wird einfach überlesen, aber die Vorstellung, dass der Weiße der geborene König ist, selbst wenn er zu blöd war, sein Schiff als Kapitän sicher durch den Sturm zu bringen, bleibt im Unterbewusstsein hängen. Aber man kann sich dann stolz einen Antirassisten nennen, weil man bestimmte Worte vermeidet, ohne zu begreifen, dass man die Denkweise noch immer pflegt.
In der letzten Leserunde habe ich das ja auch anhand der Begriffe für geistig Behinderte erklärt. Hier ist es dasselbe. Wir können Wortkosmetik betreiben, aber dann laufen wir immer hinterher, oder wir belassen Worte, wie sie sind, aber geben ihnen einen anderen Sinn bzw. nutzen sie als Denkanstoß.