Da ich nicht allzu oft Klassiker lese, kenne ich mich mit diesem Thema nur unzureichend aus und kann auch nicht beurteilen, ob es sich wirklich bei allen um Schlüsselromanen handelt oder nicht, aber wenn der Herr Reich-Ranicki das sagt, glaub ich das doch glatt mal
Fasziniert mich ein Buch besonders, dann beschäftige ich mich auch meist länger damit und spekuliere gerne, ob sich der Autor vielleicht hinter einer seiner Figuren verbirgt. Bei bekannten Werken erfährt man durch ein wenig Recherche ja oftmals, wer sich hinter wem versteckt, was dann die Geschichte auch noch ein wenig runder macht.
Ich finde es allerdings sehr wichtig, dass ein Roman auch ohne großartiges Hintergrundwissen "funktioniert". Die Geschichte muss rund sein und der Leser muss die Zusammenhänge verstehen, ohne dass er dafür stundenlang recherchiert. Wenn das nicht der Fall ist und ich mich hinten und vorne nicht auskenne, weil ich eben die betreffenden Personen nicht entschlüsseln kann, weil mir dazu politisches Wissen damaliger Zeiten oder Infos aus dem Leben des Autors fehlen, macht mir das Lesen keinen Spaß und ich würde das Buch dann auch nicht gut finden.
Wenn man allerdings nach einer schönen Geschichte noch ein wenig über das Buch recherchiert und dann eben durch gewisse Hintergrundinfos eine noch bessere Übersicht hat oder die eine oder andere kleine Anspielung besser versteht, ist das für mich ein gelungenes Buch.
Ich bin mir eigentlich kaum bewusst, dass ich einen Schlüsselroman lese, wenn ich es nicht vorher weiß. Bei manchen Büchern liegt es zwar auf der Hand (zB "Tod eines Kritikers") und bei älteren Büchern kann man damit rechnen, wenn sie zB zu Zeiten von Zensur verfasst wurden und/oder besonders kontroverse Themen behandeln, über die man damals nicht offen sprach/sprechen durfte.
Da ich aber geschichtlich auch nicht so wahnsinnig gut bewandert bin, könnte ich selbst während des Lesens wahrscheinlich auch nur einen Bruchteil der Figuren entschlüsseln, es sei dann, ich hätte mich zufällig schon mit dieser Epoche oder dem Leben des Autors befasst.
Wenn ich jedoch einmal erfahren hätte, dass sich hinter Figur x eigentlich y verbirgt, dann müsste ich daran bei einem erneuten Lesen immer wieder denken.
Ich persönlich kann auf keinen Fall behaupten, dass ich bei Schlüsselromanen immer weiß, wer sich hinter wem verbirgt. Und ich würde auch keinen Zugang zu einer Geschichte finden, die ich überhaupt nicht verstehe. Schlüsselromane würden mir nur dann Spaß machen, wenn das Entschlüsseln für das Verständnis kein absolutes Muss ist, sondern eher ein Extra, das für so manchen zusätzlichen Aha-Effekt sorgt.
Wäre der Roman gut geschrieben und die Geschichte würde mir gefallen, auch ohne dass ich jetzt jede einzelne Anspielung verstehe und mir aller Hintergründe bewusst bin, würde ich mich aber nicht daran stören, wenn ich nicht alles entschlüsseln kann.