Niemand schafft derart plastische, tiefgründige Charaktere wie Dostojewskij. Am gelungensten vollführt er dieses Kunststück in seinem letzten Werk "Die Brüder Karamasow". Aljoscha, Dimitrij und Iwan sind nicht einfach nur Romanfiguren; sie begleiten den Leser auch lange nach Beendigung der Lektüre noch im Alltag.
Darüber hinaus kreiert Dostojewskij eine vielschichte, komplexe und über die volle Distanz spannende (Kriminal-)Handlung, die philosophische, theologische (siehe z. B. "Der Großinquisitor), sowie psychologische Diskurse auf aller höchstem Niveau bietet. Der Gerichtsprozess am Ende des Buches ist im übrigen so ziemlich das Großartigste, das ich je lesen durfte.
Die Neuübersetzung von Swetlana Geier kommt lebendig daher und liest sich flüssig. Alles in allem halte ich "Die Brüder Karamasow" für Dostojewskijs komplettestes und berauschendstes Werk. Einmal in die Hand genommen fällt es enorm schwer, das Buch wieder wegzulegen. Wer auch nur ein kleines bißchen für russische Literatur des 19. Jahrhunderts übrig hat, kommt um diesen epochalen Roman nicht umher.
Warum ist Aljoscha nun der Held der Geschichte?
Meiner Einschätzung nach fällt die Identifikation mit selbigem dem Leser am leichtesten, weil Aljoscha der Moral Dostojewskijs entsprechend handelt. Genau wie der Autor identifiziert sich Aljoscha mit christilichen Werten und handelt diesen entsprechend. Das macht ihn für den Autor zum Helden.
Durch Iwans durch und durch atheistische Weltsicht und insbesondere die Tatsache, dass er letztlich dem Wahnsinn verfällt (besonders beeindruckend hier: der Dialog mit dem Teufel), versucht Dostojewskij einer Identifikation des Lesers entgegenzuwirken; ebenso durch das auf voller Handlungsdistanz hochgradig "unmoralische" Handeln Dimitrijs.