Der Cellist von Sarajewo
ISBN: 978-3-630-87279-7
Luchterhand Literaturverlag München
Verlagsgruppe Random House
239 Seiten, 19,95 Euro
Originaltitel: The Cellist of Sarajewo
Der Autor: Steven Galloway wurde 1975 in Vancouver geboren und wuchs in Kamloops in British Columbia auf. Er besuchte das University College of the Cariboo und die University of British Columbia. Sein erster Roman “Ascension” (2003) wurde für den BC Bücher Preis “Ethel Wilson Fiction Prize” nominiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Buchrückentext: Bosnien, Anfang der neunziger Jahre: Tag und Nacht wird das belagerte Sarajewo beschossen. Die Bürger der Stadt leben in permanenter Angst, die Lebensmittel werden knapp, und das Leben ist ein einziger Ausnahmezustand. Doch immer wieder gibt es Menschen, die dem Irrsinn trotzen. Allen voran ein couragierter Musiker, der sich zum Zeichen seines Protestes gegen das sinnlose Leid jeden Tag um vier Uhr nachmittags im Frack mit seinem Cello inmitten der Ruinen auf die Straße setzt und das Adagio von Albinoni spielt, zweiundzwanzig Tage lang. Jeden Tag setzt er damit der Menschlichkeit ein Denkmal, und jeden Tag schenkt er seinen Mitbürgern von neuem Hoffnung und Mut.
Meine Rezension: Selten hat mich ein Buch so nachdenklich zurückgelassen, wie „ Der Cellist von Sarajewo“ und auch zwei Tage nach dem ich es beendet habe, sehe ich die Figuren, die Galloway stellvertretend für die Bürger der damals eingeschlossenen Stadt Sarajewo beschrieben hat, immer noch vor mir. Alles beginnt mit dem Einschlag einer Mörsergranate, die mitten auf einem Markt explodiert, auf dem zweiundzwanzig Menschen um Brot anstehen. Der Cellist, der sieht, wie sie zerfetzt werden, wird von nun an zweiundzwanzig Tage dort auf der Straße sitzen und das Adagio in g-moll spielen.
Kein Wort verrät uns der Autor über die Motive des Cellisten, er beschreibt nur die Musik und die Wirkung, die sie auf die Menschen in dieser zerstörten Stadt hat. Damit gibt er uns die Freiheit, alles in diesen Musiker hinein zu interpretieren - genauso, wie man es bei dem Musikstück schon unzählige Male versucht hat - Protest gegen den Krieg, Auflehnung gegen das sinnlose Sterben, Trost für die Hinterbliebenen, Erinnerung an die Toten - all das kann dieses Adagio ausdrücken, all dass kann man als Grund für sein Handeln sehen, doch eigentlich sieht man durch diese fehlende Erklärung immer nur in sich selbst, sieht das, was man selber als Motiv sehen würde.
Es wird erzählt von Dragan und seinem auf einmal lebensgefährlich gewordenen Weg zu seiner Arbeitsstelle. Man liest von Kenan, der sich alle vier Tage mit leeren Plastikkanistern auf den Weg macht, um für seine Familie Wasser aus der Brauerei in den Bergen zu holen und von Strijela, der Studentin, die früher im Schützenverein der Universität war und nun als Heckenschützin Soldaten erschießt. Mehr Personen braucht es nicht, um zu zeigen, wie der Krieg eine ganz normale Stadt – ganz normale Menschen verändert hat. Die Feinde der Menschen in der Stadt sind die Männer in den Bergen, die auf alles schießen, was sie in ihren Zielfernrohren sehen. Nur Hunde interessieren sie nicht, die dürfen leben. Und so gleicht jeder Gang auf die Straßen der Stadt einem Spießrutenlauf. Überall sind zerschossene Autos, Straßenbahnen und Ruinen, die man als Deckung nutzen kann und manchmal entscheidet nur das Glück, ob man lebend auf die andere Straßenseite kommt. Es gibt kein fließendes Wasser, keinen Strom und die Lebensmittel, die als Spenden für die Stadtbewohner gedacht waren, werden zu hohen Preisen auf dem Schwarzmarkt verkauft.
Das Buch zeigt mit erschreckender Deutlichkeit, wie schnell selbst die kleinen Dinge des alltäglichen Lebens, die uns so selbstverständlich vorkommen, plötzlich zum Luxus werden und wie zerbrechlich der Frieden sein kann. Es mahnt, dass man Zivilisation nicht geschenkt bekommt, sondern dass man immer wieder an ihr arbeiten muss und es zeigt, dass man, wie der Cellist von Sarajewo, trotz allem auf seine ganz persönliche Weise etwas gegen den Krieg unternehmen kann. 10 von 10 Punkten für dieses grandiose und bewegende Buch.
Nachsatz: Der Cellist von Sarajewo hat tatsächlich gespielt und das Bild, auf dem er mit seinem Cello in den Trümmern der zerstörten National-Bibliothek sitzend abgebildet ist, geht mir beim Betrachten ziemlich unter die Haut: Link zu Wikipedia
Das Adagio
Über das Adagio