Ein Schatten auf dem Dach
von: Jean Hougron
OT: Je reviendrai à Kandara
1955
VERGRIFFEN
Klappentext der franz. Ausgabe (Übersetzungsfehler sind mir anzulasten :grin)
Seit einigen ist André Barret davon überzeugt, dass sein neuer Schüler, Bernard Cormière, niemand Anderes ist als der Schatten, den er in der Nacht, in der der Wirt Cardelec erdrosselt wurde, auf dem Dach auf der gegenüberliegenden Straßenseite gesehen hat.
Die Französischlektionen? Eindeutig ein Vorwand. Barret fühlt sich bedroht, in Gefahr. Als eines Abends der junge Mann plötzlich vor ihm auftaucht, reagiert er sofort und schießt. Notwehr. Aber, bevor er stirbt, beschuldigt Cormière ihn, den Mord an Cardelec begangen zu haben, und Barret sieht verblüfft, wie sich ein ganzes Bündel an Verdächtigungen gegen ihn bildet.
[...]
Meine Meinung
Ich gebe zu, die Einordnung in die Sparte Krimi/Thriller ist nicht ganz korrekt. Ich war mir unschlüssig, ob ich es nicht doch lieber zur Belletristik stellen sollte. Andererseits geht es um einen Mord, zwei sogar und die Ermittlungen.
Der Ich-Erzähler, André Barret, lebt sein trostloses Leben in Loudan, Frankreich. Seine Ehe mit Pascale ist Routine, sein Job schlecht bezahlt, er selbst recht antriebslos. Und so geht er auch nicht, als er aus seinem Büro einen Schatten auf dem Dach gegenüber sieht, zur Polizei, als sich herausstellt, das gegenüber ein Mord begangen wurde. Er möchte kein Gerede, seine Schwiegermutter würde mit ihrer Sensationslust nerven. Und so tut er nichts.
Dann trifft er Cormière und nahezu sofort drängen ihm sich Vermutungen und Verdächtigungen auf. Weder er selbst noch der Leser ist sich zunächst im Klaren, ob dieser den Schatten auf dem Mansardendach darstellt. Doch mit der Zeit beginnt André sich vor ihm, den Pascales Mutter für so einen netten und wohlerzogenen jungen Herrn hält, zu fürchten. Schließlich geht er nicht mehr ohne Revolver aus dem Haus, erschießt ihn, als er des Nachts auf ihn zukommt - landet in Untersuchungshaft deswegen, wo er sich mit dem Wärter anfreundet.
Warum hatte er nicht von dem mysteriösen Schatten berichtet? Seine Frau hatte ihn nachdem er nachts aufgestanden war, nicht zurückkommen hören. Er habe sich komisch vernommen und grüße nicht auf der Straße. Cormière hätte immer gegrüßt und außerdem war er unbewaffnet. Und er war ja sowieso schon immer etwas seltsam...
Er steht völlig ohne Beweise da, der Anwalt beurteilt ihn als hoffnungslosen Fall - und er selbst ist sich auch nicht mehr sicher. Zu viel Fantasie? Hat er Cormière unrecht getan? Ist er aufgrund seiner (Kriegs)Erlebnisse wirklich "anders"? Spannende Reflektionen.
Und so spannt sich die Handlung zwar um die Morde, geht aber darüber hinaus. Eheprobleme, die begannen als er die französische Kolonie, das Örtchen Kandara verlassen musste, Antriebslosigkeit, vieles spielt eine Rolle.
Der Stil des Romans ist eher nüchtern, nicht so ausschmückend, aber er passt, besonders gut gelingt es dem Autor, die Gefühlswelt des Protagonisten und die Atmosphäre einzufangen.
Zwar nicht spannend im Action-Sinn, es ist eher ruhig, aber in Bezug auf die Entwicklungen und Gedankengänge hat mir das Buch so wunderbar gefallen. Leider ist es auf deutsch und französisch vergriffen - ich habe es aus einer Grabbelkiste auf Französisch.
Fazit
Interessante Entwicklungen, atmosphärisch, gut geschrieben, was will man mehr?!
9/10 Punkten
bartimaeus