Thomas Mann - Der Tod in Venedig

  • Da ich leider aus Zeitgründen nicht an der Leserunde von Ulysses teilnehmen konnte, habe ich mich für diese kurze Erzählung von Thomas Mann entschieden.


    Obwohl ich irgendwie eine Abneigung gegen Mann hege, hat mich diese Geschichte gefesselt. Rein sprachlich. Zum ersten Mal war ich nur von der Sprache beeindruckt. Weniger vom Inhalt.


    Die Geschichte handelt von einem in die Jahre gekommenen Schriftsteller, der immer sehr diszipliniert gearbeitet hat. Ein Spaziergang und die damit verbundene Begegnung eines Fremden, inspiriert ihn zu einer Reise nach Venedig. Dort begegnet er dem schönen Jüngling Tadzio, der ab da seine Gedanken beherrscht.


    Soweit zum Inhalt. Wie oben schon erwähnt, hat mich dich Sprache angezogen, der Inhalt allerdings teilweise abgestoßen.
    Ohne Vorkenntnisse zu haben, ist hier die homosexuelle und pädophile Sichtweise des Autors nicht abzustreiten. Im Nachhinein habe ich einige Interpretationen gelesen, die mich veranlassen, diese kurze Geschichte noch einmal zu lesen. Aber trotzdem denke ich manchmal, daß vieles in Texte hineininterpretiert wird. Für mich war es einfach nur das Outing eines schwulen, pädophilen Autors. Interessant zu lesen, aber es konnte meine Abneigung gegen die Person von Thomas Mann einfach nur noch einmal bestätigen.


    Ich weiß, daß meine Einstellung sehr extrem ist. Deshalb wäre ich sehr interessiert an weiteren Meinungen zu dieser Novelle.

  • Schwierig. Nur weil Thomas Mann ein Buch wie „Tod in Venedig“ geschrieben hat, kann ich ihn nicht als pädophil bezeichnen. Ich würde ja auch nicht sagen, dass Nabokov ein pädophil war, weil er “Lolita“ geschrieben hat. Andererseits hab ich jetzt mal ein bisschen im Netz herumgesucht und es wohl Tagebucheinträge von Thomas Mann, die auf pädophile Neigungen hin deuten. Gleichzeitig wird aber wohl auch angenommen, dass er seine Neigungen nie ausgelebt, sondern sein ganzes Leben lang unterdrückt hat und es fällt mir schwer, ihn für etwas zu verurteilen, was er nicht begangen hat – also, was nur in seinem Kopf stattgefunden hat.


    Ich hatte nicht das Gefühl hatte, als würde Thomas Mann mit „Tod in Venedig“ Pädophilie verherrlichen oder verharmlosen, sondern es kam mir eher so vor, als ob Aschenbach sich selbst verurteilt und auch schämt für seine Neigungen und weiß, dass falsch ist, was er empfindet und trotzdem kann er nicht anders. Er wird ja auch bestraft: durch Einsamkeit, er verliert langsam aber sicher seine Würde, und wenn er abgereist wäre, was richtig gewesen wäre und was er auch weiss, würde er noch leben und so stirbt er an einer Seuche, die er selbst verschwiegen hat. Ich hatte das Gefühl, dass das Buch eine Auseinandersetzung ist mit unsittlichen Wünschen, die nicht ausgelebt werden dürfen. Wenn die Novelle autobiographische Züge trägt und Thomas Mann eigene unterdrückten Phantasien literarisch verarbeitet hat, statt sie auszuleben, dann macht es mir den Autor nicht unbedingt unsympatischer, das ist das für mich eher etwas, vor dem ich Respekt empfinde.

  • Was, gabs da echt noch keine Rezi zu ??? :wow Ich hatte vor Jaaaahren mal eine richtige Mann-Phase, da habe ich auch die Erzählungen von Thomas Mann verschlungen. Die Erzählungen gefallen mir eindeutig besser als seine Romane! Für alle geeignet, die nicht wissen, ob ihnen der Stil liegen wird.

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Hallo Delphin,


    ich gebe dir recht. Meine Ausdrucksweise war wohl nicht korrekt und ich habe es auch gar nicht so schlimm gemeint, wie es sich wohl angehört hat. Wahrscheinlich war ich nur enttäuscht, weil ich anderes erwartet hatte. Die Novelle habe ich gelesen ohne auf den Inhalt vorbereitet zu sein. Sie soll die beste sein, die Th. Mann geschrieben hat. Und rein sprachlich kann ich dem auch zustimmen.
    Eigentlich hast du meine Gedanken zu der Erzählung viel besser rüberbringen können als ich selbst
    Richtig: Er setzt sich nur mit den Gefühlen, die er für diesen Jungen empfindet, auseinander. Und er nimmt dafür seinen eigenen Tod in Kauf. Allerdings auch den des Jungen. Soweit ich mich erinnern kann. Er hätte die Familie warnen können, tut dies aber aus Egoismus nicht.




    In den Interpretationen, die ich zu dieser Erzählung nach dem Lesen, gefunden habe, wird viel von Todessymbolen geschrieben: z. B. die schwarze Gondel.
    Vielleicht bin da etwas zu einfach gestrickt. Aber als ich von der schwarzen Gondel gelesen habe, fand ich daran nichts außergewöhnliches. Da ich selbst schon zweimal in Venedig war, weiß ich, daß alle Gondeln dort schwarz sind. Und die restlichen Vorboten des Todes habe ich irgendwie auch überlesen ;-).


    Also blieb für mich nur die Geschichte einer leidenschaftlichen Bewunderung, Verliebtheit zu diesem Jungen. Und dieses Thema hat mir nicht so zugesagt. Deshalb bin ich auch immer noch neugierig, ob hier jemand noch etwas anderes aus der Geschichte ziehen kann.


    Charlotte :wave

  • Ich liebe Thomas Mann! Und diese Novelle ist ein Glanzstück.
    Nicht nur sprachlich, sondern auch strukturell.
    Bereits das erste Kapitel enthält in chiffrierter Form bereits alle Kernpunkte der ganzen Erzählung - ähnlich wie bei Fontanes Effi Briest.
    Nehmen wir als Beispiel allein mal das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle, welches drei Verbindungen schlägt: erstens als Hinweis auf Venedig (histor. Handelsbeziehungen zwischen Venedig und Byzanz), weiterhin der Verweis auf die Griechen (über Zitate aus Platons Phaidros wird anschließend die Schönheitsvorstellung gebildet, der Tadzio entspricht) und dann noch die Verbindung mit dem byzantinischen Bilderstreit - wo es eben gerade um die Problematik von Ikonen und deren Verehrung geht.
    Im Buch selbst ist die Todessymbolik wirklich dramaturgisch aufgebaut. Das zu umreißen (wie auch das erste Kapitel an sich) wäre hier einfach zu viel. Das ist ein ... weites philologisches Feld.
    Nur so viel: Die Gondeln haben natürlich den Charater der Überfahrt in die Unterwelt der griechischen Mythologie, die Figur der Pest/des Todes taucht in mehreren Personifikationen auf (der Mann in Kap. 1, der Fernweh auslöst, der seltsame Alte auf dem Schiff, der Gondolier, der Spielmann...) - du wirst sehen, dass sich in ihrer Beschreibung viele Attribute gleichen, die in der Kunstgeschichte immer wieder als Attribute des Todes auftauchen. Ebenso die Erwähnung des roten Granatapfelsaftes (da springt einen der mythologische Verweis doch schon wieder an!), die Parallele in der Beschreibung des Verfalls von Venedig und Aschenbach....
    Boah, ich könnt dir ne ganze Magisterarbeit zu dem Therma schreiben.
    Aschenbachs Entwicklung selbst wird in der Geste der Faust (Am Anfang: geschlossen -> geöffnet, dies wird im Verlauf des Buches dann auch umgesetzt) durch das Buch hindurch verbildlicht. Womit du auch gleichzeitig eine Parellele zur Entwicklung des Abendlandes stellvertretend ziehen kannst (geschlosene Faust stand in der Antike für Logik - Strenge, die geöffnete Hand für die Rhetorik- ausschweifende Art)
    Das ganze Buch ist derart gespickt mit Verweisen, dass es mich immer wieder umhaut. :anbet

  • Man könnte natürlich noch mit der literarischen Umsetzung des ästhetischen Ideals von Nietzsche ankommen (auf den Mann ja öfters Bezug nahm)- das Apollinische und das Dionysische (spielt grad in den Alp-Träumen Aschenbachs eine Rolle)...
    :write
    Ehrlich, da stecken so ungblaublich viele Verweise drin, dass ich es auch mehrmals gelesen habe. Haben musste. Und noch immer ist das Buch für mich nicht vollkommen durchschaut. Ich mag Mann, er nimmt seine Leser noch ernst.
    Aber ich wünsche dir erstmal viel Vergnügen!

  • Das Taschenbuch ist im Fischer-Verlag erschienen und gehört keiner Reihe an. Sein Preis von 6,95 € ist ausreichend für die Anzahl von ca. 139 Seiten. Das Cover von meiner Ausgabe, leider eine andere als hier abgebildet zeigt eine Abbildung des Öl auf Leinwand Gemäldes von Claude Monets "Palazzo da Mula" von 1908. Die Abbildung passt sehr schön zum Buch. Insgesamt ist das Buch mit seinen 5 Kapiteln sehr altertümlich gehalten und anhand des Textes kann man erkennen, das die Zielgruppe Erwachsene sind.
    Die Novelle "Tod in Venedig" ist sehr anspruchsvoll, da der Text äußerst schwierig geschrieben ist. Auf den ersten Seiten versteht man nur Bahnhof und die vielen verschachtelten Sätze treiben einen in den Wahnsinn. Aber mit der Zeit, zumindest war das bei mir so, gewöhnt man sich daran und das Lesen fällt leichter. Thomas Mann steht offen zu Homosexualität und zeigt mit seinem Roman wie kompliziert das zur damaligen Zeit war. Immer wieder musste er sich zurückhalten um nicht auf zufallen und die Regeln der Gesellschagt zu brechen. Das Buch sprach nicht nur zur damaligen Zeit ein Tabu-Thema an, denn auch heute noch akzeptieren viele Menschen die Homosexualität noch nicht als gleichwertiges Mitglied in der Gesellschaft. Mit dem was Aschenbach (Hauptcharakter) auf sich nimmt um seiner Vorliebe im Geheimen nachzukommen findet das Buch einen traurigen Abschluss. Venedig wird hier von zwei Seiten gezeigt, einmal von seiner schönen romatischen Landschaft und ein andermal von seiner dreckigen und kranken Seite. Die zwei Hauptcharaktere Aschenbach und Tadzio waren deutlich ausgearbeitet und wurden mit vielen Details zu Aussehen und Charakter beschrieben.
    Fazit: Das Buch von Thomas Mann ist wirklich schwierig und ernst, aber wer anspruchsvolle Bücher mag wird in der Novelle eine wunderschöne aber zugleich auch traurige Geschichte finden!
    :lesend

  • ich hab das buch in der schule lesen müssen. vielleicht lag es daran, dass es pflichtlektüre war, dass ich es nicht mochte. so ging es mir generell mit den schulbüchern. aber ich bin generell kein mann-fan.
    die todessymbolik haben wir auch ausreichend besprochen und ich bin der meinung ohne ausreichend wissen über griechische mythologie ist vieles nur schwer zu verstehen.

  • Sprachlich wie gewohnt bei Mann, nämlich top. Inhaltlich für mich bisher das schwächste, was ich gelesen habe. Es ist aber auch so, dass ich generell nicht sooo ein Mann-Fan bin, und noch dazu war mein letztes Buch von ihm "Buddenbrooks", was irgendwie was komplett anderes ist...
    "Der Tod in Venedig" ist schon irgendwie faszinierend, für mich aber nicht schön oder so, auch wenn ich anspruchsvolle Literatur an sich schon mag.

    "Ich bin dreimal angeschossen worden – was soll man da machen." (Robert Enke)


    "Accidents" happen in the dark.

  • Ich habe das Buch sehr gemocht. Es ist ziemlich vielschichtig, und es gibt einiges zu entdecken. Im Grunde begegnet Aschenbach schon früh dem Tod. Nämlich in Form des Wanderers, der sehr viel Hermes-Züge aufweist, der ja auch Geleiter des Todes war. Auf dieser Begegnung beruht seine Reise. Und man könnte behaupten, dass dort schon das Ende Aschenbachs vorgedeutet wird. Im Wissen, dass er seine letzte Reise antritt, lässt er sich noch einmal gehen. Nachdem er im Leben immer sehr kontrolliert war. Sein Leben war bestimmt von Regeln, und Ordnung. Im Urlaub dreht er all das um. Er malt sich an, um jünger auszusehen, was ihn lächerlich erscheinen lässt - auch dazu verleitet ihn wiederum eine Hermes-Figur.. er verliebt sich in den Jungen, und lässt sich gefühlsmäßig darin einfach gehen. Was sein Motiv ist, ist schwer zu sagen. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass er zum Sterben weggereist ist, und nach dieser Art von Abenteuer im Grunde sich gesehnt hat. Er hat bekommen was er gesucht, und entschieden, mit diesem Gefühl der Liebe in sich, den Abschied seiner selbst zu feiern und isst wissentlich die vergammelten Erdbeeren. Wobei Erdbeeren auch für Lust stehen, und dass sie vergoren sind, kann man auch weiterdeuten. Ich glaube, desto häufiger man das Buch liest, umso mehr entdeckt man darin. Sehr empfehlenswert wie ich meine.


    EDIT: Werbelink gelöscht, LG, milla

    [URL=http://www.cafebar.de/watercooler.aspx[/URL]

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