"Das Lied der Dämmerung" - Siddharth D. Shangvi

  • Titel der Originalausgabe: "The last song of dusk"


    Zum Buch


    Dieser wunderbare Erstlingsroman, der irgendwo zwischen großer indischer Erzähltradition und magischem Realismus pirouettiert, erzählt das ungewöhnliche Leben von vier Menschen. Das der märchenhaft schönen, mit Zaubergesängen begabten Anuradha Gandharva, die ihr Dorf verlässt, um sich in Bombay mit einem Mann zu vermählen, den sie noch nie gesehen hat. Das von Vardhamaan, dem Hüter eines unerträglich traurigen Geheimnisses. Das Leben der mutwilligen und verführerischen Nandini, einem Waisenkind mit dunklem Herzen, das einen seltsamen Hang zu Pantherkatzen hat und eine außergewöhnliche Gabe für das Malen. Und das von Shloka, dem zarten Kind der Gandharvas, das in den ersten sechs Jahren seines Lebens kein Sterbenswort sagt. Ihre vier Schicksale entfalten und erfüllen sich im Indien der 20er Jahre in einer alten Villa mit gebrochenen Herzen.


    Über den Autor


    Geboren und aufgewachsen in Indien studierte Siddarth Dhanvant Shanghvi Internationalen Journalismus in London und Kommunikationswissenschaften in Kalifornien. Der Fünfundzwanzigjährige bereitet sich gerade in San Francisco auf seinen dritten Master vor und lebt in London, Bombay und San Francisco. Er arbeitete als Koch, Hundeausführer und Geschichtenerzähler. Als Journalist schreibt Shangvi für den San Francisco Chronicle, dass ELLE-Magazin und die Sunday Times of India


    Meine Meinung


    Im Klappentext steht etwas von "wunderbarer Bollywood-Liebesgeschichte, geschrieben in prachtvoller, melodischer Technicolor-Prosa", aber die Geschichte hat wirklich keine Ähnlichkeit mit den quietschbunten Bollywood-Filmen. :rolleyes


    Ich weiss gar nicht, wie ich das Buch beschreiben soll. Es ist auf jeden Fall kein Schmöker, den man mal eben so runterlesen kann. Ich glaub, es ist eine Geschichte von Liebe und Leid - viel Leid ehrlich gesagt. Der Verlust eines Kindes, sexueller Missbrauch, eine Freundin, die weiss, dass sie sterben wird... Die Geschichte um Anuradha und Vardhamaan fand ich wunderschön, wenn auch sehr traurig, die des Hauses auch. Nandini hat mich eher genervt und auf die ziemlich graphischen und für mein Empfinden ziemlich plumpen Sexszenen hätte ich verzichten können.


    Die Sprache ist ziemlich bildreich und der Autor baut einige seltsame Elemente ein, diese Zauberlieder, Nandini, die über das Wasser wandelt und das Haus, das trauert, weil sein Besitzer an gebrochenem Herzen gestorben ist, es hielt sich aber für mich in erträglichen Grenzen - ich hab einfach beschlossen, nicht alles wortwörtlich zu nehmen, sondern einiges als Bilder zu deuten.


    So richtig gut gefallen hat es mir nicht, so ganz schlecht war es aber auch nicht. Ich würde wohl bei Amazon so 4 von 5 Sternen geben. Eulen, die etwas in der Art von Rebecca Ryman suchen, könnten aber enttäuscht sein.
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  • Meine Mutter hat jahrelang alles (wirklich ALLES!) gelesen, was auch nur im weitesten Sinne mit Indien zu tun hatte und mir irgendwann einen riesigen Stapel Indien-Bücher mitgebracht.
    Von selbst hätte ich nie zu diesem Buch gegriffen - aber manchmal ist es auch schön, Sachen zu lesen, die völlig außerhalb des eigenen "Buchbeuteschemas" liegen.


    Dennoch fällt es mir total schwer, irgendeine "Meinung" zu diesem Buch zu formulieren.
    Ich kann mich Delphin aber zumindest vorbehaltlos anschließen: Dieses Buch ist definitv kein fröhlich, schmalzig, leicher Bollywood-Kitsch!
    Auch wenn einige Personen wirklich sehr skuril anmuten und es manchmal sehr mystisch zugeht, meint es das Schicksal mit Anuradha und Vardmaan doch anscheinend nie gut und ich war eigentlich die meiste Zeit eher traurig, entsetzt und verwundert.


    Quasi als Trost für eine aussagekräftige Rezension, die ich einfach nicht zu schreiben in der Lage bin, habe ich für euch eine Leseprobe ausgegraben:
    http://www.rowohlt.de/fm/131/Shanghvi_Daemmerung.pdf

  • Arré, Baba! Dies ist ein prallvoller Schmöker aus Indien, ein Erstlingswerk eines noch recht jungen Autors. In diesem Buch finden sich ungeheuer viele Tendenzen, Sprachbilder und dramatische Wirrungen - und was dabei herauskommt, lässt sich in so gut wie keine westliche Literatur-Schublade einordnen. Daher muss man mit einer Bewertung auch ziemlich vorsichtig sein.


    Das Buch steht schon seit einigen Jahren ungelesen bei mir im Regal, und heute muss ich sagen, das war auch gut so. Als es mir damals über den Weg lief, wäre ich definitiv noch nicht reif genug gewesen für eine Lektüre. Es setzt schon einiges voraus. Es hilft nämlich, sich ein wenig mit Indien (und auch mit Literatur über und aus Indien) auszukennen. Der junge, schelmisch dreinblickende Autor, Herr Shangvi, hat sich an einigen Vorbildern orientiert, die er aber munter zu etwas Eigenem verquickt.


    WENN man das Buch schon unbedingt mit anderen Büchern vergleichen muss, dann fallen mir auf der einen Seite moderne "indische Klassiker" ein, wie Salman Rushdie, Arundhati Roy, oder Chitra Banerjee Divakaruni. Von ihnen hat er das indische Erbe des Fabulierens und der orientalisch-dramatischen Familiensaga übernommen. Es geht um Liebe und Eh(r)e, Familienkonflikte, Gewaltausbrüche, böse Schwiegermütter, ein Haus mit melancholischer "Seele", ein dämonisches Waisenkind, etliche Todesfälle, die aufstrebende und exzentrische indische Künstlerszene, Prophezeiungen, Vorausdeutungen, und übersinnliche Fähigkeiten. Näher braucht man die Handlung gar nicht zu beleuchten, weil man sie sonst zerredet.


    Skizzieren wir nur kurz, welche Personen uns hier begegnen. Das Buch beginnt mit der Liebesgeschichte um Anuradha, die wunderschöne und magisch begabte Sängerin, und Vardhmaan, den aufstrebenden Arzt, und ihrem teilweise vergeblichen Streben nach einem erfüllten Familienleben. Krankheiten, Flüche und Unglücksfälle säumen ihren Weg. (Die ständigen "Vorausdeutungen" des Autors tragen hier ihren Teil zur bedrückenden Atmosphäre bei.) Ab der Mitte des Buches treten noch Pallavi, eine gute Freundin von Anuradha, sowie Anuradhas elternlose Cousine Nandini hinzu. Nandini läuft Anuradha bis kurz vor Ende des Buches ein wenig den Rang ab, da ihr Versuch, in die Welt der Künstler einzudringen und berühmt zu werden, die Familiengeschichte teilweise verdrängt. Doch am Ende laufen doch wieder irgendwie alle Fäden in dem verfluchten Haus am Rande der Stadt zusammen, und das Buch endet mit einem Ausblick auf das Leben eines Nachkommens von Anuradha und Vardhmaan. So schließt sich der Kreis - doch ist damit das Buch nur höchst unzureichend beschrieben.


    Stilistisch und sprachlich ist das Buch noch weniger zu fassen. Im Klappentext ist die Rede von "magischem Realismus" sowie von "melancholischer Technicolor-Prosa". Trefflich ausgedrückt! In der Tat fühlt man sich passagenweise in die "Blechtrommel", die "Mitternachtskinder" oder auch in "Hundert Jahre Einsamkeit" versetzt. Schon nach wenigen Kapiteln hat man gelernt, Wahrscheinliches von eher Mystischem zu unterscheiden. Verschiedenste Realitätsebenen durchdringen sich mühelos, was den Leser aber auch zu eher "schlürfendem Lesen" zwingt. Eine oberflächliche Lektüre, die sich nur am "Plot" orientiert, verbietet sich von ganz alleine.


    Für mich war es auch eher die Sprache, die zum Faszinosum dieses Buches wurde. Süß, reichhaltig, aber auch zähflüssig wie Honig. Mit immer neuen, exquisit geschöpften Vergleichen, Bildern und Metaphern. So würde in Wirklichkeit kein Mensch reden, jedenfalls kein Westler! Hier scheint alles zu leben, sogar die Natur und die Häuser.


    Allerdings muss ich auch einräumen, dass es keine Charakterisierung wie in westlichen Romanen üblich gibt. Alle Figuren, sogar die exzentrische Nandini, die so gerne Malerin werden möchte, wirken auf eine gewisse Weise konstruiert; man wird nicht wirklich mit ihnen warm. Doch man tut dem Buch Unrecht, wenn man es mit einer solchen Erwartungshaltung liest. Wir sind im Indien der 20er Jahre, und man darf nicht vergessen, dass in einem solchen "Setting" Konzepte wie Individualität oder "runde" Charaktere noch gar nicht vorkamen. Die indische Gesellschaft war seit je her geprägt von einem deutlichen Klassenbewusstsein, und von dem Bemühen des Einzelnen, sich in dieses System einzupassen.


    Man sollte den geneigten Leser auch insofern vorwarnen, als es doch etliche Passagen mit deftiger Erotik gibt. Und die spielt sich nicht immer im Rahmen des Legalen oder Erwartbaren ab... Wer in dieser Hinsicht zart besaitet ist, sollte das Buch besser nicht lesen. Sonst sind rote Ohren vorprogrammiert...!


    An dieser Stelle erschöpft sich so langsam meine Fähigkeit, dieses Buch zu beschreiben. Das war wirklich Bollywood in Reinkultur! Ich verleihe nur deswegen keine volle Punktzahl, weil mir gegen Ende die Handlung doch arg gerafft erscheint. Und weil ich finde, dass das Motiv des "magischen Gesangs", der dem Buch ja auch seinen Namen gibt, nicht so konsequent durchgehalten wird, wie ich das erwartet hätte. Das wirkt im Rückblick doch ein wenig bemüht. Ansonsten kann ich nur sagen, dass ich noch gar nicht weiß, wie mir geschah! Ich bin in dieses Buch getaumelt, wurde mitgerissen, und tauche ein wenig atemlos wieder auf. Das ist definitiv nichts für Schnell-Leser. Denn sonst verdirbt man sich leicht den Magen an der doch oft zuckersüßen und prallvollen Schreibweise.