Originaltitel: Den osynlige mannen från Salem (2013)
Bertelsmann Verlag 2015, 351 S.
Der 1. Teil der Leo Junker Serie
Über den Inhalt:
Leo Junker, ein begabter junger Polizist, wird nach einem missglückten Undercover-Einsatz zur Verantwortung gezogen und vom Dienst suspendiert. Seitdem kämpft Leo mit Panikattacken, die er mit einem Übermaß an Tabletten und Alkohol zu bekämpfen versucht. Als in seinem Wohnblock eine tote Frau aufgefunden wird, zieht es ihn ganz automatisch zum Tatort. Er beginnt – unerlaubt – zu ermitteln. Denn ein merkwürdiges Detail am Tatort zwingt ihn dazu, sich mit den längst verdrängten Erlebnissen seiner düsteren Jugend zu stellen …
Über den Autor:
Christoffer Carlsson, geboren 1986, ist der jüngste Star am schwedischen Krimihimmel. Mit 28 Jahren hat er nicht nur bereits vier hoch gelobte, international erfolgreiche Thriller geschrieben, sondern nebenher auch noch sein Kriminologie-Studium mit Promotion abgeschlossen. "Der Turm der toten Seelen", der erste Band einer neuen Serie mit dem Polizisten Leo Junker, wurde 2013 mit dem Schwedischen Krimipreis ausgezeichnet. Mit dieser Serie wird Christoffer Carlsson erstmals in Deutschland vorgestellt.
Meine Meinung:
In einer Wohnung des Hauses, in dem auch der zur Zeit suspendierte Polizist Leo Junker lebt, wird eine junge Frau ermordet. Leo sieht sich den Tatort an und entdeckt in der Hand der Toten einen Gegenstand, der Erinnerungen in ihm wach werden lässt. Als er anonyme SMS-Nachrichten erhält, wird ihm zur Gewissheit, dass die junge Frau seinetwegen getötet wurde und der Grund dafür in seiner Vergangenheit liegt. Er beschließt, in dieser Sache eigenmächtig zu ermitteln.
Wer einen reinen Thriller erwartet, liegt hier falsch. Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive von Leo Junker erzählt. Einen großen Raum nimmt dabei seine Erinnerung an seine Jugend, an seine Freundschaft mit John Grimbart und dessen Schwester Julia ein, weil ihre gemeinsame Vergangenheit starke Auswirkungen auf die Gegenwart hat. Zur aktuellen Handlung und den Rückblenden kommen noch Tagebuchauszüge hinzu, bei denen schnell klar wird, wer sie verfasst hat.
Oberflächlich betrachtet ist dies ein weiterer düsterer, schwermütiger Schwedenkrimi mit einem vom Dienst suspendierten Kommissar, melancholisch, einsam, depressiv, tablettenabhängig. Ein bisschen erinnert die Hauptfigur an Jo Nesbøs Harry Hole, aber der Erzählstil des Autors ist ein völlig anderer. Carlsson schreibt sehr zurückhaltend, stilvoll, drängt sich dem Leser nicht auf, er zeichnet die Welt, die äußere wie die innere, mit sanften Strichen. Wo Hole zu weit geht, hält Junker sich zurück und macht dadurch einen sympathischen, verwundbaren Eindruck.
Die große Stärke des Romans liegt in der Entfaltung der allgegenwärtigen, destruktiven Kraft dieser Geschichte über Freundschaft, Beziehungen und das Erwachsenwerden. Es geht um Mobbing, um Diebstahl, um zerrüttete Familienverhältnisse, um Gewalt unter Jugendlichen.
Die Geschichte beginnt ruhig, die Atmosphäre baut sich langsam auf und verdichtet sich dann gekonnt, so dass ich ungefähr ab der Hälfte so gefesselt war, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Geschickt werden Handlung, Schicksale und Charaktere in Gegenwart und Vergangenheit miteinander verwoben zu einem Gefüge aus Depressionen, Sucht und Trauer. Die Charaktere sind realistisch beschrieben, wirken mit all ihren Fehlern und Schwächen sehr glaubwürdig. Es gibt allerdings wenig Überraschendes und keine Wendungen in dem Buch, das Ende ist vorhersehbar. Das hat mich jedoch nicht gestört. Die Geschichte wirkt durch Leos Art des Erzählens. Er beschönigt nichts, er redet nicht drum herum, er lässt nichts aus, er bittet nicht um Verständnis und er heischt auch nicht um Mitgefühl. Er erzählt einfach.
Die Auflösung lässt mich zufrieden zurück und ich bin sehr gespannt, ob und wie ich Leo Junker in einer Fortsetzung wieder begegnen werde.