Stephan Thome - Fliehkräfte

  • Titel: Fliehkräfte
    Autor: Stephan Thome
    Verlag: Suhrkamp
    Erschienen: September 2012
    Seitenzahl: 473
    ISBN-10: 3518423258
    ISBN-13: 978-3518423257
    Preis: 22.95 EUR


    Hartmut Hainbuch ist Professor für Philosophie an der Universität Bonn. Eigentlich hat er alles erreicht. Verheiratet ist er seit zwanzig Jahren mit Maria, die er selbst als "Traumfrau" bezeichnet. Und mit der Tochter Philippa läuft auch eigentlich alles glatt, obwohl sie die Eltern ein wenig auf Distanz hält. Sie studiert Ernährungswissenschaften und lebt in Spanien.


    Doch trotz des nach Außen scheinenden glücklichen Lebens ist Hartmut nicht zufrieden. Seine Frau arbeitet in Berlin und so führen die beiden eine Wochenendbeziehung. Hartmut leidet unter der Abwesenheit seiner Frau. Doch dann bekommt er ein Angebot, er soll als Beraten in einen Verlag einsteigen - und da der Verlag in Berlin beheimatet ist, würde er wieder - auch unter der Woche - mit Marie zusammenleben.


    Maria ist Managerin einer Theatergruppe die sich gerade zu einem Gastspiel in Kopenhagen aufhält. Hartmut und Marie haben vereinbart sich in wenigen Tagen in Portugal zu treffen, dort leben Marias Eltern und so wie jeden Sommer wollen Hartmut und Marie auch in diesem Jahr ihren Urlaub wieder in Marias Heimat verbringen.


    Spontan entschliesst sich Hartmut dann, statt zu fliegen, mit dem Auto nach Portugal zu reisen. In ihrem Bonner Haus fällt ihm die Decke auf den Kopf. Er braucht einfach Zeit um nachzudenken, wie es mit ihm und mit seiner Ehe weitergehen soll. Die Reise im Auto wird zu einer Suche nach sich selbst. Und ihm wird klar, dass er schon viel früher damit hätte beginnen müssen, sich Gedanken über sich und sein Leben zu machen.


    Stephan Thome erzählt flüssig, vermeidet den "erhobenen Zeigefinger" und schafft es die Handlung seines Buches authentisch wirken zu lassen. Wirtschaftliche Sicherheit mag zwar beruhigend sein, ist aber ganz offensichtlich nicht alles das, was "leben" wirklich ausmacht. Die handelnden Personen stehen stellvertretend für viele Menschen, sind aber trotzdem nicht klischeebeladen. Es sind Menschen, wie sie uns tagtäglich begegnen. Der Autor schafft es hier die Konturen klar zu zeichnen und vermeidet dabei die Verwendung nichssagender Allgemeinplätze. Ein lesenswertes Buch über ein letztendlich ganz normales Leben, ein Buch das Probleme und Gedanken beschreibt, wie sie bei vielen Menschen wohl an der Tagesordnung sind - nur das sich vieler dieser Probleme gar nicht bewusst sind.


    Dem Autor ist zudem sehr gut gelungen, durch "die Zeiten zu springen" ohne das man als Leser dabei aber in Verwirrung gestürzt wird. Man verliert nie den Überblick über die erzählte Geschichte.


    Stephan Thome sicher einer der "neueren" Autoren, auf deren weitere Entwicklung man gespannt sein darf.


    7 Eulenpunkte

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Wurde mir so dringend ans Herz gelegt, dass ich's ungelesen gekauft hab. Und wie enttäuscht ich war. Sprache und Erzählkunst grade mal Durchschnitt, und Hartmut Hainbach ist einfach nur ein pompöser Schwätzer, wechselweise weinerlich und von eitler Selbstgefälligkeit. Sicher niemand, von dem ich mehr wissen wollte.

  • Eigentlich würde ich den Protagonisten dieses Buches so im wahren Leben gern kennenlernen. Aber sein Leben und seine Lebenskrise so erzählt zu bekommen- eigentlich interessiert mich das nicht. Kein schlechtes Buch. Ich habe es immerhin zu Ende gelesen. Für einen eitle oder gar selbstgefälligen Menschen halte ich jemand, der so an sich und seinem Lebensentwurf zweifelt ganz sicher nicht.

  • Hartmut Hainbach und seine Frau haben sich in einen kaum lösbaren Konflikt manövriert. Ehemann, Ehefrau und erwachsene Tochter befinden sich zu Beginn der Handlung in verschiedenen Städten und sind dabei, ihre Erwartungen aneinander zu klären. Der Philosophieprofessor fühlt sich wenige Jahre vor seiner Pensionierung erschöpft und ernüchtert vom Reformdesaster an deutschen Universitäten; seine Frau Maria Antonia hat sich mit 50 reichlich spät überlegt, dass sie gern ein eigenes Einkommen haben und das an einem Theater in Berlin verdienen möchte. Da die gemeinsame Tochter bereits 20 Jahre alt ist und das Elternhaus zum Studium in Spanien verlassen hat, hätte es vermutlich lange vorher in der Region Bonn für sie Möglichkeiten zur Berufstätigkeit gegeben. Wenn Hartmut an der Uni die Brocken hinwerfen will, müssen beide das finanzieren können – zwei Wohnsitze wie zur Zeit sind dafür die ungünstigste Voraussetzung. Der Konflikt im Hause Hainbach ist ein Luxusproblem, das sich Paare mit nur einem oder zwei schmalen Einkommen erst gar nicht leisten können.


    Stefan Thomes Romane habe ich in der umgekehrten Reihenfolge gelesen, zuerst das Buch über Maria und nun das Buch über Hartmut. Das bereue ich nicht, weil Maria für mich als Person erheblich interessanter war als Hartmut. Beide Bücher ergänzen sich wie zwei Hälften und sind verknüpft durch Szenen, die in beiden Romanen vorkommen. Das Wissen, warum Hartmut sich vom Beruf ausgelaugt fühlt, lässt einen den zweiten Roman besser verstehen, umgekehrt beurteilt vermutlich diese Luxusprobleme anders, wer Marias Vorgeschichte kennt. Hartmut am geschilderten Wendepunkt in seinem Leben fand ich sehr glaubwürdig, seine leicht salbungsvolle, suffisante Art hat mir ausgesprochen gut gefallen, auch wenn ich die Krise des Paars sehr weit ausgewalzt fand.


    8 von 10 Punkten