Sehschlachten - Bernhard Jaumann

  • Kurzbeschreibung:
    In Sydney fliegt ein Haus in die Luft, ein Mann kommt zu Tode, ein anderer verliert sein Augenlicht. Auf den Spuren von Gewalt und Voyeurismus begegnet Detective Sam Cicchetta Blicken, die töten können.


    Über den Autor:
    Bernhard Jaumann, geboren 1957 in Augsburg, Studium in München, hat u.a. in Bad Aibling Italienisch unterrichtet. Seit 1998 Veröffentlichung von Kriminalromanen, für "Saltimbocca" 2003 ausgzeichnet mit dem Friedrich-Glauser-Krimipreis.


    Meine Rezension:
    In seinem zweiten Band der Reihe um die fünf Sinne dreht sich bei Bernhard Jaumann alles um das Sehen. Und so wundert es nicht, dass Jaumann in diesem spannenden Krimi nicht nur besonders genau beobachtet, sondern auch alle Eindrücke, Ereignisse und Figuren auf das Sehen konzentriert. "Sehschlachten" besticht durch die detaillierten Beschreibungen des Handlungsorts Sydney, die wunderbar gelungene Charakterisierung der authentischen Figuren, die wechselnde Erzählsicht und die raffinierten Zusammenhänge, die sich erst nach und nach ergeben. Wähnt sich der Leser anfangs noch blind und irritiert angesichts der sich überschlagenden Ereignisse, folgt er zusammen mit dem italienisch-stämmigen Detective Sam Cicchetta den Spuren, die erst im Laufe der Zeit sichtbar werden und die eines Blinden bedürfen, damit Detective und Leser im wahrsten Sinne des Wortes die Augen geöffnet werden. Dass hierbei nicht alle losen Enden verknüpft werden, sondern manche Erzählstränge im Sande verlaufen, ist kein Makel, sondern im Gegenteil Ausdruck der Authentitzität der Ermittlungsarbeit.
    Wie Jaumann es schafft, das Sehen konsequent in das Zentrum seines durchweg spannenden und rätselhaften Krimis zu stellen, ohne dass es aufgesetzt wird, ist nicht nur bemerkenswert, sondern macht auch großen Spaß zu verfolgen. Nach "Hörsturz" ist auch "Sehschlachten" ein absolut empfehlenswerter Krimi für alle, die neben einer ordentlichen Portion Spannung das Menschliche in Kriminalromanen schätzen und nichts gegen den ein oder anderen philosophischen Ansatz haben!


    Volle Punktzahl von mir!

  • Stell dir vor, du verfolgst als Polizist im Laufschritt einen Verdächtigen, der auf Inlinern flieht. Der Abstand zu ihm wird immer größer und du wünschst dir mit letzter Kraft, dass der Typ im nächsten Moment vom Blitz getroffen wird. Dein Wunsch geht in Erfüllung - der Typ wird von einem einstürzenden Haus begraben. Genau so ging es PD Lachlan O’Neill, der sich zur Aufklärung einer Serie von Kameradiebstählen als Fotograf getarnt unter Sydneys Touristen gemischt hatte. Was haben der skatende Nackte und die Kameradiebstähle mit zwei Kindern zu tun, die in irgendeinem Keller gefangen gehalten wurden und feststellen, dass die Tür zu ihrem Verlies plötzlich unverschlossen ist? Von den Kindern erfahren lange nur die Leser aus Jaumanns Krimi, während O’Neill und Kollegen sich mit Zeugenbefragungen zum Kameradieb und zur Explosion des Hauses plagen. Die Kinder haben sich, vermutlich aus Selbstschutz, in eine Phantasiewelt mit Hexen und gefährlichen Drachen geflüchtet, so dass man Schlimmes über ihre mögliche Traumatisierung befürchten muss. In der sonderbaren Gedankenwelt ihres ausgedachten Australien vor 200 Jahren sind sie gerade aktiv und selbstbewusst dabei, ihr Problem allein zu lösen.


    Da Bernhard Jaumann sich in diesem Band seiner Krimireihe zu den fünf menschlichen Sinnen mit dem Sehen, dem Wegsehen, dem Bezeugen und dem Blindsein befasst, muss man als Leser seine Sehgewohnheiten ständig infrage stellen. Vielleicht sind die Kinder doch keine Opfer oder in einem völlig anderen Sinn als sich das Krimileser vorstellen. Der höchst sonderbare Fall aus Kameraraub und nacktem Skater und die Typen dieses Romans wirken reichlich durchgeknallt. Neben seinem sonderbaren Kriminalfall zeichnet Jaumann seinen Schauplatz Australien mit beachtlichem Verständnis als Einwanderungsland, in das Menschen einwandern, dort heimisch werden oder auch nicht. Herausragend fand ich Jaumanns Sorgfalt in Sprache und Recherche und die von ihm geschaffene ungewöhnliche Gedankenwelt seiner kindlichen Helden.


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    „Cichetta hatte nie verstanden, wieso Vernehmungen und Verhöre in der Polizeiarbeit angeblich so wichtig sein sollten. Das musste aus den Krimis in die Realität herübergeschwappt sein, aus der Art von Krimis, in denen der Gute als Zeuge getarnten Schurken so lange heimtückische Fragen stellt, bis der sich endlich in Widersprüche verwickelt, sein Schurkentum damit zweifelsfrei unter Beweis stellt und, von der Macht der Argumente überwältigt, in einem umfassenden Geständnis zusammenbricht. In Wirklichkeit war jede Aussage voller Widersprüche und abstruser Ungereimtheiten. Man konnte froh sein, wenn ein Zeuge seinen Namen fehlerfrei so buchstabieren konnte, wie er im Ausweis eingetragen war. Von schwierigeren Fragen ganz zu schweigen, wie zum Beispiel der Frage, was jemand um 13.15Uhr um das Haus 30, Victoria Street beobachtet hatte. Die Frage war eindeutig zu schwer. Die Zeugen wollten nichts verheimlichen, sie logen nicht etwa, sie waren nur nicht in der Lage, zu sehen, was tatsächlich geschah. Das heißt, sie sahen irgendeinen Schwachsinn, der mit der Realität nichts zu tun hatte. Es war fast so, als ob jeder in der Außenwelt nur die Zwangsvorstellungen und Wahnsysteme erkennen könnte, die er selbst im Kopf herumtrug. Als ob sich die eigenen fixen Ideen wie ein innerer Filter vor die Augen geschoben hätten." (S. 88/89)


    9 von 10 Punkten