Die zitternde Frau - Siri Hustvedt

  • # Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
    # Verlag: Rowohlt Berlin Verlag GmbH; Auflage: 3 (16. Januar 2010)
    # Sprache: Deutsch


    Kurzbeschreibung
    Dies ist die Geschichte einer mysteriösen «Störung» und derjenigen, die von ihr befallen wurde: die bekannte New Yorker Schriftstellerin Siri Hustvedt.
    2003 starb ihr Vater, ein Universitätsprofessor. Fast drei Jahre später hält Hustvedt eine Gedenkrede auf ihn an seiner Alma Mater. Mitten in ihrer Ansprache befällt sie ein unkontrollierbares Zittern. Sie steht die Rede durch und wundert sich: Bühnenangst hatte sie vorher nie. Kurz darauf, bei einem Uni-Vortrag über ihre Schreibkurse für psychisch Kranke, wiederholt sich das Ereignis. Diesmal kann sie es nicht vor ihrem Publikum verbergen.
    Weder die Mediziner noch die Psychiater kommen zu einer aussagekräftigeren Diagnose als «Es müssen die Nerven sein». Hustvedt stellt fest, dass es klare Gesetze von Ursache und Wirkung im komplexen Wechselspiel von Geist, Psyche und Körper nicht gibt oder dass wir sie nicht kennen. Ihre Neugier ist geweckt. Bald erweitert sie ihre Aufzeichnungen zu einer mit zahlreichen Fallgeschichten illustrierten Historie und Typologie der psychophysisch bedingten Krankheitsbilder. Sie erforscht die psychische Disposition des modernen Menschen mitsamt ihren neurobiologischen Grundlagen und setzt sie in Bezug zu dem, was uns alle beschäftigt: Woher kommen wir, wohin gehen wir, wer sind wir?


    Über den Autor
    Siri Hustvedt wurde am 19.02.1955 in Northfield, Minnesota, als älteste von vier Töchtern eines norwegisch-amerikanischen Professors für Skandinavistik und einer norwegischen Einwanderin geboren. Nach dem Besuch des St. Olaf College in Northfield, das sie 1977 mit B.A. in Geschichte abschloss, arbeitete sie zunächst als Kellnerin. 1978 ging sie zum Studium nach New York. 1979 erwarb sie an der Columbia University den M.A. in Anglistik. 1986 wurde sie mit einer Arbeit über Charles Dickens ("Figures of Dust. A Reading of 'Our mutual friend'") zum PhD promoviert. Im Februar 1981 lernte sie den Schriftsteller Paul Auster kennen, den sie 1983 heiratete und mit dem sie einen Stiefsohn und eine Tochter hat. Heute arbeitet Siri Hustvedt als Schriftstellerin, Essayistin und Übersetzerin aus dem Norwegischen.


    Meine Meinung

    "Wahre Geschichten können nicht vorwärtserzählt werden, nur rückwärts."


    Als die bekannte amerikanische Schriftstellerin 2006 eine Rede auf ihren verstorbenen Vater hält, beginnt sie - nicht zum ersten Mal in ihrem Leben - zu zittern. Sie kann zwar weitersprechen und ihre Rede beenden, aber dieses Erlebnis hat sie so nachhaltig beeindruckt, dass sie in den nächsten Monaten versucht, das Phänomen der "zitternden Frau" auf einer physischen und psychischen Ebene tiefer zu ergründen.


    Dieser Erkenntnisprozess wird von Hustvedt in "Die zitternde Frau" beschrieben. Dabei liest sich das Buch größtenteils wie eine wissenschaftliche und zum Teil auch medizinische Abhandlung. Er führt sie von einer altertümlichen Vorstellung der Hysterie bis in die moderne Hirnforschung.


    Zitat

    "Es kommt mir so vor, als bedeute rückwärtsgehen manchmal vorwärtsgehen. Die Suche nach der zitternden Frau führt mich vom einen zum anderen, weil es letzten Endes auch eine Suche nach Perspektiven ist, die erhellen könnten, wer und was diese zitternde Frau eigentlich ist. Meine einzige Gewissheit besteht darin, dass ich mich nicht damit zufriedengeben darf, durch ein einziges Fenster auf sie zu blicken. Ich muss sie von allen Seiten betrachten."


    Schwierig für mich persönlich war die Tatsache, dass Hustvedt an vielen Stellen abschweift und viele ihrer medizinischen Exkurse zum Teil ziellos wirken. Ich denke aber, dass "Die zitternde Frau" sicherlich ein interessantes Buch für Fans von Siri Hustvedt sein kann, da man vieles aus ihrem Leben und über ihre Krankheit erfahren kann. Man kann jedoch nicht erwarten, einen Prosatext zu lesen. Auf 200 Seiten versammelt Hustvedt beinahe 200 Fußnoten und die wissenschaftlichen Passagen können zum Teil abschreckend und auch langatmig und verwirrend wirken.


    Mir hat das Buch im Großen und Ganzen gut gefallen. Siri Hustvedts Art und Weise ihre eigene Krankheit zu hinterfragen ist interessant und mitunter auch unterhaltsam mitzuverfolgen.


    Zitat

    "Intellektuelle Wissbegier über die eigene Krankheit entsteht mit Sicherheit aus dem Wunsch nach deren Beherrschung. Wenn ich mich nicht heilen konnte, konnte ich wenigstens anfangen, mich selbst zu verstehen."


    7 Punkte.

  • Vielen Dank buzzaldrin für deine ausführliche Rezi. :wave
    Ich hab´s zwar schon auf dem SuB liegen, schiebe es im Moment aber eher bißchen nach hinten, weil "auf größtenteils wissenschaftliche und medizinische Abhandlungen" steht mir im Moment nicht so der Sinn.

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Die in Deutschland wie Belletristik vermarktete Bestandsaufnahme der rätselhaften Zitterphasen, die Siri Hustvedt in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Tod ihres Vaters erlitt, lässt sich nur schwer einem Genre zuordnen und könnte deshalb viele Leser enttäuschen. Die Störung der amerikanischen Autorin lässt sich zunächst weder der Neurologie, der Psychiatrie noch der Psychologie zuordnen. Siri Hustvedt hat sich lange vor dem gravierenden Einschnitt in ihr Leben als öffentliche Person intensiv mit Philosophie und Psychologie beschäftigt. Als Patientin und Autorin begibt sie sich auf einen intellektuellen Exkurs, der diverse interdisziplinäre Berührungspunkte der beteiligten Wissenschaften abarbeitet. Mit zahlreichen Quellenangaben referiert Hustvedt erfreulich kurz und verständlich über Grenzbereiche zwischen Erkrankung, Störung, Trauma, Erinnerung, Trauer, Träumen und dem Unbewussten, auch über Randzonen, in denen Empfindung, Denken, Lesen und Sprechen sich berühren. In ihren Schreibkursen mit Psychiatriepatienten nähert sie sich dem Thema Erinnern aus einer weiteren Perspektive an.


    Hustvedts rein intellektuelle Auseinandersetzung mit einer Lebenskrise lässt bereits zu Begin des Buches vermuten, dass es der so eloquenten wie übersensiblen Patientin schwer fallen wird, ihre "Störung" als Teil ihrer Biografie anzunehmen und als Chance zum Innehalten zu begreifen. Für eine Schriftstellerin haben Erinnerungen und Erinnerungsorte eine besondere Bedeutung und es ist sicher kein Zufall, dass Hustvedt sich kurz vor dem Tod ihres Vaters mit dessen Briefen und Erinnerungen beschäftigte, um sie in ihrem nächsten Roman zu verarbeiten.


    Krankheitsgeschichten von finanziell gutsituierten Personen sind für Normalbürger meiner Einschätzung nach selten hilfreich, weil bei ihnen eine unklare Störung wie die hier geschilderte nicht automatisch die finanzielle Existenz bedrohen muss. Lesern von Hustvedts Romanen und Liebhabern von Biografien empfehle ich das Buch nicht. Wer sich für Grenzbereiche wie den zwischen Psychoanalyse und Neurobiologie interessiert und geringe Berührungsängste gegenüber medizinischer Fachsprache hat, könnte in Hustvedts Buch fündig werden. Die Stichworte Hochsensibilität und Migräne kreisen meiner Ansicht nach einen möglichen Interessentenkreis für das Buch am treffendsten ein.


    In kleinen Dosen gelesen kann Siri Hustvedts Suche nach der zitternden Frau in ihr durchaus ein Gewinn sein.


    7 von 10 Punkten

  • Ich stecke noch mittendrin in der zitternden Frau und möchte mich jetzt schon Buchdoktors Auffassung anschließen, dass die Zuordnung zum Thema Belletristik nicht wirklich passend ist.
    Hustvedt geht auf eine Entdeckungsreise, um die bei ihr aufgetretene Krise wenigstens verstehen zu lernen. Offensichtlich hat sie sich ganz ausführlich mit Fragen von Psychologie, Neurologie, Psychotherapie und allem, was man mit Hirnforschung bezeichnet, beschäftigt.
    Dadurch ist das Buch eine eigenartige Mischung aus eigenen Erlebnissen und Darstellung von Forschungsergebnissen.
    Für alle, die sich bereits mit den genannten Themen beschäftigt haben, eröffnet das Buch einen gerade durch seine Subjektivität interessanten und reizvollen Überblick.


    Jetzt lese ich das Buch erstmal weiter.