Sultana, Tochter der Fremde – Malika Mokeddem

  • Verlag: Knaur, 216 Seiten


    Originaltitel: L interdite
    Übersetzung aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Bettina Runge


    Kurzbeschreibung:
    Die Algerierin Sultana, die vor vielen Jahren ihr Heimatdorf Ain Nehkla verließ und heute als Ärztin in Montpellier arbeitet, kehrt in ihre Heimat zurück, nachdem sie einen Brief von Yacine, den sie einst liebte, erhalten hat. Doch sie muss erfahren, dass Yacine, der ebenfalls Arzt war, tot ist. Obwohl sich Sultana geschworen hat, die Angst und die Bedrohung, unter der die algerischen Frauen leben, hinter sich zu lassen, beschließt sie, Yacine für einige Zeit als Arzt zu ersetzen.
    Gleichzeitig trifft in ihrem Dorf Vincent ein, ein junger Mann, der auf der Suche nach einer Algerierin ist, deren Niere ihm gespendet wurde. Sultana und Vincent verlieben sich ineinander, doch im Algerien der Fundamentalisten darf es eine Frau, die frei über ihre Liebe und ihren Körper verfügt, nicht geben.


    Über die Autorin:
    Malika Mokeddem (*1949), als Tochter von Nomaden in der algerischen Wüste geboren, studierte in Oran und später in Paris Medizin. Seit 1979 ist sie als Ärztin in Montpellier tätig. In ihren Büchern entwirft sie ein facettenreiches, kritisches Panorama der algerischen Gesellschaft.


    Mein Eindruck:
    Sultana – Tochter der Fremde ist ein exotischer Titel und wird auch so vermarktet.
    Tatsächlich ist das Buch exotisch, schließlich geht es in eine Wüstenstadt in Algerien.
    Doch wildromantisch geht es hier nicht zu. Es ist stattdessen eine kritische Abrechnung der Autorin mit ihrem Heimatland und dessen Zustand unter der Herrschaft der Islamischen Heilspartei FIS.


    Zitat aus Seite 151: SIE. Alle Leute hier sagen SIE, wenn sie von der FIS sprechen. SIE, das sind Heuschrecken, Pocken und Typhus, Krebs und Lepra, Pest und Aids des Geistes. SIE, das ist diese endemische Krankheit, die innerhalb der Grenzen der Armut und der Verzweiflung entsteht und sich in der Unwissenheit und dem Fatalismus des Landes einkapselt.


    So ist das Buch auch Tahar Djaout gewidmet, ein Schriftsteller, der von radikalen Islamisten ermordet wurde.
    Auch die zweite Widmung ist Programm: „Für die Gruppe Aicha, jene algerische Freundinnen, die Verbote ablehnen.“


    Eine literarische Anlehnung deuten die dem Buch vorgestellten Zitate an, die aus Fernando Pessoas Das Buch der Unruhe stammen.


    Zur Handlung:
    Aus Anlass des Todes des Arztes Yacine, reist Sultana nach 15 Jahren erstmals wieder in ihr Heimatland. Sie hatte Algerien aufgrund der frauenfeindlichen Einstellung des Landes verlassen und lebt jetzt in Frankreich und war einst mit Yacine befreundet. Sie ist ebenfalls Ärztin.
    Diese Arztthematik ist im Roman sehr gut beschrieben. Die Autorin hat ebenfalls Medizin studiert und als Ärztin praktiziert.


    Ein zweiter Erzähler, mit dem sich Sultana kapitelweise abwechselt, ist Vincent, ein Franzose, der eine Nierentransplantation bekommen hat. Die gespendete Niere stammte von einer tödlich verunglückten Algerierin. Er fühlt sich daher mit dem Land verbunden und besucht es. Hier trifft er schnell Sultana. Eine Beziehung beginnt.


    Während der Anfang des Romans selbstreflexiv gehalten ist, dominieren jetzt langsam philosophische und gesellschaftskritische Diskussionen. Die Dialoge sind hervorragend, auch wenn manche wenig glaubhaft sind. Zum Beispiel wunderte es mich, dass Sultana nach über 10 Jahren Abwesenheit so schnell intensive und intime Diskussionen mit einem Freund von Yacine führen konnte. Ich hätte erwartet, dass sie sich erst wieder annähern müssten.
    Dann gibt es noch ein junges Mädchen, das gesellschaftskritisch auf einem sehr hohen Niveau diskutiert. Das zum Teil noch auf Französisch.
    Dennoch sind gerade diese Diskussionen sehr informativ und interessant.


    Obwohl Yacine bereits vor Anfang des Romans verstorben ist, bleibt er eine wichtige Figur und ein Bindeglied zwischen den Figuren.


    Sultana vertritt ihren toten Freund im Krankenhaus als Ärztin, aber die drohende Gewalt der Extremisten ist allgegenwärtig. Es wird eine Frage, ob sie bleiben oder nach Montpellier zurückkehren soll.


    Das Buch ist harte Kost, aber gut geschrieben und leicht lesbar. Es wird mir wegen der Thematik, die durch emotionale Dialoge getragen wird und wegen des leicht melancholischen Tons in guter Erinnerung bleiben.