Verlag: Donata Kinzelbach
2011
Originaltitel: Entendez-vous dans les montagnes
Aus dem Französischen von Christine Belakhdar
Kurzbeschreibung:
Eine Zugfahrt nach Marseille wird eine Reise zur Wahrheit über den Algerienkrieg. Im Abteil konfrontiert sind ein älterer Franzose, eine Algerierin, die wegen des Bürgerkriegs in ihrer Heimat in Frankreich lebt, und ein junges Mädchen, Tochter von Algerien- Franzosen, die ihr gegenüber den Unabhängigkeitskrieg stets totgeschwiegen hatten. Die Gespräche führen zurück ins Jahr 1957. Der Vater der Algerierin starb unter der Folter der Franzosen. Der ältere Herr diente als Rekrut am Ort dieser Grausamkeiten. Man hatte das alles ausgeblendet. Aber die Tatsachen sind stärker, werden bedrängend. Ein Bericht von höchster Intensität, frei von Rachegedanken.
Das Buch ist ein wichtiges Dokument humaner Gesinnung.
Über die Autorin:
Die Algerierin Maïssa Bey (*1950) lebt heute in Sidi Bel Abbès. Studium der Romanistik in Algier, danach Lehrtätigkeit. Sie hat bewusst ihr Land Algerien nicht verlassen. 2011 erhielt sie den renommierten Preis „Officier des Arts et des Lettres“. Nach dem Novellenband Nachts unterm Jasmin ist dies ihr zweites Buch in deutscher Übersetzung.
Mein Eindruck:
Nachdem letztes Jahr die algerische Autorin Maissa Bey mit dem faszinierenden Kurzgeschichtenband „Nachts unterm Jasmin“ erstmals in deutscher Sprache übersetzt wurde, folgt nun ein kurzer, aber stimmungsvoller Roman.
Von 1954 bis 1962 währte der Algerienkrieg, dessen Aus- und Nachwirkungen bestimmter Ereignisse in diesem Buch den thematischen Hintergrund bilden.
Die Handlung dieses Romans wirkt unspektakulär, einige Menschen sitzen durch Zufall zusammengeführt in einem Zugabteil auf der Fahrt nach Marseille. Es sind eine Algerierin im Exil, ein alter Franzose, der einst als Soldat im Algerienkrieg war und eine junge Frau, deren französischer Großvater in Algerien geboren wurde. Jeder dieser unterschiedlichen Menschen trägt versteckte Emotionen mit sich herum. Durch diese Anordnung entsteht ein kammerspielartiges Gefühl, bei dem die Autorin die Gedanken und Gespräche der drei Protagonisten beschreibt. Für den Leser sind dabei die Wechselwirkungen wichtig, da so die Geschichte vertieft wird. Durch einen kunstvollen Stil erreicht die Autorin eine notwendige Komplexität. Es kristallisiert sich schließlich das eigentliche Thema heraus, das auch übergreifend Gültigkeit hat: Ein Schweigen über vergangene Greueltaten, macht es unmöglich, Verwundungen zwischen den Nationen endgültig verheilen zu lassen.
Da es einen autobiographischen Bezug gibt, sind am Anfang und am Ende des Buches Fotos zu sehen, z.B. von dem Vater der Autorin.
Es ist nahezu unmöglich, von der Tiefe und Wirkung von Maissa Beys Sprache unberührt zu bleiben. Aufgefangen wird der Leser am Ende von einem informativen und intelligenten Nachwort von Christine und Radouane Belakhdar.
Maissa Bey ist eine hervorragende Autorin, deren Themen Relevanz haben und es bleibt, dringend auf weitere Übersetzungen zu hoffen!