Eigentlich gehört dieses Buch nicht hierher - aber nein, es gehört genau hier her, und nirgends sonst, denn in seiner letzten Konsequenz - wenn es ein Leser WIRKLICH LIEST und WIRKLICH ERNST nimmt - zieht es auf Kochen & Lifestyle ab, bei Gesundheit ist es falsch, und für Wissenschaft ist es zu flockig und laientauglich geschrieben.
Eigene Meinung
(ich weiss, die ghört eigentlich am Schluss, aber der Logik des hiesigen, erzählerischen Duktus nach, ghört sie nach vor, also zäumen wir das Pferd am Schwanz auf):
Schon während der ersten Erwähnung der wissenschaftlichen Parteiung der von Hengstschläger skeptisch beäugten Immortalisten habe ich mich an die großgriechische Geschichte erinnert, in der Apollon, der Gott der Weisheit und der Heilung, einer seiner meistgeliebten Priesterinnen und Prophetinnen, der Sibylle von Cumae, ein Charisma, ein göttliches Geschenk, wählen lässt. Sibylle, deren Geist sich bereits in Visionen großartiger Zukünfte ergangen ist, weiss sofort, was sie will: Sie will unsterblich sein.
Und Apollon gibt ihr die versprochene Gabe der Unsterblichkeit. Allerdings zeigt sich nach einem Menschenleben, dass Sibylle nicht sehr klug in der Wahl ihrer Worte war, und dass die Gaben der Götter zweischneidige Schwerter sind, denn sie hat vergessen sich zusammen mit der Unsterblichkeit auch zugleich die ewige Jugend zu wünschen, und so sitzt in den Höhlen bei Cumae, von den Dienerinnen ihres Kults versorgt, ein altes, gebeugtes, blindes und zahnloses und wohl auch schwerhöriges Mütterlein, das dem Frager auf seine Zukunftssorgen nur wirre, unverständliche Antworten geben kann.
Diese Vision liess mich bis an den Schluss der Lektüre nicht mehr los, denn ich habe im letzten Jahr meine Großtante, 96, und meine Urgroßcousine, 106, verloren, und so absurd es klingt: es war bei beiden eindeutig vor der Zeit, denn geistig und allgemein körperlich hat ihnen eigentlich nichts gefehlt: erstere hatte zwar einen Schlaganfall, von dem sie sich jedoch erstaunlich gut gefangen hatte, und die ältere hat sich von dem anstrengenden Ersetzen ihrer Hüfte nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht mehr erholt. Auch drei meiner Urgroßeltern, die alle um/jenseits 90 verstarben, waren bis in den letzen Tag hinein geistig brauchbar, von dem zuletzt wegen Parkinson und extrem arthritischen (prä-prothetischen) Gelenken bettlägrigen Urgroßvater soll die Beobachtung stammen, dass, wenn er zusätzlich auch verblödet wäre, ihm wahrscheinlich nicht auffiele, wie hinfällig er geworden sei, und dass er in der Scheisse liege, aber so wisse er noch, wann er von seinen Töchtern und Mägden gewaschen werden wolle, und das bitte, wenn’s grad geht und nicht im Haushaltsablauf stört: JETZT und SOFORT. Das Lachen über diese bittere Erkenntnis des Alters bleibt einem angesichts von Pflegeheimen im Hals stecken, man wünscht sich fast Demenz, denn dieser fällt der schwindende Körper nicht so zur Last, wie dem wachen Geist.
Wir wollen ja alle möglichst lange jung und auch rüstig bleiben, und alle wie meine 106-jährige Urgroßcousine auch trotz AMD noch die meisste Zeit über ganz allein in den altgewohnten, eigenen vier Wänden wohnen.
Und wer liest zur Entspannung nicht gern Geschichten von unsterblichen, und unendlich schönen Elben und Vampiren? (Um darin zu erfahren, dass diese tollen Elben und Vampire dann an gegenseitiger Aggression, oder völlig idiotischen Unfällen sterben, oder sich bei Verlust ihrer Gefährten im Weltschmerz verzehren, oder an der Zeit närrisch und albern wie Kinder werden, weil diese sich ewig wandelnde Welt nicht für Unsterbliche gedacht ist, was uns Sterbliche wieder mit unserem terminierten Dasein versöhnt.)
Als ich den Titel dieses Buches sah, wirkte in mir ein darob leicht erklärlicher Sog und ich musste danach greifen.
In dem Buch geht es um Machbarkeit und Unmachbarkeit von Jugend- und Lebensverlängerung und Unsterblichkeit. Aus fundierter Quelle erfahren wir in flüssiger und erheiternder Schreibe über Genabschnitte, Stammzellenforschungen und was sie uns bringen können und könnten, ohne als Laie mit Fachchinesisch überanstrengt zu werden.
Die darin angeführten Rezepte zum Gesundbleiben und Älterwerden sind hinlänglich aus den diversen Beilagen aller Zeitungen und Zeitschriften bekannt, wer sich 2010 nicht dran hält, ist selber schuld. Für den Leser, der rasch über Gesundheitsbeilagen hinwegblättert, und auch nicht Spektrum oder Bild der Wissenschaft abonniert hat, und an Gedächtnismechanismen der Verdrängung unbequemer, eß&genußtechnischer Wahrheiten leidet, tun sich hier in vereinfachter, pointierter und geballter Form eventuell neue Horizonte und Lebensregeln auf.
Leider jedoch, so wie ich es für mich seh, ist bei der zumeist vegetarischen und spartanisch-nüchtern Lebensführungstraditionen meiner Sippe, an die ich mich - mit gewissen gieranfall- und bequemlichkeitbezogenen Abstrichen - weitgehend halte, bei mir nicht mehr viel nach hinten auszudehnen. Selbst wenn man mich mit irgendeinem Stammzellencocktail in 50 Jahren noch für ein, zwei (unwahrscheinlichst drei) weitere Jahrzehnte aufpäppeln und dopen könnte, ist mein Kas mit um die 40 scho längst gessen, denn mir knabbert Verfall und Tod schon am Gebein, ich kann wie der Autor nur noch gegen die Offensichtlichkeiten kämpfen, obwohl besonders galante Leute mir sagen, sie würden mich auf um die 27/30 schätzen. – Aber, liebe Miteulen: Hand auf’s Herz: 110 klingt zwar nett, aber nur, wenn’s mir dabei so gut geht wie meiner Urgroßcousine, aber dafür müsste ich mich täglich spaziertechnisch zwei Stunden von meiner Chouch schwingen, und das grenzt an Unwahrscheinlichkeit, denn wer liest alle meine Bücher, bevor mich die in meiner Familie grassiernde AMD erreicht? Gebt mir was wirklich Wirksames gegen AMD (Broccoli und Lutein ess ich schon), und ich schwing mich eventuell von der Chouch und meinen Büchern weg. Und sogar meine 106-jährige Urgroßcousine, die zeitlebens einen weiten Bogen um jeden Arzt gemacht hat, hat sich bei der Aussicht auf längere Rehabilitation und dem drohenden Pflegeheim und der darob empfindlichen Störung ihres seit 60 Jahren gewohnten Tagesablaufs gedacht: Wozu eigentlich 111 werden, wenn sich dafür alles ändern muss, was so bequem war? und ist friedlich entschlafen.
Der Autor, Markus Hengstschläger, geboren 1968 und noch immer diesseits irdisch krabbelnd, Professor der Medizinischen Genetik und Grundlagenforscher an der Uni Wien, und Radiodoktor auf Ö1, vom Typus des Mühlviertler Kartoffelmenschen und damit vergeblich sportlich ringend und fressgiertechnisch hadernd, glaubt nicht an Unsterblichkeit. Schon allein, weil - selbst wenn man körperlich unsterblich wäre - damit die Wahrscheinlichkeit, in den Jahrtausenden, die da kömmen mögen bei einem blöden, tödlichen Unfall zu sterben (oder jemandem, der es einem missgünstig neidet zufällig in die Kugeln/ins Messer/in den Holzpflock zu laufen), rein mathematisch bald auf 100% anstiege. (Von den weltüberbevölkerungstechnischen Konsequenzen her ganz zu schweigen, aber um Unsterblichkeit haben zu dürfen, die sich wirklich gesamtmenschheitlich rechnet, müssten wir erst einmal das nähere All kolonialisieren, und da ists noch weit hin.)
Der Autor ist uns (mir zumindest) schon aus Die Macht der Gene bekannt, die ich aus irgendeinem Grund hier nicht rezensiert habe, aber die auch leicht und unterhaltsam zu lesen sind, und die in sich selbst die beste Empfehlung zum Lesen dieses Buches waren. (Sofern sie jemals die Runde durch meine Sippe wieder zu mir zurück schaffen, werde ich die fehlende Rezi hier nachholen.)