Als die Menschen verstummten - Christel Wachowski

  • Moin, ich würde heute gern mal eine Biografie vorstellen. Aber eins gleich vorneweg: Es handelt sich um ein Buch, das meine Großmutter bei BOD rausgebracht hat.


    Als die Menschen verstummten - Christel Wachowski
    "Erinnerungen an die Flucht aus unserer Heimat Danzig."


    Kurzbeschreibung:
    März 1945. Die Rote Armee steht vor den Toren Danzigs. Mit ihrer Familie begibt sich die vierzehnjährige Christel auf einen Treck ins Ungewisse. Eindrücklich schildert sie, wie die Menschen auf der Flucht das Sprechen verlernen, erzählt von ihrer verlorenen Heimat, von der Internierung in Dänemark und der Zeit als Flüchtling in Süddeutschland.
    »Als die Menschen verstummten« ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte für diejenigen, die ähnliche Erlebnisse gemacht haben, ebenso wie für deren Nachkommen.


    Meine Meinung:
    Wie bereits erwähnt bin ich als Kritiker voreingenommen, da es sich um die die Geschichte meiner eigenen Vorfahren handelt. Darüber hinaus habe ich das schmale Büchlein auch noch lektoriert.


    Sicherlich ist das Buch auch grundsätzlich von einer anderen literarischen Größe, als beispielsweise eine Danzig-Erinnerung von Günther Grass. Dafür ist die Autorin zu preußisch korrekt und verliert sich gelegentlich in pingelig genauen Detailbeschreibungen. Was mich auf der anderen Seite berührt hat – und was mir vorher noch nicht bewusst war – waren die Schilderungen, wie die Flüchtlinge auf ihre Odyssee im wahrsten Sinne des Wortes das Sprechen verlernt haben.
    Meine Großmutter selbst hat über ihre Erlebnisse jahrzehntelang nicht gesprochen. Erst im Alter musste es plötzlich raus. Ähnliches Erfahrungen mit ihren Großeltern berichten mir zur Zeit viele Leute. In sofern glaube ich ein spannendes Thema.

  • Meine Mutter und Ihre Familie ist zum Kriegsende von Russischen Einheiten aus Stettin vertrieben worden. Meine Mutter war damals 9, muss also noch Erinnerungen haben und hat bis heute nie darüber gesprochen. Wenn man sie fragt, reagiert sie unwirsch. Sie will sich nicht erinnern. Die ältere Schwester meiner Mutter hat die Erlebnisse auf Anfrage durch meinem Vater in einem mehrseitigen Schreiben festgehalten. Nachdem ich das gelesen habe, weiß ich, warum die Erinnerungen daran verdrängt werden. Bei der Flucht übers Haff sind meine Urgroßmutter, Großmutter un die Kinder damals nur knapp mit dem Leben davon gekommen. Sie sahen, wie mein Urgroßvater ums Leben kam. Bei meiner Großmutter haben diese Erlebnisse dafür gesorgt, dass es sie nie lange an einem Ort gehalten hat. Köln war die letzte Station einer ganzen Reihe von Umzügen. Bis sie sich letztendlich in Köln niedergelassen hat, ist sie mit Kind und Kegel siebenundzwanzig mal umgezogen.


    Ich werde das Büchlein meinem Vater schenken, ich denke, er wird sich sehr dafür interessieren.
    Er war mit seiner Familie damals ebenfalls auf der Flucht. Einige Erlebnisse kannte ich, die haben meine Oma und er mir des Öfteren erzählt. Von anderen wiederum habe ich erst vor zwei Jahren erfahren. Er hat all seine Erlebnisse aufgeschrieben.

  • Ja, diese Erlebnisse waren für alle Menschen, die auf der Flucht waren sehr prägend. Und nur weil man jahrzehntelang darüber geschwiegen hat, heißt ja noch lange nicht, dass man die Ereignisse auch verarbeitet hat.


    Sehe gerade, dass es auch ein etwas wissenschaftlicheres Buch zum Thema gibt: "Die vergessene Generation".
    Zitat aus dem Klappentext: "Sie haben den Bombenkrieg miterlebt oder die Vertreibung, ihre Väter waren im Feld, in Gefangenschaft oder sind gefallen. Doch diese Erinnerungen haben die Kriegskinder bislang in sich verschlossen gehalten. Statt dessen haben sie nach vorn geblickt, Deutschland wiederaufgebaut, eine Familie gegründet. Heute sind sie in Rente, die eigenen Kinder längst aus dem Haus, und zum ersten Mal im Leben schauen sie zurück. Sie fangen an zu begreifen, daß vieles in ihrem Leben auf ihre Kriegserlebnisse zurückzuführen ist."

  • Meine Großeltern mütterlicherseits mussten im Jugendalter aus Schlesien fliehen. Leider habe ich nie etwas darüber erfahren können, da meine Großmutter sehr früh starb und ich zu meinem Großvater keinen Kontakt habe. Das einzige, was ich weiß, ist, dass die damals zweijährige Schwester meines Großvaters die Flucht nicht überlebt hat. Sie ist erfroren.
    Ich mag mir gar nicht vorstellen, was für eine schlimme Zeit des gewesen sein muss. :-(

  • Als die Menschen verstummten – Christel Wachowski



    Kurzbeschreibung:
    März 1945. Die Rote Armee steht vor den Toren Danzigs. Mit ihrer Familie begibt sich die vierzehnjährige Christel auf einen Treck ins Ungewisse. Eindrücklich schildert sie, wie die Menschen auf der Flucht das Sprechen verlernen, erzählt von ihrer verlorenen Heimat, von der Internierung in Dänemark und der Zeit als Flüchtling in Süddeutschland.»Als die Menschen verstummten« ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte für diejenigen, die ähnliche Erlebnisse gemacht haben, ebenso wie für deren Nachkommen.


    Über die Autorin:
    Christel Wachowski, geboren 1930 in Danzig, lebt heute in Mannheim.


    Meine Meinung:
    Obwohl es sich um Danzig handelt, und nicht Schlesien, aus dem meine Großmutter flüchten musste, interessiert mich eine Beschreibung der damaligen Zeit und die Flucht sehr.


    Der Stil des Buches ist relativ schlicht, aber passend und besteht vorwiegend aus kurzen Sätzen. Eine gute Wahl, nicht zu einem verkünstelten Ton zu greifen, die Thematik bringt selbst genug hinein.


    Es gibt von Anfang des Textes die bedrohliche Stimmung, die Gefahr durch die aufmarschierenden Russen, eine spürbare Beklemmung.


    Zu Anfang beschreibt die Autorin ausführlich über ihre ehemalige Heimat und die Zeit ihrer Kindheit. Es gibt sogar humorvolle Szene, wie die Szene mit dem wütenden Ganterich, der das Mädchen zwicken wollte und es gibt familiäre Zuneigung, aber auch eine deutlich preußische Erziehung, die Gefühlsäußerungen wie z.B. öffentliches Weinen verurteilt und so eigentlich schon früh zu einem Verstummen, zum Schweigen führt.
    Trotzdem ist spürbar, wie die Ausgrenzung der Juden oder Hitlers Triumphfahrt durch Danzig dem Mädchen missfällt, doch das Wegsehen ist praktisch verordnet.


    Dann beginnt die Flucht, die auf einem Schiff mit ca. 4000 Flüchtlingen fortgesetzt wurde. Praktisch alle Besitztümer mussten zurückgelassen werden. Viele überlebten die Strapazen nicht.


    Diesem Ablauf kann man als Leser gut folgen, angereichert immer wieder durch Rückblicke in die Danziger Zeit.
    Erst Ende der 70ziger besucht Christel Wachowski für einige Tage noch einmal Danzig.


    Im wirklich sauber aufbereiteten Anhang gibt es eine Karte von Danzig und viele Fotos von heute und damals, sogar ein Rezept ist enthalten.