Brigitte Glaser - Rheinblick

    • Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
    • Verlag: List Hardcover; Auflage: 2. (22. Februar 2019)
    • Sprache: Deutsch
    • ISBN-10: 3471351809
    • ISBN-13: 978-3471351802


    Klappentext:

    »Selten wurde so spannend und sprachlich präzise über die Gründungszeit der Bundesrepublik geschrieben.«

    Verena Hagedorn, Barbara, über Brigitte Glasers Roman Bühlerhöhe


    Bonn ist in den Tagen nach der Wahl ein brodelndes Durcheinander, es geht um Positionen und Posten, um Versprochenes und Verrat.

    Hilde Kessel hat wieder einmal den Wahlausgang richtig vorhergesagt. Kein Wunder, sie sitzt an der Quelle. Ihr Lokal Rheinblick liegt genau gegenüber vom Bundestag. Alle kommen zu ihr, alle reden mit ihr und schätzen ihre Verschwiegenheit. Nur einmal hat sie diese verletzt, und der Erfolg Willy Brandts fördert diese alte Geschichte wieder zutage. Sonja Engel dagegen hat wenig Erfahrung mit Politik, doch plötzlich soll sie den Kanzler behandeln – und niemandem davon erzählen. Auch sie gerät unter Druck. Beide Frauen sind erpressbar. Für Hilde steht ihre Existenz auf dem Spiel, und Sonja will ihre kleine Schwester beschützen. Wie werden sie sich entscheiden?



    Meine Meinung:

    1972, Willy Brandt mit seiner SPD wurde gerade nach seinem erfolgreich abgewehrten Misstrauensvotum erneut zum Bundeskanzler gewählt. Ein wahnsinniger Wahlerfolg und jeder will ein wenig davon abhaben. Doch gerade jetzt versagt Willy Brandts Stimme und der Kampf um Ämter beginnt.


    Wir verfolgen diese Geschichte nicht aus den Augen der Politiker, sondern von drei, vier anderen jungen Menschen, die ganz unterschiedliche Einblicke in die Politik werfen können. Zum einen haben wir die Wirtsbesitzerin Hilde, die eine florierende Gaststätte direkt im Bonner Regierungsviertel betreibt und worin die amtierenden Politiker ein- und ausgehen. Natürlich erfährt Hilde dadurch eine Menge Insiderinformationen. Zum anderen gibt es den Student Max, der zählen Unterhaltungszahlungen seines Vaters, der für die Politik arbeitet, mit der Arbeit als Taxifahrer aufbessert. Er hat sowohl durch seinen Vater als auch durch seine Arbeit einen Einblick ins politische Tagesgeschehen. Dann gibt es noch die Logopädin Sonja, die Willy Brandt helfen soll, seine Stimme wieder zu finden und eine forsche Journalistin, die für eine Reportage zu dem neuen Politiker Schäuble schreiben soll.


    Anfangs haben mich die ganzen Beschreibungen und Verzwickungen der Politik verwirrt. Es gab einige Namen, die mir bekannt vorkamen: Willy Brandt, Helmut Schmidt, Wolfgang Schäuble (der damals witzigerweise noch vollkommen unbekannt war, da seine erste Amtszeit angesprochen wird). Aber viele, viele Namen haben mir auch überhaupt nichts gesagt - hinzu kommt noch, dass ich von der Politik dieser Zeit eigentlich gar keine Ahnung hatte. Umso spannender war es für mich, in diese Zeit abzutauchen und das Ränkespiel zu verfolgen. Ziemlich schnell konnte ich dann auch durchsteigen und die Entwicklungen mitverfolgen.


    Gespickt wird die Geschichte mit sehr viel Lokalkolorit, was mir persönlich sehr gut gefallen hat. Ich selbst habe drei Jahre in Bonn gewohnt, als Bonn aber nur noch Bundestadt war. Ich konnte dennoch viel wieder erkennen und fand es umso spannender ein Bonn beschrieben zu bekommen, in der die Stadt so voller Politik und Hauptstadt war.

    Ich fand auch den eingestreuten Mordfall spannend und die Schilderungen von Willy Brandt und die Berichte über Helmut Schmidt. Die Geschichte umfasst eine Zeitspanne von nur eine Woche und ich hätte niemals gedacht, dass so viel Spannendes und Wichtiges in einer Woche abgehandelt werden kann, aber so war. Das Buch war also ausgesprochen kurzweilig. Auch die Charaktere haben mir gut gefallen.


    In einem Nachwort erklärt die Autorin noch, welche Fakten überliefert sind und welche von ihr dazu erfunden wurden.


    Also für mich ein tolles Buch, dass mich durch das hauptstadtliche Bonn wandern ließ mit ein wenig Krimi-Spannung mit gelungener Politikatmosphäre!


  • Politiker aller Couleur kommen gerne zu Hilde Kessel ins Rheinblick. So erfährt sie eine ganze Menge Geheimnisse, hält sich aber mit ihrer eigenen politischen Meinung zurück.

    Willy Brandt wird 1972 bei der vorgezogenen Wahl wiedergewählt. Aber dann versagt seine Stimme und in der Klinik auf dem Venusberg versucht die junge Logopädin Sonja Engel Brandt zu helfen.

    Als es einen Untersuchungsausschuss geben soll, der die Aufgabe hat zu prüfen, ob Stimmen gekauft wurden, geraten die beiden Frauen in ein Ränkespiel der Politik. Beide könnten viel verlieren – wie werden sie sich entscheiden?

    Ich mag den Schreibstil der Autorin und das Thema hat mich gleich angesprochen. Die Perspektivwechsel sorgen dafür, dass man ein umfassendes Bild bekommt. Dazu gibt es einige Nebenschauplätze.

    Die Geschichte ist komplex und ich denke, dass das Buch einfacher zu lesen ist, wenn man die geschichtlichen Hintergründe kennt. Als Rheinländer habe ich viele der Örtlichkeiten vor Augen gehabt und auch eine Menge Personen waren gleich präsent, da ich die Zeit miterlebt habe.

    Die Charaktere sind sehr gut und authentisch dargestellt. Mit Hilde wurde ich zwar nicht so ganz warm, aber sie agiert sehr geschickt in ihrem Umfeld. Ihre Verschwiegenheit wird von den Gästen geschätzt. Sonja war mir sympathischer. Sie hatte es weder in der Familie leicht, noch in ihrem Job. Aber sie hat einen Traum, möchte eine eigene Praxis als Logopädin aufmachen. Auch die ehrgeizige Journalistin Lotti hat mir gut gefallen.

    Als ein junges Mädchen ermordet wird, gibt es zahlreiche Verdächtige, die sogar in Regierungskreisen zu finden sind.

    Die Bundesrepublik ist 1972 noch recht jung und die Hauptstadt hieß damals noch Bonn. Man wollte nach den Erfahrungen, die man gemacht hatte, einen besseren Staat aufbauen. Dabei läuft aber so manches nicht ganz rund.

    Aus Fiktivem und historisch Belegtem ist eine spannende Geschichte mit interessanten Persönlichkeiten geworden.

    Ich kann dieses Buch nur empfehlen.


    10/10

  • Bonner Regierungsnähe

    Von Brigitte Glaser habe ich schon Bühlerhöhe gerne gelesen. Da musste ich den neuen Roman „Rheinblick“ unbedingt lesen. Der Stil ist wieder realistisch und fesselnd.


    In diesem Roman geht es um ein paar Tage ab 18. November 1972 in Bonn. Der Rheinblick ist ein Lokal im Regierungsviertel. Die Wirtin ist Hilde Kessel, sie wird von einem dubiosen Regierungsangestellten ausgefragt, da sie Schulden hat, ist sie ein leichtes Opfer.


    Dann ist da die Logopädin Sonja Engel, deren Patient Willy Brand ist. Der hat nach der Wahl seine Stimme verloren, der Krankenhausaufenthalt, von ihm ist belegt.


    Beide Protagonisten sind sympathisch


    Brigitte versteht es perfekt, bekannte Persönlichkeiten und erdachte Personen miteinander zu verknüpfen. Die politische Atmosphäre und die Intrigen sind gut mit zu erleben.

    Rheinblick ist ein interessanter Roman.

  • November 1972: spannende politische Tage im nebeligen Bonn. Brandt wird – für viele überraschend – als Kanzler wiedergewählt, verliert aber vorübergehend seine Stimme und kann die Koalitionsverhandlungen nicht leiten. Um diese historische Fußnote webt Brigitte Glaser ihren sehr atmosphärischen Roman.


    In den Mittelpunkt rückt sie dabei ganz unterschiedliche fiktive Personen. Zum einen die junge Logopädin Sonja, die sich engagiert um den Kanzler bemüht, aber mit ihren eigenen familiären Problemen kämpft; Wirtin Hilde, die als Chefin des titelgebenden Wirthauses den Politikbetreib in- und auswendig kennt; Max, der als taxifahrender Student so manches Geheimnis erfährt und schließlich Lotti, die als neugierige Journalistin die beschauliche Szenerie ganz schön aufwirbelt. Zwischen ihnen spinnt die Autorin mal mehr, mal weniger offensichtliche Querverbindungen und schafft es, aus vielen einzelnen Geschichten eine große ganze zu weben.


    Daneben arbeitet sie sehr viel historisches Personen und Details ein. Mir etwas zu viel, denn irgendwann hatte ich über die ganzen Politiker keinen Überblick mehr und so manches Gespräch klingt sehr bemüht. Hier wäre aus meiner Sicht etwas weniger mehr gewesen, schließlich ist es ein Roman und kein Sachbuch. Und wo wir schon beim Roman sind: auf mich wirkt das Buch größtenteils wie eine Beschreibung – Handlung ist wenig vorhanden. Auch hier hätte ich mir mehr gewünscht. Einzig Lotti mit ihrer überschwänglichen Energie und Neugierde auf die Hauptstadt Bonn bringt Leben ins Buch.


    Nichtsdestotrotz schafft es die Autorin bewundernswert gut, den Zeitgeist dieser doch sehr ereignisreichen Epoche zu charakterisieren. Und das noch dazu auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Durch die Verschiedenheit der Charaktere ist es ein sehr vielschichtiger Roman, in dem unterschiedliche Gesellschaftsschichten beleuchtet werden. Von daher ein wahrhaft „historischer Roman“.


    Fazit: Ein dichtgedrängter Roman mit vielen historischen Einzelheiten, der Zeit und Ausdauer erfordert. Lesenswert, auch wenn es mir etwas zu beschaulich war. Von mir 8 Eulenpunkte.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Mit Rheinblick gelingt es Brigitte Glaser wirklich gut, ein Portrait der Zeit zu zeigen: die frühen siebziger Jahre.

    Die politische Stimmung, die musikalischen Bezüge und die Stars dieser Zeit waren prägend für die Menschen dieser Zeit.


    Mit dem Studenten Max und der Wirtin Hilde Kessel werden glaubwürdige Figuren entwickelt. Am Besten hat mir aber die junge Logopädin Sonja gefallen, die 1972 den damaligen Bundeskanzler behandelte, als der seine Stimme verlor.


    Manche Aspekte der Geschichte kommen mir leicht verworren vor, aber die Details sind anscheinend alle gut recherchiert und stimmig. Das Nachwort war dann auch noch aufschlußreich.

  • Nach 150 Seiten habe ich beschlossen, das Buch abzubrechen.


    Die Autorin hat mit Sicherheit sehr intensiv und gut recherchiert und da sie auch ein Kind dieser Zeit ist, wurde die passende Musik passend ausgewählt und sie konnte die Atmosphäre der frühen 70er Jahre gut vermitteln. Die Politik dieser Zeit habe ich erlebt, deshalb war es für mich quasi ein Auffrischen. Aber der Roman war für mich eigentlich nur eine Aneinanderreihung von Politik mit einem zusammengewürfelten Haufen von Figuren und mir fehlte so die rechte Spannung - der Lesesog. :(

  • @ Richie: Das kann ich nachempfinden. Bei mir hat zwar die Lust am Lesen trotzdem überwogen, aber du hast recht: die Spannung und damit der Lesesog fehlt hier. Von daher ist es sicher besser, hier nicht weiterzulesen, denn es wird auch nicht anders.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Bonn im November und Dezember 1972: Kaum jemand kennt das Bonner Polittheater so gut wie Hilde Kessel, die Wirtin des „Rheinblicks“. Dort gehen Abgeordnete, Minister und Sekretärinnen ständig ein und aus. Doch dann wird Hilde selbst in das politische Ränkespiel verwickelt. Auch Sonja Engel gerät unter Druck. Die Logopädin kämpft in der Klinik auf dem Venusberg um die Stimme von Willy Brandt, die ihm noch in der Wahlnacht versagt ist. Beide Frauen sind erpressbar und die Situation spitzt sich weiter zu…


    „Rheinblick“ ist ein historischer Roman von Brigitte Glaser.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus einigen Kapiteln mit recht unterschiedlicher Länge. Bei den Titeln handelt es sich um Anklänge an Musikstücke. Eine schöne Idee. Die Kapitel sind wiederum in mehrere Abschnitte untergliedert. Diese sind mit einheitlichen Orts- und Zeitangaben gekennzeichnet. Erzählt wird nicht nur aus der Sicht von Hilde und Sonja, sondern auch aus der von Max und Lotti. Dieser Aufbau funktioniert sehr gut.


    Der Schreibstil ist schnörkellos, aber angenehm zu lesen und anschaulich. Trotz der Perspektivwechsel lässt sich die Geschichte gut nachvollziehen. Der Einstieg fiel mir leicht.


    Sowohl Hilde als auch Sonja sind interessante und sympathische Hauptcharaktere. Sie werden ebenso realitätsnah dargestellt wie die beiden anderen Protagonisten Max und Lotti. Einige Figuren bleiben jedoch etwas blass. Aufgrund der Vielzahl an Personen ist zudem ein aufmerksames Lesen erforderlich.


    Das Setting finde ich sehr ansprechend. Die Handlung ist abwechslungsreich, allerdings nur teilweise spannend. Dennoch hat die Geschichte kaum Längen und bleibt kurzweilig.


    Ein weiterer Pluspunkt des Romans ist das Zusatzmaterial. Neben den interessanten Anmerkungen der Autorin gibt es eine Literaturliste, einen Soundtrack mit den in der Geschichte erwähnten Liedtiteln und ein Glossar, das Personen und Begriffe erklärt. Dabei zeigt sich, dass die Autorin gründlich recherchiert hat. Leider ist der Inhalt des Romans jedoch größtenteils Fiktion und verschenkt so die Chance, tiefere Einblick in diese historische Epoche zu ermöglichen.


    Das Cover passt unheimlich gut zum Roman und gefällt mir sehr. Auch der prägnante Titel ist sehr treffend gewählt. Leider sind die Seiten des Hardcovers so dünn, dass die Schrift stark durchscheint.


    Mein Fazit:

    „Rheinblick“ ist ein historischer Roman von Brigitte Glaser, der zwar sein Potenzial nicht ganz ausschöpft, aber trotzdem lesenswert ist. Er hat mir schöne Stunden bereitet.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

  • MIr fällt die Rezi zu diesem Buch echt schwer. Es ist schon seit einiger Zeit ausgelesen, aber die richtigen Wort wollen nicht kommen.


    Brigitte Glaser hat mich mit "Bühlerhöhe" gepackt. Als der neue Roman "Rheinblick" angekündigt wurde, war ich sofort interessiert. Das Thema - Willy Brand, Politik der 70er Jahre - war auch eins, worüber ich gerne lesen würde. Doch irgendwas an diesem Roman hat mich nicht ganz überzeugen können.


    Die Personen waren sehr unterschiedlich.

    Spannend fand ich vor allem die Wirtin des "Rheinblicks" , Hilde, die nach dem Tod ihres Mannes die Kneipe, die ein Treffpunkt der Bonner Politik ist, alleine führt. Sie ist für ihre Verschwiegenheit bekannt und doch ist sie erpressbar.


    Sonja, die Logopädin, die Willy Brand nach einer Stimmband-OP betreut, ist für mich ein ambivalenter Charakter. Stark in ihrem Beruf und doch unsicher, vor allem gegenüber ihrem Cousin, der die Weitergabe von geheimen Gesprächen fordert, um sie zu seinem Vorteil zu nutzen.


    Und dann die Reporterin Lotti, die über die Zustände in Kinderheimen recherchiert.

    Für mich passte Lotti nicht so recht hinein. Dieser Erzählstrang hätte meiner Meinung nach gestrichen werden können. Es war schon interessant, einen Einblick zu erhalten in die damalige Praxis des Zeitungswesens und auch der Umgang in Kinderheimen, aber mich lenkte es nur ab.


    Ich habe den Teil über die Politik sehr gern gelesen. Willy Brand war in meiner frühsten Kindheit tätig, daher habe ich keine bewusste Erinnerung an ihn und musste häufig googeln, um mehr darüber zu erfahren, was rund um die Ära Brandt los war. Die Intrigen, die gesponnen wurden, die Mehrheiten, die gewonnen werden mussten, das war wirklich fesselnd geschrieben. Dazu die persönlichen Begegnungen mit Willy Brandt in einer schwachen Position, richtig gut.


    Von mir gibt es daher "nur" 8 Punkte, denn der Roman hatte für mich z.B. die Schwäche, dass er zu oft hin und her sprang, denn jedes Kapitel ist aus einer anderen Sicht geschrieben. Es kamen viele Personen vor, die mich etwas verwirrten. Und wie eben schon erwähnt, der "überflüssige" Strang um Lotti.


    Dagegen hat mir sehr gut gefallen, das der Roman ein Bild der spannenden Ereignisse um die Wiederwahl Brandts zeichnete und die Vorfälle der wenigen Tage zwischen Mitte November bis Anfang Dezember fesselnd wiedergab, auch rund um die Geschehnisse abseits der Politiker.