ASIN/ISBN: 3492059414 |
Nicola Karlsson: Licht über dem Wedding
Verlag 2019. 320 Seiten
ISBN-10: 3492059414
ISBN-13: 978-3492059411. 20€
Verlagstext
Ein Hochhaus in Berlin. Zwischen S-Bahnhof und tristen Grünanlagen prallen Welten aufeinander. Hannah verdient ihr Geld mit einem Modeblog und lebt erst seit kurzem hier. Dem alleinerziehenden Wolf ist von seiner Zeit im Nachtleben nur der Alkohol geblieben. Und seine Tochter Agnes will weder von ihm noch von dem Püppchen aus dem 10. Stock etwas wissen. Und doch kreuzen sich ihre Wege. Sie verbindet die existenzielle Einsamkeit der Großstadt. Sie sind auf der Flucht und zugleich wie getrieben auf der Suche. Sie ahnen, dass es jemanden gibt, der ist wie sie. Und trotzen dem Leben eine Überraschung ab.
Die Autorin
Nicola Karlsson, geboren 1974, wuchs in Berlin auf. 2013 erschien ihr Debütroman „Tessa“. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Inhalt Hannah Hoch arbeitet als Model und Internet-Influencerin für Klamotten. Mit dem Fotografen Fabian lebt sie zusammen, den sie für seine Arbeit bezahlt und mit dem ihre Karriere steht und fällt. Fabian behandelt sie herablassend, als wäre sie ein Kind. Sie erträgt es um des Moments willen, in dem sie sich für schön halten darf, obwohl sie daran zweifelt. Hannah hält den Wedding als Stadtviertel für unter ihrer Würde. Schon zu ihrer Schulzeit hielt sie sich für etwas Besseres - und musste die Folgen ihrer Hochnäsigkeit tragen. Heute lebt sie mit Fee zusammen in einer WG. Sie braucht Fee für das Gefühl begehrt sein und ist zugleich eifersüchtig auf sie. Hannah braucht die Honorare für ihre Bloggertätigkeit, um die Miete zu bezahlen. Sie fotografiert sich in Kneipen und kleinen Läden selbst schnell in Klamotten, die ihr Modefirmen unaufgefordert zuschicken - ohne die Ladenbesitzer an ihren Honoraren zu beteiligen. Arbeit als Model ohne Vertrag, ein Leben als Egotrip durch Ausbeutung anderer - das kann nicht lange gutgehen. Als Hannah Mickey kennenlernt, scheint das der erste Kontakt mit so etwas wie Normalität in ihrem Leben zu sein.
Zwei Welten begegnen sich, als Hannah im Treppenhaus ihres Hochhauses Agnes trifft. Auch Hannah hat es als Jugendliche nicht leicht gehabt. Die beiden Mädchen trennt weniger, als sie annehmen. Agnes, willensstark und sensibel, lebt schon ewig allein mit ihrem Vater, dem gerade sein Leben entgleitet. Wolf wird im Suff gewalttätig. Vater und Tochter wissen, wenn die verletzte Agnes in die Notaufnahme geht und das Krankenhaus Anzeige erstattet, verliert Wolf das Sorgerecht. Agnes hasst arrogante Tussis wie diese Hannah. Sie scheint zu ahnen, dass Mieterinnen wie diese der erste Schritt zur Gentrifizierung eines Sanierungsgebietes sein werden, der Vertreibung der alteingesessenen Mieter aus ihrer gewohnten Umgebung. Agnes ist 15, trägt Doc Martens und Netzstrumpfhose. Ihr Vater ahnt, dass es nichts Gutes bedeuten kann, wenn ein schwieriges, schweigsames Kind plötzlich zu viel redet. Mädchen wie Agnes wünschen sich häufig ein Kind, um „etwas Eigenes“ zu haben. Ein Rückblick in Agnes Kindheit zeigt, dass sie früh gelernt hat, allein klarzukommen und Männer stets bei Laune zu halten. Im Tausch gegen Schutz und Ansehen haben Frauen in Agnes Welt Männer mit Sex zu bezahlen. Der zuständige Sozialarbeiter tut derweil alles andere, als Agnes zu vermitteln, dass sie beim Jugendamt Hilfe bekommen kann. Als ein Brief vom Jugendamt kommt, der Wolf zu einem Termin über das Sorgerecht für Agnes bestellt, bricht das dünne Eis unter ihm. Noch schockierender scheint das Leben von Luca zu sein, die winzig klein und vernachlässigt bei Hannah klingelt.
Fazit
Nicola Karlsson erzählt von Menschen, die sich aus der Trostlosigkeit ihres Alltags wegträumen und die Welt so zeichnen, wie sie sie gern hätten. In Wirklichkeit brauchen sie alle jemand, der sie an die Hand nimmt. Doch wer würde wagen, Wolf, Agnes oder Hannah zu fragen, ob sie Hilfe brauchen? Allein Mickey hat die Sache offenbar im Griff: Warte nicht, dass dich jemand rettet, werde endlich erwachsen, sagt er. Mit zahlreichen Rückblenden in die Kindheit von Hannah und Agnes entsteht hier ein komplexer Plot, mit dem das an einigen Stellen durchscheinende Pathos nicht immer harmoniert.
9 von 10 Punkten